Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epoche: Weimarer Klassik Strophen: 4, Verse: 16 Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-4, 4-4
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O, wärst du da!
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Nähe des Geliebten“ von Johann Wolfgang von Goethe wurde in der Zeit der literarischen Epoche des Sturm und Drangs, also im Zeitraum von etwa 1769 bis 1789, verfasst.
Diese Epoche gab es in ihrer spezifischen Form nur in Deutschland. Sie war eine Gegenbewegung zur Aufklärung und wandte sich gegen die Vernunft als Vorherrschaft und befasste sich stattdessen mit sinnlich wahrgenommenen Empfindungsbereichen des Menschen. Sie fordert den Einzelnen auf, sich gegen jede Art der Beherrschung von Außen aufzubäumen und sich selbst zu verwirklichen.
Johann Wolfgang von Goethe wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und starb am 22. März 1832 in Weimar. Er gilt als bedeutendster deutscher Dichter und bekanntester Vertreter der Weimarer Klassik. Goethes Werk umfasst Gedichte, Dramen und Prosa- Literatur, aber auch naturwissenschaftliche Abhandlungen.
In dem Liebesgedicht, das ich interpretieren möchte, richtet sich eine Person, wahrscheinlich eine weibliche, an ihren Geliebten. Das erkennt man schon an der Überschrift „Nähe des Geliebten“.
Im Allgemeinen beschreibt sie darin verschiedene Situationen in denen sie an ihn denkt.
Die erste Strophe beschreibt die Himmelskörper Sonne und Mond, welche hier für Tag und Nacht stehen könnten. Die Hauptaussage der ersten Strophe ist also, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit an ihren Liebhaber denkt („Ich denke dein...“).
In der zweiten Strophe glaubt sie ihn dann auf einem Weg und einem Steg zu sehen („Ich sehe dich...“).
Die dritte Strophe handelt vom Rauschen der Wellen und Spaziergängen im Hain. Sie glaubt ihren Geliebten dabei zu vernehmen („Ich höre dich...“).
In der vierten Strophe bestätigt sie, wie in den ersten drei Strophen ausführlich durch Sinneswahrnehmungen dargestellt, ihre Nähe zu ihm. Allerdings letztendlich auch, wie sehr er ihr fehlt (Vers 14/16: „Du bist mir nah! ... O wärst du da!“). Sie verkörpert Liebe und Sehnsucht.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen, die gleichzeitig auch die Verse sind. Insgesamt gibt es acht Reime. Die Reime sind in einem durchgehenden Jambus angeordnet.
Das gesamte Gedicht ist im Präsens und in einer eher altmodischen Sprache verfasst. Es ist, wie ich finde sehr emotional.
Auffallend sind die beiden Ausrufesätze in Vers 14 und 16, sowie der beinahe durchgehende Gebrauch von Satzgefügen mit der Konjunktion „wenn“ (Vers 7/8: „In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege der Wandrer bebt.“).
Es kommen einige Anaphern1 vor, die die Gedanken des lyrischen Ichs und dessen Sehnsüchte verdeutlichen (Vers 1/3: „Ich denke dein“; Vers 6/8: „Der Staub/ Der Wandrer“).
Es gibt sehr viele Alliterationen2, wie zum Beispiel in Vers eins („denke dein... Sonne Schimmer“) oder in Vers sieben („schmalen Stege“).
Außerdem werden Substantive von Adjektiven näher beschrieben (Vers 5: „fernen Wege“; Vers 7: „schmalen Stege“; Vers 9: „dumpfem Rauschen“ und Vers 11: „stillen Haine“).
Ein Archaismus in den Versen eins bzw. drei (Ich denke dein: Ich denke an dich), eine Hyperbel3 in Vers sieben („Der Wandrer bebt“) und eine Klimax4 in Vers elf und zwölf („Stiller Haine... wenn alles schweigt“) treten im Text ebenfalls auf.
Weiterhin kommen viele Personifikationen5 (zum Beispiel in Vers 3/ 4: Mondes Flimmer malt und in Vers 10: Die Welle steigt) und ein scheinbarer Widerspruch, eine Paradox, in den Versen 13 und 14 („seist du auch noch so ferne, Du bist mir nah“) vor.
Das Wort „schweigt“ in Vers zwölf steht für Einsamkeit.
Dieses Liebesgedicht beschreibt die Gedanken einer Frau an ihren Geliebten, die sie beschäftigen. Sie ist tagsüber und des Nachts, am Meer und im Hain in Gedanken bei ihm. Alles was ihre Sinne wahrnehmen scheint sie mit ihm in Verbindung zu bringen. Sie hofft, denke ich, auf ein baldiges Kommen ihres Liebhabers („Wenn auf dem fernen Wege der Staub sich hebt“), den sie vermisst. Vielleicht war er schon einmal weg und kam dann wieder, und vielleicht wurde ihr dann dieses Bild geboten, bei dem sie jemanden aus der Ferne sieht und hofft, dass es ihr Geliebter ist. Genauso könnte der Geliebte aber auch mit einem Schiff unterwegs sein, weil von einem Steg die Rede ist.
Ich finde dieses Gedicht sehr romantisch und kann mich genau in das lyrische Ich hineinversetzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Autor damit Menschen zum Lieben anregen wollte, er warnt aber auch davor, weil das Gedicht zeigt wie Sehnsucht einen Menschen quälen kann.
Der Text passt sehr gut zu seiner Epoche, weil von Sinneswahrnehmungen und Natur die Rede ist.
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