Drama: Woyzeck (1836-1837, genaue Entstehungszeit unbekannt)
Autor/in: Georg BüchnerEpoche: Vormärz / Junges Deutschland
Klausur Woyzeck
Aufgaben:
1. Analysieren Sie die Szenen „Kammer (1)“, „Kammer (2)“ und „Marie. Das Kind. Der Idiot“ aus G. Büchners „Woyzeck“, indem Sie untersuchen, wie Büchner die Figur Marie gestaltet hat. Erläutern Sie anschließend die Bedeutung der Szenen für den Gesamtverlauf der Handlung des Dramas.
2. Der Literaturwissenschaftler Peter von Matt ist der Auffassung, dass in Büchners Stück das „alte Recht des Mannes“, seine Frau „als Besitz“ zu betrachten und „zu töten, wenn er sie mit einem anderen erwischt“, nicht mehr gelte. Vielmehr zeige die Figur der Marie im Drama, „ wie sehr hier die Frau, die Treulose, das Recht der Anhörung eingeräumt bekommt“. Sie werde zwar „nicht kurzerhand gerechtfertigt“, aber „in ein paar wenigen, winzigen Szenen gewinnt sie eine Tiefe“ als individuelles Wesen.
Erläutern Sie unter Miteinbezug Ihrer Ergebnisse der Aufgabe 1, inwiefern die Auffassung von Matts in Büchners Stück gestützt wird. Prüfen Sie anschließend, inwieweit die These vom „Recht der Anhörung“ auch auf Woyzeck zutreffen könnte und der Intention Büchners gerecht wird.
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Aufgabe 1: Wie ist die Figur der Marie gestaltet?
Das Drama „Woyzeck“ welches von Georg Büchner verfasst und 1879 veröffentlicht worden ist, handelt von der Lebenssituation des Protagonisten Woyzecks und seiner Geliebten Marie. Das Drama ist der Epoche des poetischen Realismus zuzuordnen und in 27 Szenen gegliedert.
Die Szenen „Kammer (1)“, „Kammer (2)“ und „Marie. Das Kind Der Idiot“ thematisieren die Darstellung der Figur Marie im Hinblick auf ihren Treuebruch mit dem Tambourmajor. Diese sowie die Bedeutung der Szenen für den Gesamtverlauf der Handlung werden im Folgenden analysiert.
In der Szene „Kammer (1)“ betrachtet sich Marie mit goldenen Ohrringen, einem Geschenk des Tambourmajors, und klagt über ihre Lebenssituation. Als Woyzeck auftritt und die Ohrringe bemerkt, behauptet Marie jedoch, diese gefunden zu haben. Diese Lüge führt zu einem schlechten Gewissen ihrerseits.
In der Szene „Kammer (2)“ wird ein Beischlaf zwischen Marie und dem Tambourmajor dargestellt.
In der Szene „Marie. Das Kind. Der Idiot“ liest Marie in der Bibel, während der Idiot Karl sich mit dem Kind beschäftigt und Märchen erzählt.
Vor der Szene „Kammer (1)“ wird Woyzecks und Maries Lebenssituation dargestellt. Woyzeck ist ein niederer Arbeiter und hat mit Marie ein uneheliches Kind. Er ist wahnsinnig und psychisch instabil. Marie fühlt sich von dem Tambourmajor angezogen und bewundert ihn mit ihrer Nachbarin. Nachdem der Tambourmajor Woyzeck und Marie auf dem Jahrmarkt beobachtet hat, schenkt er ihr Ohrringe, die sie in der Szene „Kammer (1)“ betrachtet. Danach beobachtet Woyzeck Marie und den Tambourmajor, wie sie zusammen tanzen. Die Szene „Kammer (2)“ stellt den endgültigen Treuebruch Maries dar. Da Woyzeck durch das Ausführen niederer Arbeiten, wie das Rasieren des Hauptmannes oder das sich zur Verfügung stellen für wissenschaftliche Experimente des Doktors, immer mehr als gesellschaftlicher Außenseiter charakterisiert wird und zudem auf den Tambourmajor eifersüchtig ist, entschließt er sich vor der Szene „Marie. Das Kind. Der Idiot“ ein Messer zu kaufen, mit welchem er Marie schließlich umbringt.
