Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Das vorliegende Gedicht „Der Abschied“ von Johann Gottfried von Goethe, welcher 1749 in Frankfurt am Main geboren und im Jahre 1832 in Weimar gestorben ist, stammt aus dem Jahre 1770 und ist somit der Epoche des Sturm und Drang zu zuordnen.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen, die jeweils vier Zeilen enthalten und hat eine eher traurige Thematik wie der Titel „Der Abschied“ den Leser bereits ahnen lässt.
Das Gedicht handelt von einem lyrischen Ich, welches voller Trauer und Einsamkeit von einer Person erzählt, die ihm sehr nahe gestanden hat und möglicherweise auch die Geliebte bzw. der Geliebte war.
Die Literaturepoche des Sturm und Drang bezeichnet eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, welche auf die Jahre 1765 bis 1785 datiert werden kann, und wird auch als Geniezeit bezeichnet, da besonders Dichter und Künstler als tätige Menschen herausgehoben und als Beweis des Fortschritts verherrlicht wurden.
Das „Genie“ bezeichnet einen Künstler, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist und frei von jeglichen Regeln im ästhetischen und gesellschaftlichen Sinne handelt.
Kennzeichnend für diese Epoche war der Vorrang des „Wollens“ vor dem „Sollen“ und die Vitalität. Spontanität und vor allem Emotionalität des Menschen, welcher nun nicht mehr nur aus Verstand und Rationalität besteht, wie in der Aufklärung, sondern ein eigenständig denkendes und fühlendes Individuum ist, welches frei von jeglicher Bevormundung und stattdessen mit schrankenloser Selbstentfaltung lebt. Der in der Aufklärung herrschende Deismus weicht dem Pantheismus, welcher besagt, dass Gott Natur ist und der Mensch ein mit ihr in Symbiose stehender Teil.
Demzufolge wurden Werte wie Freiheit, Liebe, Freundschaft und vor allem die unmittelbaren Empfindungen für die Natur gepriesen, da diese zu der Zeit als Quelle der Kreativität und des Unverfälschten gilt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Sturm und Drang eine Wendung gegen die in der Aufklärung herrschende bzw. angestrebte Rationalität und eine literarische Revolte gegen die damaligen gesellschaftlichen Zustände war, was anhand der Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und den absolutistisch-autoritären Herrschaftsstrukturen sowie dem emotionalen Schreibstil der Dichter deutlich wird.
Wie in der Einleitung bereits festgestellt, besteht das Gedicht „Der Abschied“ aus insgesamt 4 Strophen. In der ersten Strophe (Zeile 1-4) nimmt das lyrische Ich Abschied von einer geliebten Person und dem Leser wird durch die Aussage „und ich bin doch sonst ein Mann“ (V. 4) deutlich, dass es sich bei dem lyrischen Ich um eine männliche Person handelt. In der zweiten Strophe (Zeile 5-8) gibt sich das lyrische Ich der umfassenden Trauer über den Abschied von einem geliebten Menschen hin und äußert, dass nicht einmal der schönste Liebesbeweis dieser Stunde seine Grausamkeit nehmen könnte. In der dritten Strophe (V. 9-12) verfällt das lyrische Ich in eine frühere Erinnerung an seinen geliebten Menschen und erzählt, welche eine Freunde selbst „ein leicht gestohlnes Mäulchen“ (V. 9), also ein Kuss, ihm bereitet hat. In der letzten Strophe (V. 13-16) sagt das lyrische Ich, dass es nun niemanden gibt, dem er einen Kuss oder eine Rose schenken kann und benutzt den kalten, dunklen und nassen Herbst als eine Metapher1 für seine derzeitige Gefühlslage.
Das Gedicht besteht aus alternierenden weiblichen und männlichen Kadenzen2, beispielsweise in Zeile 1 und 3 „sagen“ und „tragen“ (weibliche Kadenz) und in Zeile 2 „kann“ und „Mann“ (männliche Kadenzen).
Durch Enjambements3 mit reinen Kreuzreimen mit dem Reimschema abab wird ein rhythmisches aber dennoch nicht hektisches Lesen des Gedichtes ermöglicht. Der Autor verwendet viele Satzzeichen und deutet dem Leser damit an, in welchem Tempo gelesen und wo eine Pause eingelegt werden muss.
Im Folgenden gilt es, sich mit den einzelnen Strophen und den dort verwendeten Stilmitteln zu beschäftigen.
