Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epoche: Sturm und Drang / Geniezeit Strophen: 7, Verse: 58 Verse pro Strophe: 1-12, 2-9, 3-7, 4-9, 5-9, 6-5, 7-7
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöh'n!
Musst mir meine Erde
Doch lassen steh'n,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn' als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wusste, wo aus, wo ein,
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du's nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?
Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In den verschiedenen Schöpfungsmythen der frühen Hochkulturen gibt es unterschiedliche Mythen, die das Werden des Menschen erklärten. Die alten Ägypter erhielten ihren ersten Pharao, Horus, durch Isis und Osiris, die ersten Menschen wurden von Thot geschaffen. Eine weitere Auffälligkeit der verschiedenen Schöpfungsgeschichten ist, dass sie untereinander Parallelen aufweisen. So wird in der christlichen Version Adam aus Lehm geformt, genauso erklärten sich auch einige nordamerikanische Indianerstämme und die Griechen das Entstehen der Menschen. Prometheus, der nach dem griechischen Mythos die ersten Menschen schuf, ist den meisten nur aus der Herakles-Saga bekannt, wo er von dem gleichnamigen Helden befreit wird. Beim Lesen des Gedichtes „Prometheus“ von Goethe erhält man den Eindruck, dass der Titan gerade dabei ist die Menschen zu erschaffen. Es wird dem Leser, oder auch Zeus erklärt, weshalb dies geschieht.
Interessant ist auch das Entstehungsjahr des Werkes: 1774, Goethe ist zu dieser Zeit 25 Jahre alt und ein Vertreter des Sturm und Drangs. 1774 – In diesem Jahr erscheinen die „Leiden des Jungen Werthers“, die Grundgedanken dieser beiden Werke müssten einige Parallelen aufweisen. Vor der Betrachtung der einzelnen Strophen sollten jedoch zunächst die „Hauptfiguren“ des Gedichtes – Zeus und Prometheus – besser betrachtet werden. Diese beiden griechischen Götter stellen einen Gegensatz dar. Prometheus entspringt dem alten Göttergeschlecht, den Titanen. Zeus hingegen gehört den „neuen“ Göttern an, zwar hat Prometheus an Zeus Seite gegen sein eigenes Geschlecht gekämpft, trotzdem bleiben beide Gegenspieler.
So rebelliert Prometheus schon in dem ersten Vers der ersten Strophe: „Bedecke deinen Himmel, Zeus/ Mit Wolkendunst“. Diese Aufforderung des Titanen ist sehr gewagt, wendet er sich doch gegen den Obersten der Götter. „Bedecke“, dieses Verb spielt einerseits auf die Wolken selbst an, andererseits aber auch auf Zeus, dessen Reich der Äther ist. Er soll sich hinter „seinen“ Wolken verstecken. Das Wort „Wolkendunst bekommt in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutung. Wolken bestehen aus Dunst, allerdings ist auch Dunst die Bezeichnung für etwas, was nur zu sein scheint, aber nicht ist. Hiermit wird inhaltlich der Weg für die nächste Aufforderung geebnet: „[…] übe eines Knaben gleich/ Der Disteln köpft/ An Eichen dich […]“ Dieser Vergleich setzt Zeus einem unreifen Kind gleich, dass man zunächst seine Kräfte proben lässt, bevor es in Aktion treten darf. Interpretierte man diese Zeilen freier, so wird das Wort „Dunst“ zur Metapher1 für das Verhalten Zeus. Er gibt vor stark zu sein, lässt sich aber unüberlegt von seinem Zorn leiten. Wie ein „Knabe“ soll er seine Scheingefechte führen und seinen Zorn an „Eichen und Bergeshöhn“ auslassen. Hier ist bezeichnend, dass Prometheus ihn auffordert einen Baum zu zerstören, der anders als die auch in Griechenland wachsenden Oliven- und Zitrusfruchtbäume, dem Menschen keinen Nutzen bringt. Zeus, das Oberhaupt der Götter, soll seinen ungerechtfertigten Zorn, der dem Neid entspringt, nicht an dem, was Prometheus geschaffen hat, auslassen. Vielmehr noch weist der Titan ihn daraufhin, „[…] Musst mir meine Erde/ Doch lassen steh’n […]“, mit diesen Worten wird verdeutlicht, dass Zeus zwar die Gewalt über den Himmel und seinen „Wolkendunst“ hat, nicht aber über die Erde, auf der Hütte und Herd Prometheus stehen. Der Parallelismus „Und meine Hütte die [Zeus] nicht gebaut/ Und meinen Herd“ zentrieren den Blick auf das Schöpfertum Prometheus, das Zeus in seine Schranken versetzt. Der Titan wagt es ihm zu verdeutlichen, dass Zeus Macht nur in seinem ursprünglichen Gefilde – der Luft und dem Himmel – Wirkung hat.
