Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
In dem Gedicht „Mit einem gemalten Band“, das der Epoche Sturm und Drang zuzuordnen ist, von Johann Wolfgang Goethe aus dem Jahr 1776 wird die jugendliche Verliebtheit des lyrischen Ichs einer Frau gegenüber dargestellt.
Die vier Strophen mit jeweils vier Versen zeichnen sich durch ein regelmäßiges Kreuzreimschema mit zwei Ausnahmen aus, das Metrum1 ist ein regelmäßiger vierhebiger Trochäus. Abwechselnd weibliche und männliche Kadenzen2 bringen weitere Ruhe und Klarheit in die Struktur des Gedichts.
Schon der Titel erwähnt ein gewisses „Band“, das ein Geschenk des lyrischen Ichs an seine Geliebte ist, aber auch ein Symbol für die Beziehung zwischen den beiden. Das erkennt man unter anderem daran, dass es sie verbinden soll (vgl. V. 15f.). Die erste Strophe thematisiert die Entstehung dieses Bandes, die mit Hilfe der „Frühlingsgötter“ (V. 3) geschieht. Diese verzieren das „luftig“ (V. 5) leichte Band mit „kleinen Blumen“ (V. 1) und „kleine[n] Blätter[n]“ (V. 1). Die Anapher3 betont an dieser Stelle, wie zart und filigran besagte Blumen und Blätter sind, zeigt aber andererseits auch das Potential dieser zum Wachsen auf. So wie kleine Pflanzen meist noch sehr jung sind, ist auch die Bindung des lyrischen Ichs mit seiner Geliebten, der das Band bestimmt ist, sehr jung. Die Jugendhaftigkeit haben auch die Götter inne (vgl. V. 3), und das spielerische Verhalten (vgl. V. 4) in Kombination mit dem „luftig Band“ (V. 4) gibt der gesamten Strophe eine leichte, frische und träumerische Stimmung.
In der zweiten Strophe tritt nun zum ersten Mal seine „Liebste[…]“ (V. 6) auf, das lyrische Ich fordert den Wind als lyrisches Du auf, seine Liebste mit dem Band zu umschlingen (vgl. V. 5f.). Hierbei bekommt der personifizierte Wind, der als angenehm und mild bezeichnet wird (vgl. V. 5), einen vogel- oder engelhaften Charakter, weil er das Band auf seine „Flügel“ (V. 5) nehmen solle (vgl. V. 5). Durch diesen Ausdruck wirkt das Umschlingen mit dem Band im nächsten Vers (vgl. V. 6) zunächst nicht wie ein Akt des Fesselns oder der Machtausübung, sondern schützend und schmückend. Letzteres kommt vor allem daher, dass das besagte Band das „Kleid“ (V. 6) verzieren soll. Allerdings steht das dazu im Kontrast, dass das lyrische Ich sie mit einem Possessivpronomen als seine Liebste bezeichnet (vgl. V. 6), was wie ein Besitzanspruch wirkt. Dass es auch im Folgenden kaum auf ihre Persönlichkeit und gar nicht auf ihre Gefühle und Wünsche eingeht, zeigt zudem, dass sein Wunsch nach einer Beziehung wesentlich wichtiger in seinen Augen ist.
Der starke Wunsch manifestiert sich in dem Imperativ an den Wind (vgl. V. 6) zusammen mit dem Ausruf am Ende des gleichen Verses (vgl. V. 6). Eine leichte Unruhe kommt auch durch den unreinen Reim von Vers fünf und Vers sieben, allerdings ist diese nicht unharmonisch oder nervös, sondern im Kontext des Inhalts von Goethes Gedicht eher erwartungsvoll und aufgeregt. Diese freudige Erwartung und leichte Spannung wird zusätzlich von dem strophenübergreifenden Satz, der die „Munterkeit“ (V. 8) und damit die jugendliche Energie und Fröhlichkeit der Frau beschreibt (vgl. V. 8), unterstützt (vgl. V. 7ff.).
Die dritte Strophe spielt nun mit der Symbolik von Rosen, die die Liebste des lyrischen Ichs umgeben, denn das lyrische Ich vergleicht sie selbst mit einer Rose (vgl. V. 9f.). Die sinnbildliche Sprache der „jung[en]“ (V. 10) „Rose“ (V. 10) gibt Aufschluss darüber, wie mit der Symbolik umzugehen ist. Da die Dornen nicht erwähnt werden, und auch keine negativen Eigenschaften der Geliebten, kann man von einer durchweg positiven Symbolik ausgehen.
