Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epoche: Sturm und Drang / Geniezeit Strophen: 9, Verse: 36 Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-4, 4-4, 5-4, 6-4, 7-4, 8-4, 9-4
Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!
Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd', o Sonne,
O Glück, o Lust,
O Lieb', o Liebe,
So golden schön
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn,
Du segnest herrlich
Das frische Feld -
Im Blütendampfe
Die volle Welt!
O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb' ich dich!
Wie blinkt dein Auge,
Wie liebst du mich!
So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,
Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud und Mut
Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst.
„Maifest“ vorgelesen von Hörspielsprecher Fritz Stavenhagen
Die Literaturepoche des Sturm und Drangs: Gegenbewegung oder Teil der Aufklärung? Diese und andere spannende Fragen beantwortet euch der Germanist Dr. Tobias Klein von Huhn meets Ei: Katholisch in Berlin im Gespräch mit dem Podcaster Wilhelm Arendt.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Alfred Sisley: Weg in Veneux-Nadon im Frühling (1885)
Unmittelbar nach dem ersten Überfliegen des 9-strophigen Gedichtes fällt sofort die von Goethe angewandte Kumulation der Emphasen auf, welche sich durch das ganze Gedicht fortsetzt. Eingeleitet wird die erste Strophe durch eine sich durch die ersten beiden Verse ziehende rhetorische Frage, gefolgt von zwei Emphasen, die die Begeisterung des Autors über die Natur, möglicherweise einen schönen Frühlingstag, zum Ausdruck bringen sollen. Ein weiteres übergeordnetes Stilmittel der ersten Strophe ist der Parallelismus, zu erkennen an den Versen 1, 3 und 4, von denen jeder mit dem Wort „wie“ beginnt. In der zweiten Strophe geht Goethe weiter auf die Natur ein. Er beschreibt das, was er sieht („Es dringen Blüten aus jedem Zweig“) und das, was er hört („Und tausend Stimmen aus dem Gesträuch“). Auch in den Versen 2 und 4 der zweiten Strophe ist wieder ein Parallelismus zu finden; jeder der beiden Verse beginnt mit dem Wort „aus“. In Strophe 3 findet sich wie auch schon in Strophe 1 das Reimschema des Kreuzreimes. Hier benutzt der Autor die stark positiv konnotierten Wörter „Freund“, „Wonne“, „Sonne“, „Glück“ und „Lust“, was zu einer Verstärkung des in den vorherigen Strophen gewonnenen Eindruckes beim Leser führt. Die beiden letzten Verse dieser Strophe beinhalten insgesamt 4 Emphasen, die gleichzeitig mit Alliterationen1 in einem Parallelismus verankert sind.
Diese „Aufzählung“, die in Strophe 3 beginnt, setzt sich in der vierten Strophe mit dem ersten Vers „O Lieb‘, o Liebe“ fort, woraufhin ein Vergleich mit den „Morgenwolken“ folgt. Goethe stellt im vierten Vers auch die „Höhn“, also die Höhen heraus, in denen sich die Wolken befinden, was beim Leser sofort die Assoziation der „unendlichen Weiten“ und damit der Freiheit weckt, nach der jeder Mensch strebt und die, wie man offensichtlich erkennen kann, aus diesen Gründen eindeutig etwas Positives verkörpert. In Strophe 5 setzt Goethe die in diesem Gedicht ausführliche Beschreibung der Natur fort, indem er, wie auch in diversen vorherigen Strophen, auf einen sogenannten Kreuzreim zurückgreift. Im zweiten Vers der fünften Strophe ist ein Gedankenstrich abgedruckt, der bewirkt, dass der Leser aufgrund der gemachten kurzen Pause das vorher Gelesene wirken lässt und es unter Umständen auch besser versteht. Am Ende der fünften Strophe folgt ein Vers, der mit einem Ausrufezeichen beendet ist, um dessen Wirkung zu verstärken. Die sechste Strophe beginnt, wie auch schon die vierte Strophe, mit einer Emphase, gefolgt von einer Wiederholung des Wortes „Mädchen“, wodurch zum ersten Mal in diesem Gedicht überhaupt eine Person genannt wird. In Vers 2 gesteht das „lyrische Ich“ mit äußerster Deutlichkeit seine Liebe zum oben angesprochenen „Mädchen“. Die Verse 2, 3 und 4 der sechsten Strophe beginnen alle mit dem Wort „wie“, jedoch nicht als Fragewort, sondern zur Verstärkung des hier vom „lyrischen Ich“ Gesagten angewandt. Auch in dieser Strophe verwendet Goethe das Reimschema des Kreuzreimes; der letzte Vers endet ebenfalls mit einem Ausrufezeichen, was genau wie oben auch lediglich zur Verstärkung des Gesagten dient.
In Strophe 7 nennt Goethe dann erneut die Natur, die in der vorherigen Strophe keine Erwähnung gefunden hat. Er beschreibt, wie Pflanzen, hier die Lerche und die Morgenblumen, andere Dinge in ihrem Umfeld „lieben“. Anschließend wechselt Goethe erneut das Thema von Natur zu Liebe, und lässt das „lyrische Ich“ wieder das „Mädchen“ anhimmeln. Gerade der Ausdruck „warmes Blut“ in Vers 2 der achten Strophe wird vom Leser mit Dingen wie Leidenschaft und Liebe verbunden. Genau dies ist hier Goethes Absicht, nämlich die Gefühle des Lesers anzusprechen und ihn so zu berühren. Die neunte und letzte Strophe ist in zweierlei Hinsicht etwas Besonderes. Einerseits steht sie zentral in der Mitte, unter zwei Spalten, die jeweils 4 Strophen enthalten, wodurch ihre Wichtigkeit schon rein optisch auszumachen ist und andererseits ist sie sozusagen die „Auflösung“ des Gedichtes. In der letzten Strophe verbindet Goethe das erste Mal in dem ganzen Gedicht zwei Verse rein inhaltlich miteinander. Das „lyrische Ich“ begründet seine Liebe zum „Mädchen“ mit der Tatsache, dass das „Mädchen“ es dazu anregt, immer neue „Lieder und Tänze“ zu schreiben. Hier stehen die Lieder für das geistige Werk, wohingegen die Tänze für das Körperliche stehen, was dadurch zu belegen ist, dass Goethe in der vorherigen Strophe das Wort „Jugend“ in diesem Zusammenhang verwendet. Der vorletzte Vers der letzten Strophe dient noch einmal zur Bestätigung der Liebe des „lyrischen Ichs“ zum „Mädchen“. Diese Bestätigung an genau dieser Stelle zu nennen ist ein kluger Schritt Goethes, da die letzten Verse eines Gedichtes dem Leser generell besser in Erinnerung bleiben. Im letzten Vers ist noch einmal speziell das Wort „Liebe“ genannt, hier auch als letztes Wort des Gedichtes, da es ja ohnehin das Schlüsselwort ist. Mir persönlich kommt es an dieser Stelle auch so vor, als wäre das „lyrische Ich“ „hin- und weggerissen“ von dieser Liebe, sodass es kaum noch klar denken kann. Der letzte Vers macht den Eindruck, als würde das „lyrische Ich“ dem „Mädchen“ lediglich „schmachten“.
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