Autor/in: Johann Wolfgang von Goethe Epoche: Sturm und Drang / Geniezeit Strophen: 4, Verse: 32 Verse pro Strophe: 1-8, 2-8, 3-8, 4-8
Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht;
Der Abend wiegte schon die Erde
Und an den Bergen hing die Nacht
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor;
Die winde schwangen leise Flügel
Umsausten schauerlich mein Ohr
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer
Doch frisch und fröhlich war mein Mut
In meinen Adern welches Feuer!
In meinen Herzen welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosafarbenes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!
Doch, ach schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging und du standst und sahst zu Erden
Und sahst mir nach mit nassen Blick:
Und doch welch Glück geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Es handelt sich bei diesem Text aus dem Jahr 1789 um die sog. Spätfassung. Es unterscheidet sich von der sog. Frühfassung (damals noch unter dem Titel „Willkomm und Abschied“) aus dem Jahr 1771 im Wesentlichen darin, dass in der letzten Strophe das lyrische Ich Abschied von der Geliebten nimmt, während in der Frühfassung noch die Geliebte die aktive Rolle hat und das lyrische Ich zurücklässt.
„Willkommen und Abschied“ vorgelesen von Hörspielsprecher Hans-Jörg Große (†2016)
Die Literaturepoche des Sturm und Drangs: Gegenbewegung oder Teil der Aufklärung? Diese und andere spannende Fragen beantwortet euch der Germanist Dr. Tobias Klein von Huhn meets Ei: Katholisch in Berlin im Gespräch mit dem Podcaster Wilhelm Arendt.
Hintergrund von „Willkommen und Abschied“
Goethe führte als 21-Jähriger eine etwa eineinhalbjährige, intensive Beziehung zur Pfarrerstochter Friederike Brion aus Sessenheim (bei Straßburg). Später entschied sich Goethe für den Abbruch der Beziehung, weil sie nicht dem gesellschaftlichen Stand entsprach, aus dem Goethe stammte. Die Verliebtheit Goethes, seine wechselhaften Höhen und Tiefen, werden in den Gedichten aus seiner Sturm- und Drang-Zeit deutlich und werden später unter dem Titel „Sessenheimer Lieder“ publiziert.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Willkommen und Abschied“,von Johann Wolfgang von Goethe und veröffentlicht im Jahr 1771/1810, handelt von der Liebe des lyrischen Ichs zu seiner Geliebten, welche beim Abschied in Schmerzen endet.
Das Gedicht macht die Vergänglichkeit in Bezug auf die Liebe deutlich.
„Willkommen und Abschied“ besteht aus vier Strophen à acht Versen. Als Reimschema wurde der Kreuzreim verwendet und als Metrum1 ein vierhebiger Jambus gewählt, welcher eine gewisse Spannung und Geschwindigkeit erzeugt und somit den Ausritt des lyrischen Ichs in der Nacht betont.
In der ersten Strophe reitet das lyrische Ich nachts durch den Wald auf dem Weg zu seiner Geliebten. Durch den ersten Vers („Es schlug mein Herz geschwind zu Pferde!“) wird verdeutlicht, dass das lyrische Ich vor der Begegnung mit seiner Geliebten sehr nervös ist. Durch die Metapher2 „wo Finsternis aus dem Gesträuche mit hundert schwarzen Augen sah“ wird angedeutet, dass das Rendezvous des Pärchens heimlich stattfinden muss. Durch zahlreiche Personifikationen3 wird die Gedichts Kulisse detailliert geschildert. Die Stimmung in der ersten Strophe ist bedrückend und düster, was durch die Worte „Finster“ und „Schwarze Augen“ noch einmal hervorgehoben wird. Zudem kommt der Umstand, dass das lyrische Ich nachts durch den dunklen Wald reitet.
Die düstere Stimmung wird auch in der zweiten Strophe zum Ausdruck gebracht, wie man z. B. an den ersten beiden Versen („Der Mond von einem Wolkenhügel, sah kläglich aus dem Duft hervor“) erkennen kann. Diese Stimmung ändert sich im 14. Vers, wo die Gefühle und besonders der Mut des lyrischen Ichs als „frisch und fröhlich“ dargestellt werden. Seine Aussage wird durch die enthaltene Alliteration4 hervorgehoben. Die Verse 15 und 16 („In meinen Adern welches Feuer, In meinem Herzen welche Glut“) schildern das Streben des lyrischen Ichs seine Geliebte wieder zu sehen. Das Ganze wird zusätzlich durch eine Anapher5 und einen Parallelismus betont.
Die dritte Strophe schildert das Treffen des Paares. Die Gefühle werden detailliert zum Ausdruck gebracht. Das lyrische Ich berichtet von der überspringenden Freude seiner Geliebten („Dich sah ich und die milde Freude floss von dem süßen Blick auf mich“) und seinen Gefühlen ihr gegenüber („Ganz war mein Herz an deiner Seite, und jeder Atemzug für dich“). Die bisher düstere Atmosphäre wird durch den 21. Vers gebrochen („ Ein rosafarbenes Frühlingswetter…“). Das lyrische Ich spricht in dieser Strophe seine Geliebte an, was man an den zahlreichen Ansprachen durch das zweite Personalpronomen6 „Du“ erkennen kann. Die Inversion7 in Vers 17 hebt dies noch einmal hervor. Der erzeugt helle Klang in den letzten drei Versen der Strophe untermalen das liebliche Gemüt der Geliebten. Zuletzt spricht das lyrische Ich die Götter an indem es schildert, dass er seine wundervolle Geliebte eigentlich gar nicht verdient hat.
In der vierten und letzten Strophe geht es um den Abschied der beiden voneinander. Die Stimmung ändert sich durch die Konjunktion „Doch ach!“ wieder. Somit wird sie traurig und schmerzhaft. Das lyrische Ich berichtet über seine Gefühle und die Auffassung seiner Geliebten. Sie küssen sich das letzte Mal und die Geliebte blickt mit Tränen in den Augen zu Boden. Trotz seines Liebeskummers schwärmt das lyrische Ich von dem Glück der Liebe und bedankt sich bei den Göttern. Da dieser Abschied sehr schmerzhaft für beide Personen ist, würde ich es als einen Abschied für eine sehr lange Zeit interpretieren.
Die zu Beginn verfasste Deutungshypothese ist noch zu präzisieren. Im Gedicht schildert Goethe, dass die Liebe, auch wenn Abschiede sie schmerzhaft machen dennoch etwas Schönes sein kann.
Das Gedicht ist typisch für die Epoche des „Sturm und Drang“ bzw. der „Geniezeit“. Die dramatische Eigenschaft ist ein solches Merkmal. Zudem ist der Ritt des lyrischen Ichs eine epochentypische Eigenschaft.
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