Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Mailied“, welches 1771 von Johann Wolfgang von Goethe verfasst wurde, besteht aus neun Strophen mit jeweils vier Versen, sprich Quartetten.
Die Überschrift verrät bereits, dass es von dem Mai, also von dem Frühling handelt. In den Strophen eins, vier, fünf, sechs, sieben, acht und neun wurde eine Reimweise verwendet. Dabei reimt sich jeweils das letzte Wort des 2. Verses einer Strophe mit dem des letzten Verses dieser Strophe. In der dritten Strophe liegt ein Kreuzreim a-b-a-b vor.
Der Dichter hat viele Personifikationen1, wie zum Beispiel in Zeile 4 „...lacht die Flur.“, Zeile 5-6 „...dringen Blüten aus jedem Zweig“ und Vers 25 „...liebt die Lerche“, sowie Metaphern2 in Zeile 1-3 „Wie herrlich leuchtet Mir die Natur!... glänzt die Sonne!“, Zeile 7-8 „...tausend Stimmen aus dem Gesträuch.“ und in der 5. Strophe. Damit schafft er es, den Frühling lebendig zu machen. In diesem Gedicht sind außerdem Anaphern3 (Vers 1,3,4 mit „Wie“; Vers 11,12,13 mit „O“; Vers 22-24 mit „Wie“), Vergleiche (Vers 14-16 „so...schön, Wie Morgenwolken...“; 7. Strophe „So liebt die Lerche...“ ist ein Vergleich zur Liebe, die in der 6. Strophe angesprochen wird) und Interjektionen4 in den Versen 11-13 sowie 22-24.
Johann Wolfgang von Goethe nutzt fünfmal das Verb „lieben“ und alle anderen Verben stehen ebenfalls in Präsens. Durch die Zeitstufe wird ein unmittelbaresEmpfinden dargestellt.
Das lyrische Ich spricht schwärmerisch und verliebt. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es sich hierbei um ein gefühlsempfindendes Gedicht des Sturm und Dranges handelt.
Typisch für diese Epoche ist die Übermittlung der Gefühle mit Hilfe der Beschreibung von Naturereignissen.
Das lyrische Ich ist verliebt, beschreibt die Natur, wie es sie gerade sieht und vergleicht bestimmte Geschehnisse in der Natur mit seiner Liebe. In der ersten und zweiten Strophe beschreibt es, was es in der Natur sieht. Das lyrische Ich spricht hierbei von der Sonne, der Flur, den Blüten, welche zu der Frühlingszeit aus den Knospen kommen und von den Stimmen, also zum Beispiel das Zirpen der Grillen und die Geräusche anderer Insekten und Vögel.
In der dritten Strophe werden Gefühle („Freud“, „Lust“) ausgedrückt. Das lyrische Ich leitet nun in die vierte Strophe über, indem es von der Liebe anfängt zu schwärmen („...Liebe! So golden schön...“ Vers 13-14) und in der 5. Strophe erzählt, was die Liebe macht, wieviel sie kann und dass sie für ihn alles ist.
Nun spricht das lyrische Ich seine Liebe mit „Mädchen, Mädchen“ in der 6. Strophe an und spricht von ihrem Blick sowie der gegenseitigen Liebe.
In Strophe sieben vergleicht es seine Liebe zu dem Mädchen mit der Liebe der Lerche zu Gesang und Luft sowie der Liebe von Morgenblumen zu dem Duft.
In den beiden letzten Strophen beschreibt das lyrische Ich, wasi hm seine Liebe alles gibt. Die Freude, den Mut und den Halt, den es bei ihr findet. Die Liebe gibt ihm Kraft für Neues (Vers 32-34 „...Mut zu neuen Liedern und Tänzen...“).
Das Gedicht endet mit dem Wunsch des ewig glücklich Seins.
Ich finde, dass in diesem Gedicht die Änderung des Blickwinkels wegen dem Gefühl gezeigt wird. Man sieht die Natur ganz anders, wenn man verliebt ist. Das lyrische Ich sieht nur Positives und das Leuchten der Natur. Es achtet auf die ganzen Naturveränderungen, die mit dem Frühling einkehren.