In der ersten Strophe (Zeile 1 bis 4) herrscht aufgrund des nahenden Abschiedes eine sehr düstere und traurige Atmosphäre. Gleich in den ersten beiden Zeilen findet der Autor eine Verwendung für die Synästhie „Aug [...] sagen“ und „Mund […] nehmen“ (Zeile 1 u. 2) und bestärkt somit das Gefühl der Trauer und Schwere, die das lyrische Ich beim Abschiednehmen überkommt. In der darauffolgenden Zeile drei findet sich die Interjektion4 „Schwer, wie schwer ist er zu ertragen!“ und die Anapher5 in dem Adjektiv „schwer“, womit die Gefühlslage des lyrischen Ichs durch eine eigene Aussage untermauert wird. Die Inversion6 „und ich bin doch ein Mann“ in der darauffolgenden Zeile verrät dem Leser, wie bereits festgestellt, dass das lyrische Ich männlich ist und enthält die versteckte Aussage „Ich bin ein Mann, dieser Abschied sollte mir nicht so nahe gehen, sollte mich nicht so zerschmettern. Ich (als Mann!!!) muss stark sein.
In den folgenden Zeilen 5 und 6 befindet sich eine Personifikation7 „Traurig wird in dieser Stunde/ selbst der Liebe süßstes Pfand“. Das lyrische Ich ist also der Meinung, dass dieser Abschied so traurig ist, dass selbst ausgetauschte Liebesbeweise nicht mehr lieblich und schön sind, sondern eher bitter schmecken und den Beigeschmack des Abschiedes tragen.
Betont wird dies nochmal durch die Veränderung der natürlichen Satzstellung in Zeile 5 und 6.
Zeile 7 und 8 bergen einen Parallelismus und eine Alliteration8 „Kalt der Kuss“ und gehen nun auf den nicht mehr prickelnden, sondern matten und kalten Körperkontakt der beiden Liebenden ein. In der darauffolgenden Strophe 3 wird die für den Sturm und Drang typische Leidenschaft, Sehnsucht und Liebe in einer Erinnerung des lyrischen Ich an warme Frühlingstage ausgedrückt. Der Autor hat sehr geschickt den März, einen Frühlingsmonat, in dem ein Umbruch und Wechsel der Jahreszeiten stattfindet und die Natur zum Leben erwacht und erneut aufblüht, gewählt.
Demzufolge ist die Atmosphäre in dieser Strophe sehr heiter, jugendlich und aufgeweckt.
Im Kontrast dazu steht die nächste Strophe (Zeile 13-16) welche mit dem Wort „Doch“ (V. 13) eingeleitet wird und eine sehr düstere und traurige Atmosphäre aufwirft. Der Leser wird somit plötzlich aus der Erinnerung an einen warmen Frühlingstag gerissen und in die grausame Gegenwart befördert, in der keine „Kränzchen“ (Zeile 13) gepflückt oder Rosen geschenkt werden. Die Alliteration „kein Kränzchen“ hört sich sehr hart und bestimmt an und verleiht dem lyrischen Ich ein dominantes Selbstbewusstsein.
Das Gedicht endet in Zeile 15 und 16 mit dem Ausruf „Frühling ist es, liebes Fränzchen / Aber leider Herbst für mich!“ Hier spricht das lyrische Ich seine Geliebte erstmals direkt mit ihrem Namen „Fränzchen“ und einem sehr sarkastischen „liebes“ (Zeile 15) an und äußert, dass es zwar die Jahreszeit Frühling ist, die gerade alles draußen aufblühen lässt und herrscht, jedoch der Herbst in seinem Herzen tobt. Somit dient der Herbst, eine kalte, dunkle und regnerische Jahreszeit hier als Metapher und symbolisiert die Trauer, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit des lyrischen Ichs aufgrund des letzten Abschiedes von seiner ehemaligen Geliebten.
Schlussfolgernd lässt sich also sagen, dass das Ende des Gedichtes zwar ein wenig traurig, aber vielmehr etwas wütend und provokant seitens des lyrischen Ichs ist. Dieser durchläuft eine Reihe von verschiedenen Emotionen und wandelt die anfängliche Trauer und Einsamkeit in Wut um.
Vergleich zu „Magere Kost“ von Hilde Domin
Das zweite Gedicht trägt den Titel „Magere Kost“ und wurde im Jahre 1962 von Hilde Domin verfasst, wodurch es ein Teil der Gegenwartsliteratur ist. Das Gedicht besteht aus drei Strophen, von denen die erste und dritte Strophe jeweils sechs Zeilen haben und die zweite Strophe zehn. „Magere Kost“ stellt einen ähnlichen Sachverhalt wie „Der Abschied“ von Goethe dar: Die schwere Thematik des Liebeskummers. Das lyrische Ich spricht hierbei immerzu von einer Stimme, welche sie am Leben hält und nährt. Die Sprache des Gedichtes ist recht modern und verständlich, die Sätze größtenteils simpel formuliert, aber einige auch sehr kurz. (z. B. Zeile 6) Satzzeichen werden verwendet, jedoch gibt es keine Ausrufe und rhetorische Fragen. Das Gedicht besteht sowohl aus weiblichen als auch männlichen Kadenzen und die Sätze gehen über das Versende hinaus.