In den Szenen „Kammer (1)“ und „Kammer (2)“ werden besonders Maries Sehnsüchte deutlich. Sie bezeichnet sich selbst als arm und materielle Not leidend, da sie „nur ein Eckchen in der Welt und ein Stückchen Spiegel (hat)“ (Kammer (1)) . die arme Bevölkerung ist also eingeschränkt durch ihre materielle Situation. Dies ist der Grund, warum Marie so fasziniert von den Ohrringen des Tambourmajors ist (vgl. Kammer (1)). Es sei „gewiß Gold“ (Kammer (1)) und sie vergleicht sich anhand dieses Schmuckstücks mit der höher gestellten Gesellschaft (vgl. Kammer (1)).
Marie träumt von einem gesellschaftlichen Aufstieg und sehnt sich nach Luxus, welchen Woyzeck ihr nicht bieten kann. Zudem möchte sie ihr Kind vor dem Leid der armen Bevölkerung bewahren, indem sie ihm befiehlt, die Augen zu schließen (vgl. Kammer (1)).
Marie scheint von dem Luxus bzw. den Ohrringen so fasziniert und gebannt zu sein, dass sie immer wieder in den Spiegel schaut (vgl. Regieanweisungen, Kammer (1)). Dies bestätigt ihre Sehnsucht nach Luxus.
Zu dieser Sehnsucht nach einer besseren finanziellen Situation kommt noch die Sehnsucht nach sexueller Befriedigung hinzu (vgl. Kammer (2)). Auch diese kann nicht von Woyzeck, aber von dem Tambourmajor gestillt werden.
Marie und auch der Tambourmajor scheinen völlig von ihren Trieben und ihrer Lust gesteuert zu sein. Dies bringt Büchner durch die Verwendung einer Tiermetaphorik zum Ausdruck. So bezeichnet Marie den Tambourmajor als „Stier“ und „Löw“ (Kammer (2)). Marie scheint in dieser Szene von ihren Gefühlen zum Tambourmajor völlig gebannt zu sein. Ihre Ausdrucksweise wechselt von „spöttisch“ zu „verstimmt“ und schließlich zu „heftig“ (vgl. Regieanweisung Kammer (2)). Auch ihre Ausrufe: „Mann!“, „Laß mich!“ und „Rühr mich an!“, verdeutlichen ihre Sinnlichkeit. Ihren Treuebruch gegenüber Woyzeck scheint Marie in dieser Situation einfach hinzunehmen. Als der Tambourmajor sie darauf anspricht, dass „(ihr) der Teufel aus den Augen (sieht)“, antwortet sie gleichgültig mit „(m)einetwegen“ (Kammer (2)). Ihre Vernunft ist ihrer Lust also vollkommen unterlegen.
Dieses Stillen der Sehnsüchte Maries durch den Tambourmajor wird jedoch in der Szene „Kammer (1)“ durch den Auftritt Woyzecks unterbrochen. Marie erschrickt, als Woyzeck sie mit den Ohrringen entdeckt (vgl. Regieanweisung Kammer (1) und leugnet, dass diese ein Geschenk des Tambourmajors sind. Sie bringt Woyzeck durch ihre schlagfertige Frage: „Bin ich ein Mensch?“ (Kammer (1)) dazu, das Thema zu wechseln. Als sie jedoch wieder alleine ist, überkommt sie ein schlechtes Gewissen. Sie bezeichnet sich selbst als „schlecht Mensch“ und „könnt (sich) erstechen“ (Kammer (1)), da Woyzeck so viel arbeitet und für sie und das Kind Geld verdient, sie ihn jedoch betrügt. Letztendlich gewinnt aber ihre Sehnsucht nach Luxus den Kampf mit der eigenen Vernunft und dem Gewissen, da sie behauptet, dass sowieso „alles zum Teufel (geht)“ (Kammer (1)). Wie in der Szene (Kammer (2)) ist Marie ihren Sehnsüchten und ihrer Lust unterworfen und gibt diesen gegenüber ihrer Vernunft nach.
In der Szene „Marie. Das Kind. Der Idiot“ ist dagegen Maries schlechtes Gewissen im Mittelpunkt. Sie liest in der Bibel und sucht in dieser nach Vergebung für ihre Taten.