Der Expressionist Ernst Stadler benutzt, in Hinblick auf Goethes Gedicht „Mailied“, die ebenfalls ausgewählten Motive Frühling, Wind, Geruch ganz anders in seinem Gedicht „Vorfrühling“, welches im Jahre 1902 verfasst wurde.
In seinem Gedicht tritt das lyrische Ich aus dem Haus im März und beschreibt, was es um sich herum sieht und dass ihm etwas Neues entgegen kommt.
In der 2. Strophe beobachtet und lauscht das lyrische Ich voller Erwartungen.
Die 3. Strophe verstärkt noch einmal die Veränderungen in der Natur. Das lyrische Ich gibt sich diesem Neuen, dem Frühling, nun vollkommen hin.
Der Verfasser Ernst Stadler schafft Bewegung durch die Verwendung von Verben, welche Bewegung, Unruhe sowie Aufbrechen signalisieren (Zeile 5 „schlagen“, Zeile 12 „rollten“, Zeile 18 „brach“, Zeile 20 „wuchsen“) und durch das Nutzen der Enjambements5. Es folgt in jeder Zeile eine Aussage für einen Impuls (Zeile 11-12 „Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blut rollten.“).
Goethe verstärkt in seinem Gedicht „Mailied“ das Gefühl von Begeisterung durch die Enjambements (Zeile 1-2 „Wie herrlich leuchtet Mir die Natur!“; Zeile 9-10 „Und Freud und Wonne Aus jeder Brust.“) und der Wahl der Verben. Bereits das Wort „lieben“ kommt fünfmal in dem Gedicht „Mailied“ vor. Somit wird dem Leser die Schwärmerei und Verliebtheit des lyrischen Ichs vermittelt.
In dem Gedicht von Ernst Stadler wird allerdings eher das Hingeben zu etwas Neuem, in diesem Fall dem Frühling, des lyrischen Ichs übermittelt. Das Motiv Wind verstärkt im Gedicht „Vorfühling“ ebenfalls die Bewegung und den Umbruch zur Jahreszeit Frühling. Außerdem wird ebenfalls das Motiv Duft für das Neue, den Frühling, genutzt (Zeile 3 „...aufgewühlt von Lenzgeruch.“).
In Goethes Gedicht „Mailied“ vermittelt uns jedoch das Motiv Duft in Zeile 18, 19 sowie Zeile 27, 28 Liebe und die Frische, die der Frühling mit sich gebracht hat.
Diese Unterschiede in der Verwendung der Motive lassen unter anderem auf die Zeit zurückschließen. Während „Mailied“ in der Epoche Sturm und Drang von Johann Wolfgang von Goethe verfasst wurde, schrieb Ernst Stadler sein Werk „Vorfrühling“ zu der Zeit des Expressionismus. Die Werke des Sturm und Dranges sind durch die Gefühle des lyrischen Ichs und deren Beschreibungen mit Hilfe von Naturerscheinungen stark geprägt.
Im Gegensatz dazu zeichnet sich der Expressionismus durch den Ausdruck des Inneren, also von den Gefühlen, den Empfindungen der Künstler aus. Die Expressionisten wählten Themen wie den Zerfall, Krieg, die Ästhetisierung des Hässlichen und den Weltuntergang für ihre Werke. Liebe, Gefühle, Natur und Selbstverwiklichung hingegen waren die Themen in der Epoche Sturm und Drang.
Man kann diesen Einfluss gut an den zwei Gedichten erkennen. Das lyrische Ich im Gedicht „Mailied“ ist ganz verliebt, schwärmerisch und vergleicht die Liebe zu seinem Mädchen mit der Liebe von der Lerche zur Natur. In Stadlers Gedicht ist das lyrische Ich hingebend, voller Erwartungen, öffnet sich für das Kommende und versucht dem Leser all seine Eindrücke und Empfindungen, die es dabei hat, zu übermitteln.
Die Epoche, in welcher ein Gedicht verfasst wurde, hat also, wegen den mit ihr verbundenen verschiedenen Ansicht von dem Leben, der Welt und den geschichtlichen Ereignissen, immer Einfluss auf die Form, den Inhalt und in dem Fall meiner Betrachtung auf die Stimmung des lyrischen Ichs und die Verwendung und Bedeutung der Motive.