Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Maifest“ von Johann Wolfgang Goethe, das 1775 geschrieben wurde und den „Höhepunkt der Sesenheimer Lyrik“ darstellt, beschreibt autobiographisch Goethes Liebe zu einem Mädchen, durch welches Natur und Seele, sowie Landschaft und Mensch für ihn zu einer Einheit werden.
Das Gedicht hat neun kurze Strophen, zu je 4 Versen. Zu Anfang (Strophe 1-3) lässt Goethe das Lyrische Ich die Natur erleben und sich an ihr erfreuen. Diese wird sehr positiv aufgenommen, sie „leuchtet“ um das Ich herum. In der 4. und 5. Strophe wird beschrieben, als wie „herrlich“ dem Lyrischen Ich die Liebe begegnet, wie gütig und „schön“ sie ist. Erst ab der 6. Strophe wird deutlich, dass ein Mädchen der Grund der Euphorie des Ichs ist. Es betont mehrmals die gegenseitige Liebe, die es erneut mit der Natur vergleicht. Sie macht ihn fröhlich und abenteuerlustig, es hat Mut und Lust Neues zu erleben. Zum Abschluss, in den letzten beiden Versen, wünscht das Ich dem Mädchen in dieser Liebe zu ihm ewig glücklich zu sein.
In fast jeder Strophe gibt es zwei Verse, die sich reimen, jeweils der zweite und vierte. Dies ist bei acht der neun Strophen der Fall, ebenso ist in jeder von ihnen die Liebe selbst, oder zumindest eine Andeutung auf sie zu finden. Einzig die 2. Strophe, die nur die Natur beschreibt, enthält keinen Reim. Zudem gibt es kein eindeutiges Metrum1, was zu den immer wieder wechselnden Blickrichtungen des Ichs passt, und außerdem keinen Gleichmut aufkommen lässt, der diese Euphorie der Liebe zerstören könnte. Eben diese Euphorie, bald schon Ekstase, die das Lyrische Ich erlebt, unterstreicht Goethe durch zahlreiche Stilmittel, die das absolute Hochgefühl noch verstärken. So zeigen zahlreiche Vergleiche den vom Ich gemachten Bezug der Liebe zur Natur, wie z. B. Vers 14-15 „so golden schön wie Morgenwolken“ sei die Liebe selbst, oder seine Liebe zum Mädchen so, „wie eine Lerche Gesang und Luft“ oder „Morgenblumen den Himmelsduft lieben (Vers 25-28). Die Ellipse2 in Vers 27-28, die Auslassung des Prädikats „lieben“, zeigt die schnellen Gedankensprünge des Ichs, alles ist voll von Liebe, alles der Natur lässt sich mit der Liebe vergleichen.
Weiteren Bezug zwischen Liebe und Natur stellt der viel verwendete Parallelismus her. Zu finden ist er in den Versen 3-4, 11-13 und 21. Während zu Anfang die Natur beschrieben wird („Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur!“), so verschiebt sich die Aufmerksamkeit immer weiter zur Liebe hin („O Erd, o Sonne! O Glück, o Lust! O Lieb’, o Liebe“), bis schließlich in Vers 21 erstmals vom Mädchen, dem Auslöser seiner Gefühle, die Rede ist („O Mädchen, Mädchen“).
An diesen Bezügen sieht man mit aller Deutlichkeit, dass das Ich die Natur mit Augen der Liebe betrachtet. Die Natur ist nicht einfach nur da und existiert, nein sie wird geradezu lebendig in den Gedanken des Ichs. Unterstützend wirkt dabei die Personifikation3 „Wie lacht die Flur!“ (Vers 4), die eine fröhliche, bunte Atmosphäre mit pulsierendem Leben schafft. Auch die auf den ersten Blick nüchterne Beschreibung der Natur in der 2. Strophe enthält Stilmittel die einen besonderen Reiz schaffen. So zeigt die Hyperbel4 „tausend Stimmen“ (Vers 7) wie das Ich berauscht von der Liebe die Dinge übertreibt und „aufbauscht“.
Die Ellipse in Vers 7-8 (Prädikat fehlt), ist zugleich ein Zeugma. Stimmen dringen aus den Sträuchern, doch dass Blüten aus den Zweigen „dringen“, gibt eher das Gefühl von Plötzlichkeit, Unbeherrschtheit und Prickeln der Liebe auf der Haut, wie Brausepulver auf der Zunge. Dieser Eindruck wird durch ein weiteres Zeugma, in Verbindung mit einer Ellipse, in Vers 9-10 „Und Freud und Wonne Aus jeder Brust“, noch verstärkt. Wüst und unbeherrscht wollen „Freud und Wonne“ hinaus, hinausgeschrieen werden, so sehr erfüllen sie „jede Brust“, nicht nur die des Lyrischen Ichs. Auch dies ist eine Hyperbel. Seinen Höhepunkt findet die Euphorie in einem parallel gebauten anaphorischen Trikolon, welches zugleich eine Klimax5 ist (O Erd, o Sonne! O Glück, o Lust! O Lieb’, o Liebe, Vers 11-13). „Erde“ und „Sonne“ sind mit den Händen zu fassen und mit den Augen zu sehen, wohingegen sich „Glück“ und „Lust“ nur erfahren, fühlen lassen. Krönung des Fühlens ist die Liebe, das wahrlich höchste und reinste Gefühl, die in der Geminatio6 („O Lieb’, o Liebe“) ihren bald schon pathetischen Abschluss findet.