Schon in dieser ersten Strophe klingt eine leise Verachtung des lyrischen Ichs für Zeus mit, in der zweiten wächst diese. Prometheus distanziert sich mit ihr von den anderen Göttern. Teilweise könnte man sogar meinen, er verspotte sie. Diese Gefühle werden unter anderem durch die Verwendung des Satzes „Ich kenne nichts Ärmeres/ Unter der Sonn’ als euch Götter!“ deutlich. Das Wort „Sonn’“, das eigentlich an etwas Strahlendes, Großes, Anbetungswürdiges anzeigt, verkleinert mit dem Zusatz „Ärmeres […] unter“ die Macht der Götter. Sie verdanken ihre Herrlichkeit und Wesen nicht ihrer eigenen Leistung, sondern sie leben und „nähren“ sich „kümmerlich“ von „Opfersteuern/ Und Gebetshauch“. Diese Beschreibung ist auch eine versteckte Anspielung auf die christliche Kirche. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Gedichtes leben Kirche und Klerus von dem Zehnt, der hier mit „Opfersteuern“ angedeutet wird, und weiteren Abgaben, die die Bevölkerung zu leisten hat. Der dritte Stand finanziert mit ihnen das ausschweifende Leben der ersten beiden Stände, die selbst keine Steuern zu zahlen haben und viele Privilegien, wie zum Beispiel das Jagdrecht, besitzen. Ähnlich verhält es im Gedicht mit den Göttern, die durch die Opfer von „Kindern“, „Bettlern“ und „hoffnungsvollen Toren“ leben. Die Aufzählung nennt drei Gruppen von unmündigen Personen, die sich auf die Autorität verlassen und warten, anstatt selbstständig zu denken.
In der dritten Strophe folgt ein weiterer Anklagepunkt Prometheus. Die Götter haben ihre Aufgabe, sich um die, die zu ihnen beten, zu kümmern, nicht erfüllt. Sie haben die Opfergaben entgegengenommen, aber die Hilfesuchenden im Stich gelassen. Das lyrische Ich hat eine Art Rückblende. Als Kind war es noch nicht selbstständig und unabhängig, sondern brauchte jemanden, der es angeleitet hätte in seiner Hilflosigkeit, die wie folgt beschreiben wird: „Nicht wußte, wo aus, wo ein“. Die natürliche Reaktion des Kindes Prometheus war, dass es sich an reifere, ältere Autoritäten wendet. Auch in dieser Strophe findet man das Motiv der Sonne wieder. Anders als zuvor wirkt sie nun aber durch die Augen des Kindes als strahlend, weise und unnahbar. Doch das Besondere an diesen Versen ist, dass das lyrische Ich den Konjunktiv und die Wendung „mein verirrtes Auge“ benutzt. Mit diesen zwei Mitteln enttarnt es die göttliche Sonne als Schwindel. Durch diese Erkenntnis bestürzt versucht es nach Verständnis, wird aber erneut enttäuscht, es findet „[k]ein Herz wie [seins]“.
In der darauf folgenden vierten Strophe führt Prometheus die Anklage weiter, indem er vier Fragen stellt. Die erste spielt auf die griechische Mythologie an. „Der Titanen Übermut“ meint die Schlacht zwischen dem alten Göttergeschlecht der Titanen und dem neuen des Zeus, wobei die Titanen letztendlich verloren. Die zweite Frage ist ähnlich gehalten wie die erste, auch sie ist rhetorisch gemeint und lässt sich schlicht mit „niemand“ beantworten. Interessant ist auch die Wortwahl „Sklaverei“ im vierten Vers der Strophe. Diese Bezeichnung ist nicht nur wortwörtlich zu nehmen. Betrachtet man das lyrische Ich, so kann durch auch eine „geistige“ Sklaverei gemeint sein. Die Unfreiheit Prometheus spiegelt sich in den Dogmen und Zwängen wieder, die die neue Ordnung des Zeus ihm auferlegt und ihn gefangen halten. Hier lässt sich auch eine Parallele zu den Leiden des jungen Werthers erkennen. In dem fast zeitgleich entstandenen Werk befindet sich der Hauptprotagonist in einer ähnlichen Situation. Aber Prometheus ist nicht so determiniert wie Werther. Er besitzt die Kraft sich aus seinem Zustand der Hilflosigkeit und somit Unmündigkeit zu befreien. Die folgenden zwei Fragen verdeutlichen dies. Auch sie sind rhetorisch gestellt und lassen sich beide mit einem klaren, einfachen „Ja“ beantworten. In dem fünften und sechsten Vers der Strophe findet man erneut das Wort „glühen“ vor, auch dieses Motiv aus der ersten Strophe wiederholt sich. Die „Glut“ symbolisiert hier nun eine ideelle des Herzens. Dadurch, dass Zeus als Autorität und höhere Instanz seine Pflicht Prometheus beizustehen nicht erfüllt hat, schwindet auch die Anerkennung des lyrischen Ichs für den obersten Gott. Es ist von ihm „betrogen“ worden.
