Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das 1771 von Johann Wolfgang von Goethe verfasste Gedicht “Mailied“ handelt von einem lyrischen Ich, das in ein Mädchen verliebt ist und dessen Liebe auch erwidert wird. Seine beschriebenen Gefühle gehen einher mit Beschreibungen einer innig gefühlten Natur. Während des „Sturm und Drangs“, die Epoche, in die sich das „Mailied“ einordnen lässt, ging man davon aus, dass man das Göttliche durch Gefühle wie die Liebe erfahren kann. Außerdem kam zu dieser Zeit der Pantheismus auf, der besagte, dass Gott in allen Dingen in der Natur steckt. Deshalb lässt sich vermuten, dass da lyrische Ich durch die von ihm gespürte Liebe auch das Göttliche in der Natur entdeckt und diese deshalb sehr positiv beschreibt. Außerdem kann man die Vermutung aufstellen, dass es sich um Erlebnislyrik handelt, das heißt, dass das Gedicht von den Erlebnissen, in diesem Fall der Liebe Goethes, inspiriert ist. Denn dieser war zu der Zeit als das „Mailied“ erschien, noch sehr jung und in eine Pfarrerstochter verliebt. Goethe gilt als Begründer dieser Lyrikrichtung (Sesenheimer Lieder).
Der lyrische Sprecher erzählt aus der Ich-Perspektive und ist seiner Umgebung, seiner Situation gegenüber sehr positiv gestimmt, was man an den verwendeten Wörtern wie „herrlich“ und „leuchtet“ (Vers 1), erkennt.
Zunächst beschreibt das lyrische Ich die schöne Natur, in welcher die Vögel zwitschern und die Bäume blühen. Dann erzählt das lyrische Ich von den Emotionen, die es empfindet. Es führt fort, in dem es von der Schönheit des von ihm geliebten Mädchens berichtet und wie groß die gegenseitige Liebe ist. In der vorletzten Strophe beschreibt das lyrische Ich, dass die große Liebe, die es verspürt, zu „Jugend und Freud‘ und Mut“ (Vers 31f.) führt. In der darauffolgenden Strophe möchte der lyrische Sprecher, dass das Mädchen, das er liebt, ewig glücklich bleibt.
Die Form des Gedichts ist klar strukturiert. Es besteht aus neun Strophen mit jeweils vier Versen. Schon die Überschrift „Mailied“, sowie die kurzen Strophen deuten darauf hin, dass es sich bei diesem Text Goethes um ein Lied handelt. Dafür spricht auch, dass das Metrum1 während des gesamten Gedichts der zweihebige Jambus ist. Außerdem führt der ständige Wechsel von männlicher und weiblicher Kadenz2 zu einem rhythmischen Lesen des Lieds. Entscheidend für das Identifizieren als Lied ist jedoch, dass es ein Reimschema gibt. Immer der zweite und vierte Vers stellen einen Endreim da.
Das Lied passt zu der Stimmung des verliebten lyrischen Ichs, dass durch das göttliche Gefühl der Liebe gepackt, alles als ein Wunder betrachtet und es deshalb fröhlich raus trällert.
Beim ersten Lesen des Textes fällt sofort der parataktische Satzbau auf. Die Wirkung auf den Leser ist, dass keine weiteren Erklärungen nötig sind und dass deshalb der Text sehr klar und direkt erscheint. Des Weiteren erscheint der Text dadurch sehr spontan und die Erzählweise wirkt, als würde es frei aus dem lyrischen Ich heraussprudeln, da man im Alltag eher einen parataktischen Satzbau verwendet. Im Zuge des Satzbaus fällt zu dem noch die Häufigkeit der Ausrufe aus. So enden Vers zwei bis vier Verse beispielsweise allesamt mit einem Ausrufezeichen. Schon beim ersten Blick auf das Gedicht, fallen diese häufig verwendeten Satzzeichen auf. Das führt im Kopf des Lesers zu dem Bild, dass das lyrische Ich das Gesagte vor Begeisterung schreit. Das gesamte Gedicht ist vom Motiv der Natur durchzogen, es werden die Geräusche, die das lyrische Ich wahrnimmt und die Eindrücke die es im Freien hat geschildert. Schon der Titel „Mailied“ verweist darauf, dass das Gedicht im Frühling spielt. So wird beispielsweise in der zweiten Strophe das Blühen der Bäume und das Zwitschern der Vögel beschrieben. In vielen literarischen Werken gilt der Frühling als Zeichen des Neuanfangs und als Zeit der Verliebten. In dem Gedicht geht der Neuanfang, das Aufblühen der Natur, einher mit den „Frühlingsgefühlen“ des lyrischen Ichs. In der vierten Strophe zieht der lyrische Sprecher mit den Worten „O Lieb, O Liebe, so golden schön, wie Morgenwolken auf jenen Höhn!“ den Vergleich zwischen seiner empfundenen Liebe, seiner Geliebten und der leuchtenden Natur. Generell findet man in den ersten vier Strophen das Motiv des Lichts und der Sonne wider. Dem lyrischen Ich erscheint alles hell und schön, was der Gefühlslage eines Verliebten entspricht. Die vielleicht dunklen Seiten der Liebe, Wut, Verwirrung, Traurigkeit, werden von dem Protagonisten des Lieds, der im Liebesbann gefangen ist, gar nicht bemerkt. Er blickt durch eine rosafarbene Brille, die jegliche negativen Aspekte des Lebens und der Natur ausblendet. Nur die schöpferische, blühende Natur (vgl. Vers 5f.) und das Göttliche dahinter sind für ihn sichtbar. Doch das schöpferische Genie sieht das lyrische Ich nicht nur in den Bäumen und Wiesen, sondern auch in seiner Geliebten. Denn diese gibt ihm „Freud‘ und Mut zu neuen Liedern und Tänzen […]“ (Vers 32ff.) und ist somit auf ihre eigene Weise schöpferisch tätig. Die vom lyrischen Ich beschriebene Natur lässt sich durchaus auch als Metapher3 verstehen. Das Blühen der Bäume (vgl. Vers 5f.) steht für das Aufblühen der Gefühle im lyrischen Sprecher. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Gedicht gut in den Zeitgeist des „Sturm und Drangs“ passt. Zum einen findet man das Motiv des Naturenthusiasmus und der schöpferischen Natur vor. Dieses Motiv ist im „Mailied“ eng mit dem Liebesethos verknüpft. Das häufig Buchstaben am Ende der Wörter fehlen, passt zu dem Ideal der jungen Dichter sich gegen die Konventionen zu richten. Auch wenn das aufrührerische Gefühl gegen die Obrigkeit fehlt und die Form eher nicht der von „Stürmern und Drängern“ angedachten unkonventionellen entspricht, so ist Goethes „Mailied“ doch ein Kind der Epoche des „Sturm und Drangs“. Denn die Anfangs beschriebene Vermutung hat sich bestätigt. Goethe verbindet die großen Themen Natur und Emotion, insbesondere die Liebe, sowie „das göttliche in allen Dingen“. Dieses Zusammenspiel versetzt den Leser in das Gefühl der frischen Verliebten und führt es ihm als Bild des Frühlings vor Augen.