Die Bibel hat in der damaligen Zeit die Normen und Werte der Gesellschaft bestimmt. Marie hat diese eindeutig gebrochen, da sie ein uneheliches Kind mit Woyzeck hat und diesen zudem noch betrügt. Sie sucht eine Textstelle in der Bibel, durch die ihr vergeben wird. Jesus habe eine Frau, die Ehebruch begangen hat, nicht verdammt und fordert, dass sie nicht mehr sündigt (vgl. Marie. Das Kind. Der Idiot) . Mit dieser Frau identifiziert sich Marie und möchte beten. Marie ist zunehmend verzweifelt (vgl. Regieanweisungen, Marie. Das Kind. Der Idiot). Dies wird auch durch die Wiederholung ihres Ausrufes: „Herrgott!“ (Marie. Das Kind. Der Idiot) deutlich. Ihre Aussage „es wird heiß hier“ zeigt zudem, dass Marie zunehmend in Bedrängnis aufgrund der gesellschaftlichen Normen gerät. Sie ist sich ihrer Schuld bewusst und bittet in sehr emotionaler Weise um Vergebung durch Gott. In dieser Szene wird Marie also als Person dargestellt, die durch den Bruch gesellschaftlicher Normen zunehmend zum Außenseiter wird und unter den Folgen so stark leidet, dass sie um Vergebung ihrer Sünden bittet.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Marie einerseits als sinnliche und triebhafte Figur dargestellt wird, die sich ihren Sehnsüchten nach Luxus und sexueller Befriedigung vollkommen hingibt. Das schlechte Gewissen kann sie zunächst nicht von einer Beziehung mit dem Tambourmajor abbringen. Schließlich wird der gesellschaftliche Druck ihr im Laufe des Dramas jedoch stärker bewusst, sie scheint ihre Schuld anzunehmen und bittet um Vergebung. Marie scheint also keineswegs eine so starke Persönlichkeit zu haben, dass sie dem Ausschluss aus der Gesellschaft standhält. Trotzdem versucht sie noch ihr Handeln zu rechtfertigen. Woyzeck sei schon mehrere Tage nicht mehr bei ihr gewesen (vgl. Marie. Das Kind. Der Idiot). Dies zeigt, dass Marie die Beziehung zum Tambourmajor eingeht, da Woyzeck aufgrund seiner vielen Arbeit und seiner psychischen Problemen ihre Sehnsüchte nicht stillen kann. Marie, als eigentlich triebhafte Person, die von einem gesellschaftlichen Aufstieg träumt, steht somit in einem ständigen Konflikt zwischen der Befriedigung ihrer Lüste und den gesellschaftlichen Werten und Normen.
Die analysierten Szenen haben eine besondere Bedeutung für den Verlauf der Gesamthandlung. Am Ende des Dramas tötet Woyzeck Marie aus Eifersucht, da sie ihn mit dem Tambourmajor betrogen hat. In der Szene „Kammer (1)“ schöpft Woyzeck zum ersten Mal Verdacht. Er glaubt Marie nicht, dass die die Ohrringe gefunden hat, befragt sie jedoch auch nicht weiter. In der Szene „Kammer (2)“ wird Woyzecks verdacht durch den Beischlaf Maries mit dem Tambourmajor bestätigt. Woyzeck wird eindeutig betrogen. Er beobachtet die beiden in einer darauffolgenden Szene aus einem Wirtshaus heraus, sodass sich nicht nur für das Publikum sondern auch für ihn selbst der Verdacht bestätigt. Die Szenen „Kammer (1)“ und „Kammer (2)“ verdeutlichen zudem den Unterschied zwischen Woyzeck und dem Tambourmajor. Woyzeck muss viel arbeiten, ist arm und hat keine Zeit für Marie, während der Tambourmajor ihr Luxus und sexueller Befriedigung bieten kann. Aus diesen Umständen entwickelt sich Woyzecks Eifersucht auf die Beziehung zwischen dem Tambourmajor und Marie, welche ein entscheidender Grund für seinen Mord an Marie und somit für den Ausgang der Handlung ist. In der Szene „Marie. Das Kind. Der Idiot“ wird deutlich, wie groß der gesellschaftliche Druck in der damaligen Zeit gewesen ist. Auch Woyzeck ist diesem Druck ausgesetzt, welcher ihn sehr stark psychisch belastet. Auch deswegen tötet er Marie. Maries Schuldgeständnis in dieser Szene kann sie nicht mehr vor dem Tod bewahren, ihre Schuld ist zu groß. Ihr Tod kann also nicht nur als Handlung Woyzecks, sondern auch als Sanktion der Gesellschaft gesehen werden.