Die fünfte Strophe nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Hier kündigt Prometheus – stellvertretend für die Vertreter des Sturm und Drangs – den Autoritäten die Gefolgschaft auf. Was sich in den vorhergehenden Strophen schon angedeutet hat, wird hier zusammengefasst. Die Beziehung zwischen Zeus und Prometheus ist einseitig geworden. Die Autorität hat eigentlich mit ihren „Untergebenen“ einen ungeschriebenen Pakt: Sie leitet und schützt die Schwächeren und diese ehren und dienen ihr dafür. Das Achten, Verehren und Opfern ist geblieben, jedoch kommt es nicht mehr zu einer Gegenleistung Zeus. Dadurch sieht sie Prometheus nicht mehr verpflichtet noch zu dienen, er sagt sich los. Diese Einseitigkeit wurde schon im vorhergehenden Text erwähnt. Im 18. Jahrhundert leben Adel und Klerus auf Kosten des dritten Standes, sie selbst als der zweite und erste Stand aber vernachlässigen ihre Aufgaben.
In der fünften Strophe erkennt Prometheus, dass es Instanzen gibt, die höher sind als Zeus. Als Metapher, für weitere Faktoren, die das Leben des lyrischen Ichs formen werden die „allmächtige Zeit“ und das „ewige Schicksal“ genannt. Die Attribute „allmächtig“ und „ewig“ werden meist dem christlichen Gott beigefügt. Goethe zeigt hiermit an, dass dieser eine Gott über den absoluten Herrschern dieser Zeit steht. Vor ihm sind alle Stände gleichberechtigt, so wie Prometheus und Zeus vor Zeit und den Schicksalsgöttinnen, den Moiren, gleich sind, diese beiden sind ihre „Herrn“. Der „Herr“, „Monseigneur“ oder auch „Lord“ steht im kirchlichen Wortfeld für Gott oder Jesus Christus.
Die sechste Strophe ist als 5-Zeiler gehalten und wirft Fragen auf, die erneut an Zeus gerichtet sind. Fasst man ihre Aussagen zusammen, so ergibt sich, dass das lyrische Ich trotz fehlender Unterstützung, die teilweise durch „Knabenmorgen/ Blütenträume“ verdeutlicht wird, nicht aufgegeben hat und zerbrochen ist. Es ist aus der „Wüste“, hier als Metapher für Orientierungslosigkeit zu sehen, zurückgekommen. Die Wüste hat gegen das Leben, gegen die Selbstbestimmung und das Schöpfertum verloren, wie in der letzten Strophe der Hymne erkennbar wird.
Nach einer langen Anklage und Warnung Prometheus an Zeus ergibt sich ein Resultat des Prozesses, den Prometheus durchlaufen hat. Er ist nun ein selbstständiges Individuum und wird selbst zum Schöpfer. Dadurch ersetzt er Zeus Funktion als Autorität, indem er mit seiner Schöpfung einen neuen Pakt eingeht, den er nach der griechischen Saga auch erfüllt hat. Er formt Menschen nach seinem Bilde. Auch hier erscheint die Formulierung Goethe ambivalent. Menschen formen bedeutet, dass man sie lehrt selbstständig zu werden. Außerdem spielt dieser Term ein letztes Mal auf den christlichen Gott an „[der] Adam nach seinem Bilde [schuf] und […] ihm den Odem des Lebens [einblies]“. Auch Prometheus Menschen gleichen ihrem Schöpfer, sie „leiden, „weinen“, „genießen“ und „freuen“ sich wie er. Sie achten die alte Autorität nicht mehr und sind selbst frei und mündig. Er schenkt ihnen die Freiheit selbst entscheiden zu dürfen. Er schenkt ihnen die Freiheit, die er sich erkämpfen musste. Das Werk „Prometheus“ ist eine Hymne an die Freiheit des Einzelnen und seine Fähigkeit selbst zu entscheiden. In dem Sinne ist es auch noch heute, nach mehr als 200 Jahren aktuell.
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