Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Maifest“ stammt aus der Epoche des Sturm und Drang und wurde von Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1771 verfasst.
Nach erstem Lesen fällt zweifelsohne auf, dass das Gedicht die Themen Liebe und Natur behandelt und die Liebe das Hauptthema darstellt, weswegen das Gedicht auch als Liebes- oder Naturgedicht verstanden werden kann.
In den ersten zwei Strophen beschreibt das lyrische Ich ausschließlich die Natur. In der dritten Strophe werden auch Gefühle mit eingebracht, die zur vierten Strophe, die die Liebe gestaltet, überleiten. In Strophe fünf spricht das lyrische Ich die Liebe direkt an und schreibt ihr göttliche Eigenschaften zu. Im nächsten Absatz wird dem Leser klar, dass die Euphorie des Sprechers und die Beziehung zur Liebe durch ein Mädchen entstanden sind. In Strophe sieben schafft Goethe eine Brücke von der Liebe zurück zum Anfangsthema, der Natur. Der Schluss drückt aus, wie sehr die Liebe das Leben des lyrischen Ichs auf positive Weise beeinflusst und ihm zu neuer Kreativität verhilft.
Ein sehr zentrales Thema in diesem Gedicht ist, neben der Liebe, die Natur. Diese erwähnt das lyrische Ich auch gleich zu Beginn „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!“ (vgl. V. 1). Auch im Laufe des Gedichts wird immer auf die Natur zurückgegriffen durch die Substantive „Blüten“ (V. 5), Sonne (V. 3), Feld (V. 18) oder durch den Komparativ1 „Himmelsduft“ (V. 28).
Die Natur ist stellvertretender Schauplatz für das Gefühl des lyrischen Ichs. So intensiv, wie der Verliebte den Frühling genießt und wahrnimmt, so nimmt er auch die Liebe zu seinem Mädchen wahr. Dieses positive Gefühl wird sowohl durch da Glück (V. 12), das das lyrische Ich erwähnt, als auch durch einige emotionale Adverbien, wie zum Beispiel „herrlich“ (V. 1), „golden schön“ (V. 14) und Verben, wie „glänzt“ (V. 3) und „lacht“ (V. 4) bestärkt.
Die Liebe zu dem Mädchen drückt der Sprecher durch zahlreiche Vergleiche aus, wie beispielsweise in Vers 22 „Wie lieb ich dich!“ und macht klar, dass auch das Mädchen diese Liebe erwidert (V. 24: „Wie liebst du mich!“). Wie stark dieses Gefühl ist, wird durch die Ausrufezeichen unterstrichen und durch Wörter verstärkt, die ein jeder mit der Liebe verbinden kann, wie „Freude“ (V. 9), oder „glücklich“ (V. 35).
Außerdem fügt das lyrische Ich Sinneseindrücke, wie „frisch“ (V. 18) oder „Duft“ (V. 28) hinzu, welche das Gedicht lebhaft wirken lassen.
Dieser Frohsinn und diese Lebendigkeit werden auch veranschaulicht durch die Anapher2 in Vers elf und zwölf und durch die liedhaft aufgebaute äußere Form des Gedichts.
Es ist in neun Strophen mit jeweils vier Versen geschrieben. Insofern ist also ein geordneter Aufbau der Strophen zu erkennen, die jedoch durch Zeilensprünge ineinander überfließen, was eine gewisse Dynamik herstellt.
Goethe benutzt außerdem kein geordnetes Reimschema. Dies drückt die Aktivität des Verliebten und der Natur aus und bekommt durch den fast durchgehend verwendeten Trochäus eben dieses liedhafte eines Festes. Dies hebt die Freude und Ausgelassenheit des Gedichts, die schon zu Anfang in der Überschrift indirekt durch das „Maifest“ angesprochen wird.
Vergleich mit „Neues Mailied (zum Mitsingen)“ von Herrmann-Neiße
Auch bei Neißens Gedicht aus dem Jahr 1927 hat die Überschrift „Neues Mailied (zum Mitsingen)“ den Anschein, als sei es ein ausgelassenes, freudiges Gedicht jedoch lässt sich, wie auch bei Goethe, aus dem Titel nicht direkt erschließen, was das Gedicht neben dem Frühling thematisiert.
Wie auch in Goethes „Maifest“ fließen mehrere Themen, beziehungsweise mehrere Eindrücke des Erlebens ineinander, wie die Natur, die Empfindung eines Gefühls und die Beziehung des lyrischen Ichs zu jemand anderem.