Alle drei Szenen sind also sehr wichtig, um zu verstehen, warum Woyzeck Marie letztendlich umbringt. Es werden die Gründe für Maries Treuebruch und somit auch die für Woyzecks Eifersucht auf den Tambourmajor aufgezeigt, zudem deutet der vergebliche Versuch Maries, um Vergebung ihrer Sünden zu bitten, schon auf den Ausgang der Handlung hin. Büchner äußert außerdem durch diese Szenen indirekt Gesellschaftskritik. Aufgrund ihrer und Woyzecks Lebenssituation sieht Marie keinen anderen Ausweg, als eine Beziehung mit dem Tambourmajor einzugehen, um ihre Sehnsüchte zu stillen. Würden Woyzeck und Marie keine finanzielle Not leiden müssen und wären die gesellschaftlichen Normen nicht so streng, würde Woyzeck Marie vielleicht nicht ermorden. Die Schuld der beiden lässt sich also anzweifeln.
Aufgabe 2: Welche Mitschuld hat Marie am Treuebruch?
Inwiefern Marie schuldig an dem Treuebruch ist, beschäftigt auch den Literaturwissenschaftler Peter von Matt. Er ist der Auffassung, dass in „Woyzeck“ das „alte Recht des Mannes“, seine Frau „als Besitz“ zu betrachten und „zu töten, wenn er sie mit einem anderen erwischt“, nicht mehr gelte. Vielmehr zeige die Figur der Marie im Drama, „wie sehr hier die Frau, die Treulose, das Recht der Anhörung eingeräumt bekommt“. Sie werde zwar „nicht kurzerhand gerechtfertigt“, aber „in ein paar wenigen, winzigen Szenen gewinnt sie eine Tiefe“ als individuelles Wesen. Im Folgenden wird erläutert, inwiefern die Auffassung von Matts in Büchners Stück gestützt wird.
Von Matt ist also der Meinung, dass durch Büchners Darstellung der Figur Marie deutlich wird, dass ihr Treuebruch Woyzecks durch eine Beziehung mit dem Tambourmajor Gründe hat und ihr Handeln zwar nicht gerechtfertigt aber nachvollziehbar ist. Woyzeck habe somit kein Recht, Marie zu töten. Die Darstellung Maries weise ihr eine gewisse Individualität zu. Diese Auffassung von Matts trifft eindeutig auf Büchners Drama zu. Für Maries Treuebruch zeigt Büchner in vielen Szenen des Dramas eindeutige Gründe auf. Sie leidet – genau wie Woyzeck – eindeutig unter ihrer Armut und ist in Zeiten des Pauperismus eindeutig ein gesellschaftlicher Außenseiter. Durch die Szene „Kammer (1)“ beispielsweise spiegelt Büchner Maries innersten Wunsch nach Luxus wider. Es wird ausführlich dargestellt, wie sie sich im Spiegel betrachtet, sodass sich das Publikum mit ihr identifizieren kann und sie, wie von Matt sagt, als individuelles Wesen mit Träumen und Sehnsüchten dargestellt wird. Ihre Armut wird durch das „Stückchen Spiegel“ (Kammer (1)) deutlich, welches sie lediglich besitzt. Auch Maries Sehnsüchte nach einem attraktiven Partner und nach sexueller Befriedigung zeigt Büchner auf. So beobachten Marie und ihre Nachbarin den Tambourmajor und schwärmen von dessen Körper. In der Szene „Kammer (2)“ kann Marie ihren Trieben nicht wiederstehen. Da Woyzeck Marie weder Luxus noch einen attraktiven Partner, noch sexuelle Befriedigung bieten kann, sind diese Verlangen Maries Gründe für ihren Treuebruch. Woyzeck muss niedere Arbeiten ausführen, verdient wenig Geld, ist wahnsinnig und hat kaum Zeit für Marie und das Kind. Dies wird deutlich, wenn Woyzeck am Abend nur kurz zu Marie kommt, ihr Geld gibt und wieder geht (vgl. Kammer (1)). Zudem wird an der Figur Marie gezeigt, wie stark gesellschaftlicher Druck auf den Einzelnen wirkt. Sie ist an die Normen der Gesellschaft gebunden (vgl. Marie. Das Kind. Der Idiot), hat diese jedoch durch ein uneheliches Kind gebrochen, wodurch sie noch mehr von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. So argumentiert beispielsweise der Hauptmann gegenüber Woyzeck, dass er aufgrund des unehelichen Kindes keine Moral habe. Dies treffe auch auf Marie zu. Der gesellschaftliche Ausschluss verstärkt Maries Sehnsüchte und Träume. Dem Publikum ist es also möglich, ihr Handeln, den Treuebruch, nachzuvollziehen, auch wenn es, wie von Matt sagt, nicht direkt gerechtfertigt wird. Die Situation der treulosen Frau stellt Büchner aber in vielen Szenen mit Verständnis dar, sodass sie „das Recht auf Anhörung“ auch bekommt.