Interessant zu betrachten ist an dieser Stelle auch die Interpunktion, den gewöhnlichen Satzzeichen Punkt und Komma (Verse 5-10) folgen nun Ausrufe, die inhaltlich, wie eben gesagt, in der Liebe gipfeln. Doch kaum bei der Liebe angekommen, folgt ein Komma, der Denkprozess des Lyrischen Ichs läuft weiter, es schwelgt nun in Beschreibungen der Liebe. Die Liebe scheint dem Ich aber nicht nur ausnehmend wundervoll zu sein, sondern sogar einer Gottheit gleichend. Dadurch, dass das Ich die Liebe „herrlich das frische Feld segnen lässt“ (cf. Vers 17-18), wird klar, welche Macht und gar göttlichen Attribute der Liebe zugeschrieben werden. Das Ich ist so ergriffen, dass bekannte Worte nicht mehr ausreichen, um das Wahrgenommene zu beschrieben. Der Neologismus7 in Vers 19 „Blütendampfe“ scheint mir eine Metapher8 für einen allzu berauschenden Duft zu sein. Die Luft ist so stark von süßer, blumiger Liebe erfüllt, dass sie an Festigkeit zunimmt, auf das Ich wie Dampf wirkt, es vollkommen erfüllt. Vers 20 „Die volle Welt“ zeigt, dass erst durch die Liebe die Welt komplett wird. „Voll“ an Liebe, gedanklich taumelnd, kommt dem Ich, in Vers 21 nun, das Mädchen in den Sinn, der Grund aller Glückseligkeit. Es beteuert, ruft aus, wie sehr es sie liebt. Auffallend sind hier zwei parallel gebaute Inversionen9 (Vers 22 29; 24 36) „Wie lieb’ ich dich – Wie ich dich liebe“ und „Wie liebst du mich – Wie du mich liebst“. Größte Aufmerksamkeit wird auf diesen Aspekt, die Liebe gelegt, was auch nur angemessen ist, da dies die Hauptaussage des Gedichts ist. Das Lyrische Ich liebt das Mädchen, das Mädchen das Ich.
Während das Mädchen ewig glücklich sein soll in dieser Liebe (Vers 35-36), ist das Ich vor allem erfreut über die Leidenschaft, die das Mädchen in ihm weckt. Denn dafür steht die Metapher in Vers 30 „Mit warmem Blut“, für die Lust am Leben, die im Ich erblüht, eben so, wie die Natur erblüht im Frühling. Durch das Mädchen bekommt das Ich neue Lust am und auf das Leben, die es künstlerisch inspiriert (Vers 31-34 „Die du mir Jugend und Freud und Mut Zu neuen Liedern Und Tänzen gibst!“). Auch hier ist die Stimmung fröhlich, der Polysyndetische Satzbau der Verse 31-32 belebt und beschwingt, macht dem Leser selbst Lust, diese Lieder und Tänze zu erleben.
Zu diesem Aspekt der Lebensfreude passt auch der Titel „Maifest“ herausragend. Im Mai pulsiert das Leben, die Natur ist wieder grün, alle Welt freut sich über die helle Zeit des Jahres. Die Natur mit ihren Bewohnern feiert ein wahres Fest. Und auch das Lyrische Ich und das Mädchen können feiern, ihre Liebe steht im Mai, immer größer wird die Leidenschaft. Auch diese beiden können ein Fest feiern, ihre Liebe zueinander, so wie auch wir rauschend den 1. Mai feiern!
Das Gedicht beschreibt also einen kurzen, ausschnittartig erfassten Blick auf die Liebe aus Sicht eines Ver- und Geliebten, in dem sowohl die Liebe, als auch die gegebene Situation als vollkommen erscheinen. Betrachtet man jedoch die Entstehungsgrundlage des Gedichts, denn Goethe erlebte diese beschriebene Liebe am eigenen Leibe, so erscheint das Gedicht in einem ganz anderen Licht, und macht eher betrübt. Wie schon zuvor angedacht, nimmt Goethe diese Liebe mit Leichtigkeit, genießt sie, misst ihr aber keine tiefere Bedeutung bei. Hilde Spiel bezeichnet sie gar als „heftige, aber keinesfalls dauernde Neigung“, nicht einmal als Liebe, diese Beziehung des Straßburger Studenten Goethe zu der Pastorentochter Friederike Brion. Und tatsächlich verläuft die Geschichte der beiden wie gedacht weiter, Goethe geht seinen Weg als Lebemann, während Friederike einsam in ihrer Liebe zu ihm alt wird.
Abschließend lässt sich also sagen, dass das Gedicht „Maifest“ ein kurzer Auszug aus explodierender leidenschaftlicher Liebe, und in sich wunderschön ist. Perfekt kombinierte Stilmittel ergänzen sich mit dem Inhalt zu einem Gebilde wahrer Dichtkunst. Schade jedoch ist es, dass dieser Eindruck durch das Erleben der Wahrheit hinter, oder vielmehr um die Zeilen herum, zerstört wird, da diese Liebe keine tief empfundene, wahre Liebe ist, wie sie es durchaus zu sein scheint, sondern nur eine kurze, heftige Leidenschaft. Ich stimme Hilde Spiel zu in ihrem Wunsch „all das und mehr, was er später darüber erfuhr, auslöschen zu können und stattdessen noch einmal den Rausch erleben zu können, in den es ihn zuvor versetzte“.