Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epoche: Sturm und Drang / Geniezeit Strophen: 9, Verse: 36 Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-4, 4-4, 5-4, 6-4, 7-4, 8-4, 9-4
Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!
Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd', o Sonne,
O Glück, o Lust,
O Lieb', o Liebe,
So golden schön
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn,
Du segnest herrlich
Das frische Feld -
Im Blütendampfe
Die volle Welt!
O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb' ich dich!
Wie blinkt dein Auge,
Wie liebst du mich!
So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,
Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud und Mut
Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Mailied“ wurde 1776 von Johann Wolfgang Goethe geschrieben und beschreibt die Liebe des lyrischen Ichs zu einem Mädchen. Da als Motiv der Frühling gewählt wird, ist es ein Vergleich der Schönheit der Natur mit der Liebe. Diese Schwärmerei und völlige Hingabe sind typisch für die Epoche des Sturm und Drang.
Der äußeren Form nach ist das Gedicht ein Lied, es hat neun vierzeilige Strophen mit dem Reimschema abcb, nur die dritte Strophe reimt sich nicht. Das Metrum1 ist aufsteigend und wird fast durchgängig eingehalten.
Diese äußere Form unterstützt die Fröhlichkeit und Leichtigkeit, die auch weiterhin im Gedicht zum Ausdruck kommt.
Inhaltlich drückt das Gedicht die Schönheit der Liebe durch Vergleiche mit der Natur aus, wobei es eine Entwicklung von allgemeiner Naturbegeisterung über Vergleiche mit der Liebe hin zur Liebe des lyrischen Ichs zu einem bestimmten Mädchen gibt.
In der ersten Strophe wird zunächst die uphorische Begeisterung über die Schönheit der Natur ausgedrückt, wozu eine sehr bildhafte Sprache genutzt wird, z. B. im ersten Vers „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!“
Auch die Personifikation2 „Wie lacht die Flur!“(V.4) unterstützt den Ausdruck der Freude des lyrischen Ichs, ebenso wie die Anapher3 mit „Wie…“ in den Versen 1, 3 und 4 die Begeisterung ausdrückt. Die einfache Satzstruktur soll zeigen, wie unbekümmert das lyrische Ich seine Gefühle ausdrückt.
In der nächsten Strophe setzt sich die Naturbegeisterung fort, Naturereignisse werden genauer beschrieben. Die Blüten, die „Aus jedem Zweig“(V.6 ) dringen sind hier gleichzusetzten mit den Gefühlen des lyrischen Ichs, die auch unbedingt an die Oberfläche kommen müssen. Die Metapher4 „Und tausend Stimmen/Aus dem Gesträuch“(V.7 – 8) deutet die Lebendigkeit des Frühlings an. Der Satz geht in der nächsten Strophe weiter, in der die Verbindung zu menschlichen Gefühlen hergestellt wird. Die Akkumulation in den Versen 11 – 12 verdeutlicht die Gleichsetzung von Natur und Glücksempfinden, durch die Interjektion5 „O…“ (V. 11 – 12) wird abermals die ekstatische Euphorie des lyrischen Ichs verstärkt.
In der nächsten Strophe wird die Liebe beschrieben und mit einem Naturereignis verglichen. Hier gibt es bereits eine Vorausdeutung auf ein religiöses Themenfeld, nämlich durch den Ausdruck „Auf jenen Höhn“(V. 16), womit wahrscheinlich der Himmel im religiösen Sinne gemeint ist.
Dieses Themenfeld wird in der fünften Strophe wieder aufgegriffen, da es weiterhin um die Liebe geht. Die Personifikation „Du segnest herrlich/Das frische Feld“ (V. 17 – 18) sagt also aus, dass die Liebe göttlich ist. Die Synästhesie6 „Blütendämpfe“ (V.19) betont die betörende Wirkung der Liebe, die alle Sinne erfasst.
In der sechsten Strophe konkretisiert das lyrische Ich seine Empfindungen, es berichtet von dem Mädchen, das die Liebe auch erwidert. Der Parallelismus in den Versen 22 – 23 betont die Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Gefühle, dadurch, dass die Sätze Ausrufe sind, wird die Begeisterung noch einmal herausgestellt.
In der folgenden Strophe vergleicht das lyrische Ich seine Liebe zum Mädchen mit verschiedenen Naturereignissen: Zunächst mit einer Personifizierung einer Lerche (V.25 – 26), die „Gesang und Luft“ liebt. Diese beiden Begriffe drücken den Lebensinhalt des Vogels aus, also ist der Lebensinhalt des lyrischen Ichs die Liebe zum Mädchen. Gleiches lässt sich über die Personifikation der „Morgenblumen“ (V. 28) sagen.
In der 8. Strophe wird der Vergleich weitergeführt, außerdem gibt es einen Strophensprung zur letzten Strophe. Das lyrische Ich spricht das Mädchen an, beteuert nochmals seine Liebe und sagt, dass sie ihm Lebenskraft und Inspiration gebe (V. 31 – 34). Besonders die Liebe als Inspirationsquelle „zu neuen Liedern und Tänzen“ (V. 33 – 34) zeigt, dass das lyrische Ich ein Künstler ist, was ebenso typisch für die Epoche des Sturm und Drang ist.
Die letzten beiden Zeilen deuten auf die Unvergänglichkeit der Liebe hin, das Glück, dass das lyrische Ich dem Mädchen wünscht ist allerdings von der Erwiderung der Liebe abhängig. Dieser Zwiespalt zwischen Entselbstigung und völliger Hingabe einerseits und Selbstbehauptung andererseits spiegelt ebenfalls den Kerngedanken der Sturm-und-Drang-Zeit wider.
Jedoch überwiegt des Aspekt der selbstlosen Liebe in Verbindung mit der Natur in diesem Gedicht, wodurch die Interpretationshypothese gestützt wird.
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