Die Epoche der lyrischen Weimarer Klassik
Definition/Allgemeines zur Literaturepoche Weimarer Klassik:
Klassik steht für lateinisch „classicus“ (so wurden einst römische Bürger der höchsten Steuerklasse bezeichnet) und bedeutet so viel wie erstrangig oder erstklassig und macht den elitären Anspruch dieser Epoche deutlich. Die Weimarer Klassik sollte im wahrsten Sinne des Wortes für ein zeitloses Ideal und für etwas Überragendes stehen. Daher verstehen wir unter dem Wort „Klassiker“ auch heute noch zeitlose Werke. Die Weimarer Klassik (ca. 1794-1805) überschneidet sich zeitlich mit der Aufklärung (ca. 1720-1800) und löst den Sturm und Drang (ca. 1767-1785) ab. Ein wichtiges Thema in dieser Zeit ist die Französische Revolution, der Fall des Absolutismus und die aufkommende Industrialisierung und Urbanisierung. In der relativ kurzen Epoche von ca. 20 Jahren sind zahlreiche und bis heute bekannte Werke entstanden. Hauptfiguren auf dem heute deutschen Staatsgebiet sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, aber auch Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland. Der Tod Schillers im Jahr 1805 gilt daher auch als das Ende der Weimarer Klassik. Sie war, anders als der rein deutsche Sturm und Drang, eine gesamteuropäische Strömung. Die künstlerischen Zentren stellen dabei das Fürstentum Sachsen und dort speziell Weimar und Eisenach dar sowie Jena in Thüringen. In anderen europäischen Ländern fand die Epoche zeitversetzt statt. In England wird William Shakespeare (1564-1616) der Weimarer Klassik zugerechnet und in Frankreich Molière (1622-1673). In Italien wird der Zeitraum der Weimarer Klassik sogar bereits auf das 13. bis 16. Jh. datiert und beginnt mit Dante Alighieri (1265-1321) und endet mit Torquato Tasso (1544-1595).
- Die Weimarer Klassik geht auf die Klassik zurück. Das Wort „Klassik“ steht für eine Epoche des Altertums im Mittelmeerraum. Vorwiegend ist damit also die griechisch-römische Antike gemeint. Die Weimarer Klassik wird allerdings oft ebenfalls nur als „Klassik“ oder – in Anlehnung an die beiden Hauptfiguren – als Goethe- und Schillerzeit bezeichnet.
- Die Autoren der Weimarer Klassik rekrutieren sich z.T. aus dem Sturm und Drang. So waren Schiller und Goethe in jungen Jahren Anhänger des Sturm und Drangs und sind, sozusagen als Teil des Erwachsenwerdens, die wichtigsten Vertreter der drauf folgenden Weimarer Klassik geworden. Goethe wurde durch seine Italienreise 1786 (welches manchmal als Beginn der Weimarer Klassik genannt wird) maßgeblich von der Antike fasziniert und beeinflusst. Beide Dichter verband später eine tiefe Freundschaft und sie bildeten mit Wieland und Herder einen Dichterbund.
- Viele Balladen der Weimarer Klassik von Goethe und Schiller sind im Jahr 1797 entstanden. 1797 wird daher auch als Balladenjahr bezeichnet.
- Ein wichtiges Anliegen war die Herausbildung eines Erziehungsideals, bei dem der Mensch eine schöne und erhabene Seele haben sollte. Dies wurde aus dem Leitspruch der Weimarer Klassik abgleitet: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“. Die Menschen sollten vernünftig handeln und moralisch erzogen werden. Vernunft sollte auch die Politik leiten. Gemeinsames Ideal: „Das Gute, das Wahre, das Schöne“ (vom antiken Philosophen Platon). Kunst sollte in diesem Sinne der Wahrheit (~Aufklärung) dienen. Gleichzeitig gilt Menschlichkeit und Toleranz als ein hohes Gut in der Weimarer Klassik. Das Individuum sollte (analog zum Sturm und Drang und zur Aufklärung) eine eigenständige Persönlichkeit entwickeln.