Der bisherige Verlauf und die Umschreibungen im Gedicht lassen vermuten, dass es sich um Verliebtheit und nicht um langanhaltende Liebe von der Seite des lyrischen Ichs handelt.
Der hoffnungsvolle, tiefe Wunsch sie nur betrachten zu dürfen, spiegelt sich im elliptischen Ausruf „Einen Blick, geliebtes Leben!“ (V. 11) wider, vor allem weil es sein wichtigster Wunsch zu sein scheint, denn das lyrische Ich sieht es als ausreichend erfüllende Belohnung an (vgl. V. 12).
Im nächsten Strophenumbruch wechselt das lyrische Du vom Wind (Strophe zwei) zu der vorher charakterisierten Geliebten. Sie wird aufgefordert, seine Gefühle wahrzunehmen (vgl. V. 13) und ihm ihre Hand zu reichen (vgl. V. 14). Hier lässt sich durch die Imperative ein leichter Parallelismus erkennen (vgl. V. 13f.), er diese Aufforderung zusätzlich unterstreicht. Jemandem „frei“ (V. 14) die Hand zu reichen ist eine Metapher4 für das Zeigen von Vertrauen und zeigt damit den Wunsch des lyrischen Ichs danach. Es schließt damit ab, dass das Band, also die Beziehung zwischen den beiden, sehr stark sein soll, was hier in einer Litotes, also einer Verneinung des Gegenteils (vgl. V. 16) ausgedrückt wird.
Zusammengefasst schreibt der junge Goethe im Sturm und Drang also von der Verliebtheit, die den Wunsch des Zusammenseins auslöst. Naturelemente und die positive, aber fordernde Stimmung lassen das Gedicht hoffnungs- und erwartungsvoll erscheinen. Die regelmäßige Form sorgen sorgt zudem für einen harmonischen Gesamteindruck.
Uwe Herms’ Gedicht „Ich bin zwanzig“ aus dem Jahr 1977, das sich ebenfalls der Liebeslyrik zuordnen lässt, ist ein Kommunikationsversuch, um seinem Geliebten sein Innenleben zu beschreiben.
Wie für die Moderne typisch gibt es kein Reimschema, kein bestimmtes Metrum, keine Stropheneinteilungen und dafür unregelmäßige Verslängen. Durch die einfache Sprache und Farbsymbolik ist es leicht verständlich. Der Verzicht auf jegliche Satzzeichen lässt den Autor zudem authentisch und aufrichtig wirken.
Das junge lyrische Ich malt ein Selbstporträt für seinen Geliebten (vgl. V. 3), in dem es sein Herz (vgl. V. 46), seine Hoffnung (vgl. V. 8f.), seinen Mund (vgl. V. 10), sein Vertrauen (vgl. V. 12f.), sein Gehirn (vgl. V. 14f.), seinen Wunsch glücklich zu sein (vgl. V. 19ff.) und seine Verlustangst (vgl. V. 22ff.) darstellt. Hierbei fällt auf, dass das lyrische Ich Gefühle mit Körperteilen vermischt, so dass diese symbolische Bedeutung erhalten. Die Doppeldeutigkeit von seinem Herzen (vgl. V. 3ff.) bedeutet zum einen, dass sein Herz beim lyrischen Du sei („für dich […](,)/ Wo mein Herz ist“, V. 3f.), aber zum anderen auch, dass sein Herz die Sonne in dem Bild sei (vgl. V. 4f.). Die Sonne ist eine Energiequelle, sie ist obligatorisch für das Leben und so kann man folgern, dass die Liebe zum lyrischen Du dem lyrischen Ich seine Lebenskraft gibt. Das beschriebene „brennend[e] ®ot“ (V. 6) ist eine Mischung von Farben und Gefühlen, diese Synästhesie5 deutet auf eine leidenschaftliche Liebe hin, die wie Feuer auch schmerzen kann.
Der Mund als Zentrum des Bildes (vgl. V. 10f.) steht für die Wichtigkeit der Kommunikation, der Selbstverwirklichung und der Meinungsfreiheit, die dem lyrischen Ich wichtig sind, aber auch für die Erotik, die es anzieht.
