Hintergrund von „Willkommen und Abschied“
Goethe führte als 21-Jähriger eine etwa eineinhalbjährige, intensive Beziehung zur Pfarrerstochter Friederike Brion aus Sessenheim (bei Straßburg). Später entschied sich Goethe für den Abbruch der Beziehung, weil sie nicht dem gesellschaftlichen Stand entsprach, aus dem Goethe stammte. Die Verliebtheit Goethes, seine wechselhaften Höhen und Tiefen, werden in den Gedichten aus seiner Sturm- und Drang-Zeit deutlich und werden später unter dem Titel „Sessenheimer Lieder“ publiziert.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Liebesgedicht „Willkommen und Abschied“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe in den Jahren 1771-1810 verfasst. Hierbei handelt die Poeme von einem euphorischen nächtlichen Treffen des lyrischen Ichs mit seiner Geliebten, die sich jedoch am nächsten Morgen tragisch trennen müssen.
Im Gedicht reitet das lyrische Ich zu einem nächtlichen Treffen mit seiner Liebsten, welchen er trotz aufsteigender Furcht mit großer Vorfreude erwartet. Bei der Begegnung der beiden erklärt das lyrische Ich seine beispiellose Euphorie sowie innigste Hingabe und ergriffene Liebe für sie. Da jedoch ein emotionaler tragischer Abschied der Geliebten am nächsten Morgen naht, verfliegt die anfängliche nahegelegte Hochstimmung, die die erste Begegnung geprägt hat. Nichts desto trotz kommt das lyrische Ich zu dem Entschluss, dass trotz der erfolgslosen Beziehung der zwei Geliebten man ein starkes Gefühl von Liebe erfahren und nachempfinden konnte. Diese mögliche Erfahrung verspricht und führt ein Gefühl, dass von Glück geprägt ist, herbei.
Das Gedicht gliedert die inhaltlichen Abschnitte durch die vorliegenden vier Strophen mit je acht Versen. Hierbei beziehen sich die ersten zwei Strophen auf den Aufbruch des lyrischen Ichs durch die Nacht (vgl. Str.1-2). Die dritte Strophe thematisiert das nächtliche Zusammentreffen des sich liebenden Paares (vgl. Str.3) und die vierte dessen tragischen Abschied (vgl. Str.4). Basierend auf dem vorhandenen Jambus und dem hervorhebenden Kreuzreim sowie der Verdeutlichung der Abwechslung der männlichen Kadenzen1 sowie weiblichen Kadenzen liegt ein bestimmter beweglicher Rhythmus vor, der vor allem den Ausritt des lyrischen Ichs (vgl. Str.1-2) untermalt.
Des Weiteren lassen sich einige Besonderheiten in der Sprache erkennen, die es nun gilt in dieser Interpretation zu analysieren. Zunächst untermauert eine Anapher2 (vgl. V.1-2) die starke Initiative und unausweichliche Tatkraft des lyrischen Ichs, einem Mann der Tat, der seiner Liebe ohne Zweifel folgt.
Durch einige Naturmetaphern3 und -personifikationen4 (vgl. V.3-6, 11-12) gelingt es dem Autor ein düsteres Klangbild zu erzeugen, mit dessen Wirkung die aufsteigende Furcht und expandierende Angst einflößende Stimmung während des Ritts eingeleitet wird. Dies verleiht dem Gedicht unersichtliche Spannung und aufwallende Aufregung, welche sich auf den Leser unmittelbar überträgt, sodass dieser von der Situation, die im Gedicht beschrieben wird, abgeholt wird.
Umso effektvoller erscheint dementsprechend der plötzliche Wechsel der Lage und des Klangbilds. Das lyrische Ich erklärt, dass es Mut und Vorfreude hat (vgl. V.14). Die Aussage wird durch die zwei aufeinanderfolgenden positiv gestimmten Alliterationen5 „frisch und fröhlich“ und „mein Mut“ (vgl. V.14) bekräftigt. Somit werden die anfänglich negative Lage und das hemmende Klangbild von einer positiven und erwartungsvollen Haltung seitens des lyrischen Ichs abgelöst. Dieser rapide Wechsel unterstreicht die zwiespältige Gefühlswelt des lyrischen Ichs, da dieser trotz seiner innigsten Liebe zu seiner Geliebten diese aufgeben muss.