- Die Weimarer Klassik wurde stark beeinflusst von der Aufklärung und dem Wunsch nach Wissen („das Wahre“). Es werden daher Fragen nach dem Sein des Menschen und seiner Möglichkeiten und Grenzen (siehe Goethes Faust) gestellt.
- Es wurde ein harmonisches Gleichgewicht aus Verstand und Gefühl angestrebt.
- Die Anhänger der Weimarer Klassik (insbesondere Schiller) korrigierten ihre anfängliche Euphorie für die Aufklärung, als sie die Folgen der Französischen Revolution (1789) und der anschließenden Gewaltherrschaft von Maximilien de Robespierre und den Jakobinern sahen. Im Gegensatz zur Aufklärung postulierte die Weimarer Klassik daher nicht, dass die Ideale der Aufklärung und die notwendige politische Veränderung auch mit Gewalt erreicht und verteidigt werden muss. Stattdessen sollte sich die Gesellschaft evolutionär verbessern, was in Teilen einem Bruch mit dem Sturm und Drang gleichkommt, weil der Sturm und Drang nach gesellschaftlicher Veränderung strebt und gegen die Werte des Bürgertums protestiert.
- Ein weiteres Thema sind antike Helden sowie deren Gefühle und Emotionen. Hier zeigt sich der starke Einfluss des Sturm und Drangs, in dem sich ebenfalls der Held oder das Genie als genialer Schöpfer selbstverwirklicht und wahres Übersichhinauswachsen nur über subjektive Empfindungen möglich ist.
- Die Antike gilt als Vorbild der Weimarer Klassik. Das Ziel nach Harmonie, Ästhetik, Perfektion, Humanität und Würde macht sich auch in der Form bemerkbar, denn Gedichte der Weimarer Klassik stechen durch ihre strikten Aufbau und Regelmäßigkeit sowie durch das harmonische Versmaß heraus. Im Gegensatz dazu fordert der Sturm und Drang, sozusagen als Metapher zur Befreiung des lyrischen Ichs, auch nach freien Formen und Rhythmen. Zudem ist die Weimarer Klassik sprachlich weniger derb als der Sturm und Drang, weil Vernunft und Gefühl einen Ausgleich bilden sollten.
- Neben der Form wurden auch verstärkt antike Figuren und Vorbilder eingesetzt (z.B. antike Götter).
- Das ästhetische und harmonische Zusammenspiel der Kräfte wird in der Natur als vollendet angesehen. Der Hang zur Natur wird in Goethes Werken, welcher auch als Naturwissenschaftler tätig war, deutlich.
- Häufige anzutreffende Kunstformen in der Weimarer Klassik sind Dramen und Balladen (1797 gilt als Balladenjahr). Bei den Dramen wurden klassische Dramenkonzepte wieder aufgegriffen (wie der Aufbau in den 3 Einheiten Raum, Zeit und Logik nach Aristoteles). Ebenso erfuhr die antike Hymne eine große Beliebtheit, aber auch die Ode (Lied) und das Sonett.
- Wichtige Dramen der Weimarer Klassik: „Iphigenie auf Tauris“, „Egmont“ und „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe, „Maria Stuart“, „Don Karlos“, „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller. Die genannten Dramen sind auch heute noch Bestandteil vieler Theaterprogramme.
- Wichtige Balladen der Weimarer Klassik: „Der Handschuh“, „Der Taucher“ und „Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller sowie „Der Zauberlehrling“ und „Die Braut von Korinth“ von Johann Wolfgang von Goethe. Goethes Erlkönig gilt dagegen als Wendewerk vom Sturm und Drang hin zur Weimarer Klassik.
- Weitere wichtige Werke der Weimarer Klassik: „Der zerbrochene Krug“ (Komödie) von Heinrich von Kleist und „Hyperion oder Der Eremit in Griechenland“ (Roman) von Friedrich Hölderlin.