Die Verlustängste, die das Grau in dem farbenfrohem Bild darstellen (vgl. V. 22ff.), verdrängt das lyrische Ich, so gut es kann. Es hat sie „eingemauert“ (V. 25), um sich emotional nicht mit ihnen auseinanderzusetzen.
Das Gedicht ist reiner Selbstausdruck und beschreibt lediglich die Gefühle vom lyrischen Ich dem lyrischen Du gegenüber, weder Aussehen noch Persönlichkeit werden erwähnt. Der Geliebte ist männlich (vgl. V. 2), das Geschlecht des lyrischen Ichs ist unklar. Es kann sich im Rahmen der freien Liebe in den 1970er Jahren und der (Post-)Moderne um ein homosexuelles Paar handeln.
Vergleich zu „Ich bin zwanzig“ von Uwe Herms
Im Vergleich zu dem Gedicht „Mit einem gemalten Band“ wirkt „Ich bin zwanzig“ vor allem nüchterner und weniger überschwänglich. Die unkomplizierten Ausdrücke wirken neben der bilderreichen Sprache Goethes nahezu plump, allerdings wirkt es weniger gestellt und so auch weniger oberflächlich. Obwohl beide Gedichte sehr wenig (Goethe) bis gar nichts (Herms) über die Persönlichkeit oder gar das Innenleben der/des Geliebten aussagen, fängt Goethe das Gefühl der Verliebtheit besser ein, während Herms über Liebe in einer realistischen Beziehung schreibt, denn diese involviert auch negative Gefühle. Beide verwenden viel Symbolik, vor allem für die Darstellung von Verliebtheit (Goethe) und Liebe (Herms), verwenden jedoch andere, häufig epochentypische Symbole. Goethes Symbolik bezieht sich vor allem auf die Natur (Pflanzen), deren Kräfte (Wind) und benutzt eine Metapher menschlichen Verhaltens, und obwohl Herms auch Symbolik aus der Natur verwendet (Sonne), bezieht er sich eher auf Farben (rot, grün, blau, rosa, …) und den menschlichen Körper (Mund). Dazu kommt noch, dass die Form der Kommunikation der lyrischen Ichs in beiden Gedichten sich wegen des indirekten Ausdrucks teilweise ähnelt, es dafür jedoch unterschiedliche Gründe gibt. Der moderne Einfluss auf Uwe Herms’ Gedicht zeigt, dass das lyrische Ich neue Kommunikationswege sucht, da es nicht weiß, wie es sich sonst mitteilen soll. So erleichtert die Symbolik die Auseinandersetzung mit und den Ausdruck der eigenen Gefühle, die in der Moderne durch langsam lockerer werdende soziale Strukturen und der neu gewonnenen Freiheit manchmal durcheinander und unverständlich sind. Auch der Selbstschutz vor negativen Gefühlen durch deren Unterdrückung wird langsam abgebaut, indem das lyrische Ich dies dem lyrischen Du anvertraut. Für dieses Vertrauen erwartet es keine Gegenleistung, es möchte sich lediglich mitteilen.
Auf der anderen Seite fordert Goethes lyrisches Ich Vertrauen und Wahrnehmung, also auch Aufmerksamkeit. Obwohl ihm das Wohlergehen der Geliebten wichtig zu sein scheint, hat es Ansätze von Besitzansprüchen und versetzt sich nicht in sie hinein. Seine Aufforderung ist weich umschrieben, weil er verliebt ist und eine gewisse Metaphorik typisch für die Epoche ist. Es kommuniziert aber dennoch klar durch Aufforderung - wenn auch metaphorisch -, direkte Ansprache und Ausdruck der Wünsche, wohingegen das moderne lyrische Ich durch Selbstanalyse kommuniziert.
Alles in allem handeln also beide Gedichte größtenteils von positiven Gefühlen, Kommunikation und der Verbindung zwischen Geliebten, wobei das Gedicht aus Sturm und Drang wesentlich mehr Forderungen stellt, allerdings unbeschwerter und wie frisch verliebt wirkt, im Vergleich zu der authentischen Selbstanalyse beziehungsweise Gefühlsanalyse im Gedicht der Moderne.