Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
In dem Gedicht „Du schlank und rein wie eine flamme“ von 1928 beschreibt Stefan George in einem biografischen Bezug, seine Liebe zu einem toten Knaben.
Die vier Strophen sind durchgehend im Kreuzreim gedichtet und in je vier Verse gegliedert. Nur die Anfangsbuchstaben der Verse sind großgeschrieben, in Versalien. In der 4. Strophe wiederholt George die Verse der 1. Strophe in geänderter Reihenfolge. Die 1. Strophe beinhaltet die Beschreibung der Eigenschaften des toten Knaben; George wählt dafür Vergleiche. Die „schlanke und reine Flamme“ in Zeile 1 symbolisiert die zierliche, kindliche Figur der geliebten Person. Der „zarte und lichte Morgen“ und der „blühende Reis vom edlen Stamme“ sprechen für ein sehr junges, männliches Wesen aus gehobener Gesellschaft, da der Reis – ein sprießender, junger Ast – ein Phallussymbol ist (Z. 2-3). Dessen Fähigkeiten erkenne nur der Verfasser, da er ihn in Zeile 4 als „geheimen, schlichten Quell“ bezeichnet. In der gesamten ersten Strophe sowie in ihrer Wiederholung fehlen die Verben, was bedeutet, dass der Knabe bereits tot ist, da man an ihnen einen Zeitpunkt festmachen könnte und der Geliebte keine Handlungsmöglichkeiten hat. In Zeile 5 – 8 übernimmt dieser „Tätigkeiten“, die ebenso rein fiktiv1 vom Protagonisten empfunden werden können, z. B.: „Begleitest mich auf sonnigen Matten“ (Z.5). Diese vier Zeilen betonen die Allgegenwärtigkeit des Knaben für den Dichter und dessen positive Wirkung auf ihn („Erleuchtest meinen Weg im Schatten (Z.7)). George wechselt in der 3. Strophe in die Ich-Form und demonstriert seine Besessenheit und Abhängigkeit, seine Wünsche und Gedanken: Zum Einen durch die Wiederholung der Worte „jeder/jedem“, was erneut die Allgegenwärtigkeit des toten Jungen widerspiegelt, zum Anderen durch die Verwendung von Verben wie „atme dich“, „schlürfe dich“ und „küsse dich“, was für seine erotische Anziehung steht. Den „zarten, lichten Morgen“ aus der ersten Strophe stellt George an den Schluss des Gedichtes, um zu betonen, was ihm an dem Knaben am wichtigsten war, nämlich seine Jugend.
Für Stefan George war es typisch, seine Gedichte „selbst von streng symmetrischer Architektur sein zu lassen“, dazu gehörte die konsequente Kleinschreibung; dass jedes Gedicht vier Strophen mit vier Versen und ein festes Reimschema besaß.
Gemeint ist im Gedicht der Knabe Maximilian Kronberger, den George als „poetisches Genie und moderne Antonius-Figur“ bis über seinen frühen Tod hinaus
verherrlichte.
Nach einer gescheiterten Beziehung zu Ida Coblenz hatte George Frauen aus seinem Leben verbannt. Er sammelte junge Dichter um sich, die sich ihm unterordneten. Aufgrund seiner wachsenden Herrschsucht gelang es ihm nicht, die stürmische Männerfreundschaft zu dem Schreiber des Gedichtes „Die Beiden“, Hugo von Hofmannsthal, aufrecht zu erhalten.
In dessen Werk von 1896 geht es um ein vermeintliches Liebespaar, dessen Liebe möglicherweise aufgrund der Standesunterschiede scheitert. Das Gedicht ist in vier Strophen unterteilt, wobei die ersten beiden mit jeweils vier Versen die beiden Charaktere beschreiben und die beiden letzten mit jeweils drei Versen ihre Zusammenführung schildern und zusammen ein Sonett2 bilden, dass aber von seiner klassischen Form abweicht.
Die junge Frau, deren sichere Schritte in der ersten Strophe mittels eines Paarreims
dargestellt werden, trägt einen Becher in der Hand (Z. 1).
Ihre Jugend erklärt sich aus dem Vergleich ihres Mundes, bzw. der Weich- und Glattheit ihrer Lippen mit dem glatten Rand des Gefäßes (Z. 2). Der junge Mann hingegen wird in Zeile 5 – 8 durch einen umarmenden Reim, auf einem Pferd sitzend, mit seinen Beinen den Körper des Pferdes „umarmend“ beschrieben. Der Reiter ist jung, da er sein junges Ross nach einem Galopp mit „nachlässiger Gebärde zum Stehen bringt“ (Z. 7 8).
Die „Beiden“ treffen in Zeile 9 – 14 aufeinander, was mit einem Bruch im Reimschema, dem Gemisch aus Paar- und Kreuzreim dargestellt wird. Es entsteht ebenfalls eine abrupte Änderung in der Gefühlswelt der jungen Menschen, da sie sich zuvor in Zeile 3 5 leicht und sicher bewegten und nun in Zeile 12 beide so sehr beben. Das Mädchen möchte dem Jungen den Becher reichen, den dieser nicht annehmen kann, woraufhin jener zu Boden fällt. Der Becher ist hier mit seinem roten, dunklen Wein ein Symbol für die Liebe des Mädchens (Z. 14), die der Junge nicht erwidern kann. Sie beben beide, da er fürchtet, sie zu verletzen und sie, weil sie vor Liebe zu ihm vergeht (Z. 12). Die Liebe scheint zum Scheitern verurteilt, da er auf seinem hohen Ross einen höheren Stand repräsentiert und während der “Becherübergabe“ sich nicht auf ihre Ebene begibt.
Hugo von Hofmannsthal schrieb dieses Gedicht als „Kunst um der Kunst willen“, weswegen dieses Werk keinen autobiografischen Hintergrund zu haben scheint.
Beide Gedichte beschreiben eine unerfüllte, tragische Liebe. Die Liebe geht nur von einer Seite aus und kann von der anderen nicht erwidert werden. Bezüglich der äußeren Form weisen sie Unterschiede auf, bis auf ihre Strophenanzahl.
Stefan George verfasste sein Werk durchweg im Kreuzreim, seine Strophen haben die gleiche Anzahl von Versen, hingegen Hugo von Hofmannsthal weist seinen Abschnitten charakteristische Reime zu und man kann die letzten Strophen seines Sonetts zusammenfassen. In Georges Werk kann die geliebte Person die Liebe nicht erwidern, weil sie nicht mehr lebt. Sein Gedicht ist in der Ich-Form geschrieben, er selbst ist der Liebende.
Sein Dichterkollege lässt eine Beziehung aufgrund des Standesunterschiedes scheitern und ist der allwissende Erzähler in der dritten Person. Bei George könnte man ohne Hintergrundwissen nicht genau feststellen, welches Geschlecht der Protagonist liebt, wohingegen Hugo von Hofmannsthal deutlich durch „sie“ und „er“ trennt.