Inwieweit dieses Recht auch Woyzeck zugesprochen wird, lässt sich überprüfen. Dabei ist dann die Frage, ob der Figur Woyzeck durch seine Darstellung die Schuld zu- bzw. abgesprochen wird. Die größte Schuld Woyzecks besteht darin, Marie getötet zu haben. Jedoch wird das Publikum dazu angehalten, sich näher mit der Schuldfrage Woyzecks zu beschäftigen. Woyzeck könnte als vermindert schuldig angesehen werden, da auch er unter seiner Lebenssituation leidet. Er ist sehr arm und einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt. Aufgrund seiner Position in der Gesellschaft ist er beispielsweise dem Hauptmann und dem Doktor untergeordnet und wird von diesen in mehreren Szenen gedemütigt, was ihn in die Verzweiflung und den Wahnsinn treibt (vgl. Straße). Auch die Eifersucht auf den Tambourmajor stellt Büchner in einigen Szenen dar. So geraten Woyzeck und der Tambourmajor beispielsweise im Wirtshaus aneinander.
Man könnte also sagen, dass Büchner die gesellschaftlichen Missstände und das Verhalten der höheren Schichten, des Adels und des Bürgertums, gegenüber der armen Bevölkerung, für das Handeln von Woyzeck verantwortlich macht und ihm dadurch „ein Recht auf Anhörung“, also eine verminderte Schuldfähigkeit zuspricht. Die Gesellschaft wäre somit zumindest zu Teilen verantwortlich für Woyzecks Mord an Marie.
An der Gesellschaft Kritik üben ist eine Intention Büchners. Mit dem Verfassen eines literarischen Werkes möchte Büchner die Realität darstellen. ES darf keine Idealisierung stattfinden, sodass jedes Mitglied der Gesellschaft mit seinen Gefühlen und seinem Handeln realitätsnah gezeigt wird. Dass einer Figur des Dramas ein „Recht auf Anhörung“ zugesprochen wird, ist nach Büchner also auf jeden Fall wichtig und richtig. Er möchte die Gefühle einer Figur, die Leiden und die Freuden, aufzeigen und, wie von Matt sagt, „individuelle Wesen“ schaffen, die nicht Stereotypen1 einer Gesellschaft darstellen, die sich streng an Werte und Normen halten. Büchners Ziel ist es also genau, veraltete Werte wie beispielsweise das „alte Recht des Mannes, seine Frau als Besitz zu betrachten und zu töten“, in Frage zu stellen und das Publikum dazu zu bringen, an diesen zu zweifeln.
Somit wird von Matts These vom „Recht der Anhörung“ eindeutig der Intention Büchners gerecht, keine idealisierte, sondern die reale Welt in dem Drama „Woyzeck“ darzustellen. Die Gesellschaftsstrukturen dürfen, so Büchner, nicht einfach akzeptiert werden. Mit der Darstellung seiner Figuren Woyzeck und Marie zeigt er, welche schlimmen Folgen gesellschaftliche Normen und Werte haben können, die eigentlich zu hinterfragen sind. Diese Haltung Büchners wird nicht nur in seinem Drama „Woyzeck“, sondern auch in vielen weiteren seiner Werke deutlich.