Ebenfalls unterstützen die Stilmittel der Parallelismus, die Anapher und die Ausrufe „In meinen Adern, welches Feuer!/ In meinem Herzen, welche Glut!“ (vgl. V.15-16) den aufschwellenden Elan, die große Vorfreude und die ersichtliche Aufregung des lyrischen Ichs. Hierbei wird ein körperliches und feuriges Leitbild mithilfe der Ausdrücke „Herz“ und „Blut“, „Feuer“ und „Glut“ (vgl. V.15-16) verwendet. Diese unterstreichen effektvoll den Inhalt, dass das lyrische Ich die lodernde Aufregung am ganzen Leib spürt. Somit wird dieses Klangbild bildlich so vermittelt, dass der Leser die gleichen Emotionen mit denen des lyrischen Ichs teilt und sich erneut identifizieren kann.
Des Weiteren wird die Geliebte mit „Du“, einer Apostrophe6, angeredet (vgl. V.17, 19-20, 27-29), was die Identifizierung des Lesers mit der Liebsten bezweckt und das Geschehen dementsprechend nachvollziehbarer macht. Zudem erzeugt diese Anrede eine gewisse Vertrautheit und Nähe, die zwischen den beiden Liebespaaren zu herrschen scheint.
Darüber hinaus stechen, da Inversionen7 (vgl. V.17, 19) verwendet werden, die Wörter „Dich“ aus „Dich sah ich, und die milde Freude“ (vgl. V.17) und „Ganz […] Herz“ aus „Ganz war mein Herz an deiner Seite“ (vgl. V.19) heraus. Somit zeigt diese Satzumstellung, dass die Liebe und die Erfüllung der Geliebten den Vorrang und die Priorität für das lyrische Ich hat. Dies wird durch die vorangestellten Wörter „Dich“ und „Ganz […] Herz“ hervorgerufen und untermalt.
Zudem wird die Message, dass Liebe eine wichtige Stellung hat, durch die Kombination von Apostrophe und Ausruf „ihr Götter!“ (vgl. V.23) untermauert. Hierbei richtet sich das lyrische Ich explizit an die Götter. Dies betont wiederum, dass die hohe Stellung der Götter auf die ebenfalls hohe Stellung der Liebe vom lyrischen Ich äquivalent zu übertragen ist.
Darüber hinaus verdeutlichen der Parallelismus, die Anapher und die Ausrufe „In deinen Küssen, welche Wonne!/ In deinen Augen, welcher Schmerz!“ (vgl. V.27-28) eine inhaltliche plötzliche Wendung. Schließlich spricht man zuerst von „welche Wonne!“ (vgl. V.27), was dementsprechend Freude vermitteln soll. Danach ist die Rede von „welcher Schmerz“ (vgl. V.28), was ein Gefühl von Trauer erweckt. Auffällig hierbei ist der Bezug auf die „Augen“ und „Küsse“, denn beide beziehen sich auf den menschlichen körperlichen Bereich, wie auch die Verse 17 bis 19 dies untermalten.
Eine weitere Wendung wird von einer Anapher eingeleitet. Diese besagt: „Und sahst mir nach mit nassem Blick:/ Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!/ Und lieben, Götter, welch ein Glück!“ (vgl. V.30-32). Hierbei wird der inhaltliche Sprung von großer Trauer (vgl. V.30) zu aufsteigendem Glück (vgl. V.31-32) nahegelegt. Durch einen Chiasmus [mit Einschränkung] (vgl. V.31-32) spiegelt sich eine inhaltliche Veränderung wider. Denn das lyrische Ich bekräftigt zuerst, dass es pures Glück ist, geliebt zu werden – und noch euphorischer – zu lieben. Hierbei wird die zweite Aussage wieder mit „Göttern“ verstärkt, was die Wichtigkeit der Aussage betont.
Des Weiteren illustriert Goethe anhand einiger naturbezogener Metaphern (vgl. V.3-4, 21, 25) einen Tagesablauf. Dieser beschreibt den Prozess vom Abend über die Nacht und den Morgengrauen bis hin zum eigentlichen Morgen. Ein solcher Tagesablauf kann auch als Parallele zu der Liebesbeziehung des Paares stehen. Analog dazu ist festzustellen, dass diese sich ebenfalls entwickelt und entfaltet, jedoch auch ein Ende hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Liebesgedicht „Willkommen und Abschied“ von Johann Wolfgang von Goethe aus den Jahren 1771-1810 den prozessähnlichen Sprachgestus und das Klangbild von Liebe und Natur verdeutlicht, was durch die anaphorische Struktur, die Parallelismen und die Metaphern eingeleitet wird. Die Beziehung des Paares reicht über ihre innigste Liebe hinaus. Dies prägt sie als Individuen weiterhin, was auch die Hauptaussage des Gedichts darstellt.