Drama: Woyzeck (1836-1837, genaue Entstehungszeit unbekannt)
Autor/in: Georg BüchnerEpoche: Vormärz / Junges Deutschland
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Die zu analysierende Szene stammt aus dem Dramenfragment „Woyzeck“ von Georg Büchner, welches 1913 uraufgeführt wurde. Das Drama ist epochentechnisch der Epoche des Vormärzes zuzuordnen. Die Szene thematisiert die Unterlegenheit Woyzecks unter dem Doktor, welcher den akademischen Stand repräsentiert. Es zeigt, wie der Doktor Woyzeck als Tier ansieht und behandelt. Die szenische Form ist nicht ganz eindeutig und wechseln innerhalb in der Szene. Von Zeile sechs bis Zeile 18 beginnt der Doktor mit einem monologartigen Vortrag. Dann bezieht er Woyzeck in die Unterhaltung mit ein, dies geht Zeile 24 so. Mit den Worten „Was sehe ich, meine Herrn“ (S. 25 Z. 24f) setzt er zu einem neuen Vortrag an. Dieser wird jedoch unterbrochen als Woyzeck schwindelig wird und er sich an den Doktor wendet. Es beginnt ein kurzer Dialog.
Woyzeck wurde von seiner unverheirateten Frau, mit der er auch ein uneheliches Kind hat, mit dem Tambourmajor betrogen und hört nun Stimmen, welche ihm befehlen Marie abzustechen.Die Szene steht kurz vor dem Ende des Dramenfragmentes, kurz vor dem Mord an Marie durch Woyzeck, welcher sich einer vorhergegangenen Szene bereits ein Messer gekauft hat um seine Tat zu vollführen.
Die Szene beginnt mit einem Vortrag des Doktors. Er hält seinen Studenten einen Vortrag über „das Verhältnis vom Objekt zum Subjekt“ (S. 25 Z. 10f). Dies möchte er mit einem Beispiel verdeutlichen. Er möchte eine Katze aus dem Fenster werfen und so das Verhältnis zum Objekt verdeutlichen. Woyzeck wird aufgefordert dem Doktor diese zu reichen. Woyzeck bekommt „das Zittern“, höchstwahrscheinlich eine Folge der vom Doktor verordneten Erbsendiät. Über das Auftreten dieses Phänomen freut sich der Doktor und reibt sich die Hände. Bevor er die Katze jedoch aus dem Fenster werfen kann, läuft diese dem Doktor davon. Als Ersatz für das Tier, wählt der Doktor kurzerhand Woyzeck und erläutert seinen Studenten das an ihm durchgeführte Experiment. Woyzeck wird schwindelig, er muss sich setzten. Der Doktor ermuntert ihn und sagt, das er nur noch ein paar Tage durchhalten müsse. Die Studenten befühlen den Puls des Doktors und berühren Woyzecks Brust. Als der Doktor von Woyzeck verlangt, dass dieser mit den Ohren wackeln solle, wehrt dieser sich. Daraufhin wird der Doktor sehr wütend und beschimpft ihn als Biest und tritt sogar auf ihn ein.
Auffällig ist die Wortwahl Woyzecks in Vergleich mit der des Doktors. Der Doktor spricht in hypotaktischen Sätzen, es scheint fast als würde er versuchen den Studenten seine Überlegenheit zu zeigen. Woyzeck dagegen spricht nur vier Male in dieser Unterhaltung. Alle seiner gesagten Sätze sind Parataxen. Durch diesen starken Kontrast wird die totale Überlegenheit des Doktors über Woyzeck deutlich.
Zudem ist die extrem schlechte Behandlung Woyzecks durch den Doktor deutlich. Es scheint fast als müsse der Doktor sich vor den Studenten rechtfertigen, als müsse er ihnen etwas beweisen. Woyzeck wird vom Doktor stark depersonalisiert, dies wird vor allem dadurch deutlich, dass er als Ersatz für eine Katze genommen wird. Dies zeigt, welchen niedrigen gesellschaftlichen Stellenwert er hat.
Weiterhin wird deutlich, wie stark der Doktor aus seiner Rolle fällt. Ein „normaler“ Doktor hat die Aufgabe sich um seine Patienten zu kümmern, der Doktor aus „Woyzeck“ fällt aus dieser Rolle. Er sieht Woyzeck nicht als Patient an, sondern nur als Subjekt, beziehungsweise als Versuchsobjekt an und behandelt Woyzeck dementsprechend an. Dies geht so weit, als das er sich über Woyzecks Nebenwirkungen der Erbsendiät freut.
Auffällig ist, die Veranimalisierung Woyzecks durch den Doktor. Er wird als Ersatz für eine Katze genommen und als Esel verlacht wird. Er soll sich fügen wie ein Tier und soll jeden an sich heran lassen, in dieser Szene die Studenten die seinen Puls fühlen und seine Brust berühren (vgl. S. 26 Z. 2f). Der Doktor scheint sehr herzlos und kalt zu sein, nur Bedacht auf seinen Fortschritt für seine Forschungen. So freut er sich über negative Anzeichen seiner Erbsdiät und seiner Schwindelanfälle ebenso wie der Haarausfall, der eine Folge der oben beschriebenen Diät sein könnte.
Die zu analysierende Szene kann als Kritik des Autors an der Überlegenheit des akademischen Standes über die niederen Stände gesehen werden. Durch seine akademische Bildung, welche im höchstwahrscheinlich durch sein Elternhaus finanziert wurde, setzt der Doktor sich von allen anderen Ständen ab und behandelt sie von oben herab. Diese Überlegenheit kann sich der Doktor teilweise nur durch seine gute finanzielle Lage der Eltern und seine geburtlichen Anlagen erlauben, für die er keinerlei Anstrengungen und Mühen hat zollen müssen. Dies betrachtet der Autor als unfair und als unmögliches Verhalten des Doktors. Des Weiteren kritisiert der Doktor das Verlassen des doktortypischen Rollenbilds, welches zu einer unmenschlichen Behandlung seiner Mitmenschen führt.
Das in dieser Szene behandelte Thema in Verbindung mit der Kritik seitens des Autors, ist auch heutzutage noch aktuell und weiterhin extrem präsent. Der Doktor kann stellvertretend als der akademische Stand gesehen werden, welcher sich über alle anderen Stände stellt, nur aufgrund seiner Geburtsanlagen. Dies lässt sich auch in unserer heutigen Gesellschaft beobachten. Finanziell besser gestellte Familien haben bessere Möglichkeiten ihre Kinder zu fördern und ihnen eine bessere Bildung zu ermöglichen. Dies ist als Spirale anzusehen. Die Kinder erhalten eine bessere Berufschance, können eine höheren Lohn erzielen und ihren Kindern dasselbe angedeihen lassen und ihnen die selben Vorteile bieten. Viele Familien aus niederen Schichten können ihren Kindern dies nicht ermöglichen.