Im Gegensatz zu dem ersten Gedicht ist kein Reimschema vorhanden, was ein wenig planlos und hektisch wirkt und die Verlorenheit, das Durcheinander im Kopf des lyrischen Ich betont. In den ersten drei Zeilen der ersten Strophe lässt sie die Anapher „Ich“ finden. Das lyrische Ich beschreibt offensichtlich seinen tristen Alltag und lässt dabei eine sehr traurige und depressive Stimmung aufkommen. Es lässt die Blumen verwelken und absterben, kümmert sich genauso wenig um sie wie um sich selbst. In Zeile fünf wird durch die Aussage „Es lohnt nicht den Finger zu heben“ die Lebenseinstellung des lyrischen Ich an den Leser vermittelt: offensichtlicher Nihilismus, welcher jegliche Sinnhaftigkeit des Lebens verneint.
In der darauffolgenden Strophe 7 bis 16 verliert das lyrische Ich sich in einer alten Erinnerung und beginnt dies mit deiner direkten Anrede. „Deine Stimme, die mich umarmt hat [...]“ (V. 7) und reflektiert über die letzten Tage, welche es scheinbar alleine in Trauer und Trostlosigkeit verbracht hat. „Ich habe jeden Tag [...], ich habe viele Tage [...]“ verrät dem Leser, dass das lyrische Ich schon seit längerem leidet und „Bescheiden wie die Tiere der Armen (…) die schütteren Halme zupft(en)“.
Die dritte Strophe (Zeile 17-22) wird mit dem Parallelismus „So wenig, so viel“ eingeleitet und bildet somit einen scharfen Kontrast. Hier äußert das lyrische Ich ganz offen, dass es die Stimme, die es nährt, zum Überleben braucht. Das Gedicht endet mit der Aussage „Ich atme nicht/ohne diese Stimme“ und lässt den Leser sehr nachdenklich zurück.
Fazit
Beide Gedichte greifen ein und dieselbe Thematik auf: den Liebeskummer eines Verlassenen und all die düsteren Emotionen, den dieser mit sich zieht.
Ein wichtiger Unterschied ist jedoch, dass die Gedichte den Liebeskummer aus unterschiedlicher Zeit betrachten. In Goethes Gedicht steht der herzzerreißende Abschied kurz bevor bzw. findet gerade statt, wohingegen bei „Magere Kost“ bereits eine gewisse Zeitspanne verstrichen ist.
Die Liebeserlebnisse werden in beiden Gedichten recht ähnlich beschrieben: die aufkommende Stimmung ist sehr erdrückend, kalt und deprimierend, wobei bei „Magere Kost“ durch den Nihilismus etwas Depressives hinzukommt.
Die Sprache der beiden Gedichte unterscheidet sich dadurch, dass Goethe in seinem Gedicht eine klare Struktur und auch ein Reimschema hat und auch die Sätze länger und ausführlicher sind. Ebenso werden einige Wörter verwendet, welche nicht mehr aktuell sind.
Bei dem Gedicht von Hilde Domin gibt es jedoch keine klare Struktur und auch kein festgelegtes Reimschema, jedoch, genauso wie bei Goethes Gedicht, viele Enjambements.
Der bei weitem wichtigste Unterschied zwischen beiden Gedichten ist jedoch das Fazit, welches am Ende von den lyrischen Ichs gefällt wird.
Während das lyrische Ich in Goethes Gedicht eine emotionale Entwicklung durchläuft und die anfängliche Trauer, Einsamkeit und Frustration in Wut und sogar selbstbewusste Vorwürfe verwandelt, verfällt das lyrische Ich in dem Gedicht von Hilde Domin in eine noch tiefere Trauer und Depression.
Beide lyrischen Ichs stehen unterschiedlich zu ihrem ehemaligen Geliebten: Bei Goethe scheint das lyrische Ich seine Geliebte ein wenig hassen und provozieren zu können gelernt, wohingegen bei Hilde Domins Gedicht das lyrische Ich dem Geliebten weiterhin nachtrauert und sich voller Verzweiflung an das einzig gebliebene, Erinnerungen, klammert.
Beide Gedichte zeigen, dass der Liebeskummer in der Literatur den Menschen immer beschäftigen wird und auch, dass verschieden damit umgegangen wird.