Beim „neuen Mailied“ wird das Erlebte jedoch in einer sehr negativen Weise dargestellt und zeigt somit schon beim formalen Lesen einen sehr großen Kontrast zu Goethes Gedicht.
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich den Mai und es ist ab dem ersten Vers klar, dass er kein positives Bild von diesem hat (V. 1: „Der Mai ist zum Kotzen“), wohingegen Goethe den Mai in seinem Gedicht als Ausdruck der Liebe benutzt.
In der zweiten Strophe wiederholt der Sprecher nochmals seine Abneigung gegen den Frühlingsmonat durch hyperbolische Behauptungen wie sehr der Mai jemanden „zerstören“ würde, zum Beispiel indem „die Bowlen ausschlagen“ (vgl. V. 10), oder die Sohlen nach einem Tag in der Natur gar zerrissen seien (vgl. V. 13).
Dadurch schafft es Neißen, die Natur als etwas Handelndes und Aktives darzustellen. Dies schafft auf gewisse Weise eine Parallele zu Goethes „Maifest“, da auch in diesem die Natur als lebendig und aktiv dargestellt wird.
Außerdem ist sowohl bei Neißen als auch bei Goethe die Wirkungsweise der Natur ausschlaggebend für die Gefühle. Dies veranschaulicht Neißen in seinem Gedicht vor allem in der dritten Strophe an dem Verhalten der Menschen in seiner Umgebung, welche sich von den Frühlingsgefühlen verleiten lassen und somit ein, für ihn, falsches Bild abgeben.
So wird der „Geizhals zum Genießer“ (vgl. V. 21) und „Verliebte zu Wilden“ (vgl. V. 22). Das lyrische Ich empfindet also das, gerade im Frühling, sehr intensive Liebesgefühl als störend, wohingegen die Liebe des Sprechers im „Maifest“ durch den Frühling nur noch mehr verstärkt wird. Bei Goethe bringt der Mai also die Gefühle zum Wallen und verhilft dadurch Verliebten zu neuen Liedern und neuer Kreativität (Goethes Maifest V. 33 f.). Bei Neißens Gedicht wird der Mai wie ein „Ramschbasar“ (V. 26) dargestellt, der ein „mausiges“ Verhalten zeigt (vgl. V. 25) und daneben auch vergänglich ist (vgl. V. 32: „nicht sehr dauerhaft“). Dies wird auch in der letzten Strophe nochmals wiederholt (V. 34 und V. 38) durch das Wort „noch“. Mit dem Frühlingsende und dem Sommerbeginn scheint für das lyrische Subjekt damit auch die Euphorie zu Ende zu gehen und somit auch die starken Liebesgefühle.
Bei Goethe wird nicht beschrieben, was am Ende des Mais geschieht, jedoch kann man vermuten, dass sich das Pärchen auch nach Ende des Monats noch lieben wird (Goethes Maifest: vgl. V. 35 f.: „Sei ewig glücklich, wie du mich liebst“). Der Sprecher im „neuen Mailied“ scheint generell eine allgemein negative Haltung zum Leben zu haben. Dies wird im letzten Vers nochmals deutlich mit der rhetorischen Frage was, außer dem Mai, nicht zum „Kotzen“ sei (vgl. V. 39 f.).
Beim „neuen Mailied“ zieht sich also als überwiegendes Gefühl der Pessimismus durch das gesamte Gedicht, wohingegen das „Maifest“ von purem Optimismus dem Leben gegenüber begleitet wird.
Dieser Optimismus und die euphorische Stimmung entstehen bei Goethe auch durch das gleichmäßige Metrum3, wodurch sich das Gedicht mit einem liedhaften Ton sprechen lässt. Neißens Gedicht hat zwar auch ein geordnetes Reimschema, den Kreuzreim, folgt hingegen keinem Metrum und zerstört somit die Illusion des „Mitsingens“, zu welchem der Leser in der Überschrift aufgefordert wird. Dies untermauert den grundsätzlich ironischen Unterton des Gedichts.
Beide Werke, so unterschiedlich sie von der Aussage auch sein mögen, zeigen, dass unsere Sicht auf das Umfeld sehr durch unsere Gefühle bestimmt wird und wir die Dinge oft anders wahrnehmen, je nachdem, wie wir gerade empfinden.
Die Lehre, die man daraus ziehen kann ist also die, dass der Mensch in seinen Aktionen durch den aktuellen Gemütszustand sehr beeinflussbar ist. Mit dieser Erkenntnis können wir uns sehr gut bewusst machen, wieso wir in ähnlichen Situationen oft unterschiedlich handeln.