Drama: Woyzeck (1836-1837, genaue Entstehungszeit unbekannt)
Autor/in: Georg BüchnerEpoche: Vormärz / Junges Deutschland
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Die zu analysierende Szene stammt aus dem Dramenfragment „Woyzeck“ von Georg Büchner, welches 1913 uraufgeführt wurde. Das Drama lässt sich in die Epoche des Vormärzes einordnen. Die Szene führt den Doktor in das Drama ein. Der Autor zeigt die Abhängigkeit Woyzecks vom Doktor und wie der Doktor diese ausnutzt.
Die zu betrachtende Szene ist in der Monologform geschrieben. Die Szene lässt zum Beginn des Dramas einordnen. Marie hat Woyzeck mit dem Tambourmajor betrogen, Woyzeck ahnt bereits den Betrug und macht sich Sorgen. Nach der Szene nimmt die Tragödie ihren Lauf. Woyzeck erwischt Marie und den Tambourmajor beim Tanz, später hört er Stimmen die ihm befehlen Marie abzustechen. Er kauft sich ein Messer und lockt sie hinaus vor die Stadt. Dort sticht er Sie ab.
Die Szene beginnt damit, dass der Doktor Woyzeck mit dem Vorwurf konfrontiert, er hätte „auf die Straß[e] gepisst“ (Z. 9f). Dies darf er aufgrund eines Vertrages nicht. Dieser besagt, dass Woyzeck seinen gesamten Urin zwecks Forschungen, an den Doktor abgeben muss. Im Verlauf der Szene wird diese Abmachung erläutert. Woyzeck darf sich, zwecks eines Experiments, für einen bestimmten Zeitraum nur von Erbsen ernähren. Das Essen was er so in der Kaserne zählt, lässt er sich ausbezahlen. Dass eingesparte Geld gibt er an Marie und seinen unehelichen Sohn Christian weiter. Auf die Konfrontation mit diesem Vertragsbruch erwidert Woyzeck, dass ihm die Natur gekommen sei. Der Doktor erwidert, dass er bewiesen hatte das der Blasenschließmuskel nur dem menschlichen Willen unterworfen sei. Woyzeck kann, auch nach mehrfacher Nachfrage, keine Urinprobe liefern. Daraufhin wird der Doktor böse und beginnt Woyzeck zu treten. Er bemerkt seine Aggression. Er versucht sich zu beruhigen indem er sagt, dass „Ärger [...] ungesund [und] unwissenschaftlich“ (S. 16 Z. 1f) ist. Woyzeck versucht sich zu erklären, jedoch wird er schnell von dem Doktor unterbrochen. Woyzeck wird wie so oft von niemandem verstanden. Daraufhin erzählt er dem Doktor von seinen Geistesverwirrungen. Dieser findet der Doktor extrem interessant und verspricht ihm eine Zulage, sofern er sich weiterhin an die oben beschriebenen Vorgaben hält.
Auffällig bei dem zu analysierenden Dialog die Redeanteile der Figuren. Ähnlich wie beim Dialog mit dem Hauptmann, hat Woyzeck wieder die geringsten Redeanteile. Woyzeck antwortet zwar nicht, wie beim anderen Dialog, nur mit dem gleichen Satz, trotzdem sind die von ihm gesprochenen Sätze meistens sehr kurz und einfach gestrickt. Den ersten größeren Redeanteil hat Woyzeck nachdem der Doktor ihm mit dem Vertragsbruch konfrontiert. Er versucht dem Doktor zu erklären, dass er gar nichts dafür könne an die Wand gepisst zu haben, da die Natur, seine Triebe ihn dazu genötigt hätten. Wie so oft wird Woyzeck nicht verstanden und mitten im Satz unterbrochen. Nun hat der Doktor einen kleineren Redeanteil. Er antwortet nur mit „Er, philosophiert wieder“ (S. 16 Z. 12). Auch als Woyzeck ihn von seinen unheimlichen Erscheinungen auf dem Felde berichtet, antwortet der Doktor nur kurz und knapp. Nachdem Woyzeck von seinen Geistesverwirrungen berichtet hat, hat der Doktor wieder die größeren Redeanteile. Interessant ist auch die Wortwahl und das Sprachniveau der beiden Dialogführenden. Woyzeck spricht einfaches Deutsch, mit einem hessischen Dialekt, oft fehlen ihm die Worte, er kann sich nicht gut genug ausdrücken. Der Doktor dagegen, spricht gutes Hochdeutsch, oft verwendet er lateinische Wörter und medizinische Fachsprache und Fachwörter.
Der Dialog ist extrem asymmetrisch. Der Doktor demonstriert seine Überlegenheit mit Fachsprache. Woyzeck ist finanziell auf ihn angewiesen, deswegen lässt er auch jede Rüge des Doktors über sich ergehen, er wehrt sich auch nicht als der Doktor auf ihn eintritt. Anders als beim Dialog mit dem Hauptmann ist Woyzeck dem Doktor nicht intellektuell überlegen. Der Doktor hat eine extrem gute Bildung genossen und hat deswegen eine solch hohe Stellung in der Gesellschaft, anders als beim Hauptmann. Dieser verdankt seine Stellung in der Gesellschaft nur seinem Geburtshaus. Büchner kritisiert mit diesem Dialog klar die Rolle des Doktors. Ein Doktor hat normalerweise die Aufgabe dem Mensch zu helfen und für sein körperliches Wohlbefinden zu sorgen. Der Doktor in Büchners Drama nutzt den Mensch aber regelrecht für seine Zwecke aus, ohne auf die medizinischen Folgen zu achten. Woyzeck dient dem Doktor als Versuchskaninchen. Die Erbsen-Diät von Woyzeck geht auf den gießener Wissenschaftler Justus von Liebig zurück. Dieser suchte nach einer billigen Verköstigungsmöglichkeit für die untere Bevölkerung. Die Probanden mussten sich über einen Zeitraum nur von Erbsenbrei ernähren. Die Folgen dieses Experiments waren Halluzinationen und Kontrollverlust über Schließ und Blasenschließmuskel. Büchner bringt diesen Versuch in das Drama ein, um Kritik an den zu der Entstehungszeit des Dramas herrschendem Gesellschaftssystem. Die niedere Bevölkerung wurde als Versuchskaninchen missbraucht, was unter heutiger Betrachtung als extrem unethisch angesehen würde, war damals Realität. Das Leben des einzelnen war quasi wertlos. Durch die starken, vor allem finanziellen Unterschiede zwischen Ober und Unterschicht, konnte die niedere Bevölkerung sich nicht gegen die Oberschicht wehren, da sie von der Oberschicht abhängig waren. Der Doktor interessiert sich nur aufgrund von Woyzecks Geistesverwirrungen für ihn. Diese Verwirrungen, welche auch höchstwahrscheinlich zum Mord an Marie führen, haben vermutlich der Doktor und der Hauptmann zu verschulden. Der Hauptmann setzt ihn psychisch unter Druck und lässt ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Überlegenheit spüren. Der Doktor zwingt ihn zur Erbsen-Diät, dies hat auch schwere gesundheitliche Folgen für Woyzeck.
Abschließend kann gesagt werden, dass der Autor nicht nur den Doktor in das Geschehen einführt, sondern auch versucht die gesellschaftlichen Verhältnisse während er Entstehungszeit des Dramas zu schildern und gleichzeitig auch zu kritisieren.