- William Shakespeare (1564-1616) wird der Renaissance zugerechnet, die deutlich vor der Weimarer Klassik datiert wird (ca. 1500 bis 1649). Shakespeare galt allerdings als Vorbild für Schiller und Goethe und so erklärt sich, dass z.B. Shakespeares „Romeo und Julia“ gelegentlich auch verschiedenen deutschen Epochen (wahlweise Romantik, Sturm und Drang oder der Weimarer Klassik) zugeordnet wird. Die deutschen Übersetzungen von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck (die sog. Schlegel-Tieck-Übersetzung) trug zur Zeit der Weimarer Klassik zur Popularität von Shakespeares Werken bei.
Historischer Kontext:
- Französische Revolution im Jahr 1789, die Feinde der Revolution wurden erbarmungslos gejagt. 1793 wurden König Ludwig XVI und seine Frau Marie Antoinette hingerichtet.
- Napoleon Bonaparte gelang 1799 in Frankreich an die Macht und wird 1804 schließlich zum Kaiser.
- 1806 wird auf Initiative Napoleons der Rheinbund gegründet. Dies stellte eine Konförderation deutscher Staaten dar, welche aus dem Verband des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen austraten und fortan unter der Schutzmacht Frankreichs standen.
- Die preußischen Truppen werden 1806 bei Jena und Auerstedt von Napoleon besiegt. Weitere deutsche Staaten schließen sich dem Rheinbund an.
- Als Reaktion auf die Niederlage gegen Napoleon und den hohen Tributzahlungen an Frankreich führt Preußen umfassende Modernisierungen in Form der Preußischen Reformen durch. Die Preußischen Reformen wälzen die Gesellschaft um und bestand aus Agrarreformen, Reform der Stadtverwaltung, Militärreformen, Gewerbeneuordnung und Bildungswesen. Infolge kam es zur Bauernbefreiung, Selbstverwaltung der Städte, Gewerbefreiheit und zur Judenemanzipation. Die Modernisierung griff auf andere Staaten Europas über und stand unter dem Ideal der Aufklärung.
- 1812 scheitert Napoleon gegen Russland. Als Reaktion beginnen die Feinde Frankreichs 1813 einen Befreiungskrieg, welcher 1815 in der Schlacht bei Waterloo (heutiges Belgien) gipfelte. Napoleon verliert seine Macht und muss 1815 auf die Insel St. Helena in Exil.
- Nach der Niederlage Frankreichs bei Waterloo beginnt 1815 der Wiener Kongress mit dem Ziel der Neuordnung Europas. Der Feldzug Napoleons hatte die politische Landkarte Europas ins Chaos gestürzt und der Wiener Kongress sollte die alte Ordnung größtenteils wiederherstellen, indem er Teilen des Adels seine Macht zurückgab, Grenzen neu setzte und künftige Revolutionen verhindern wollte. Dies wird auch als Restauration der vorrevolutionären Verhältnisse bezeichnet.
Themen der Weimarer Klassik:
- Natur als vollendetes Zusammenspiel der Kräfte, Natur als Vorbild
- Antike Motive und Figuren
- Erhabenheit und Würde des Menschen und moralische Erziehungsideale
- Streben nach dem „Wahren, Schönen und Guten“
Kennzeichen und Merkmale:
- Ästhetische und harmonische Formen, festes Versmaß
- Hymne, Ode und Sonett als beliebte Gedichtart, auch die Ballade ist zu erwähnen
- Hinwendung zur Dramatik
- Abweichungen im Metrum nur an Stellen, die hervorgehoben werden sollen
Gedichtbeispiele und bekannte Werke zu Themen der Weimarer Klassik:
Natur:
- „Gefunden“ von Goethe
- „Mächtiges Überraschen“ von Goethe
- „Natur und Kunst“ von Goethe
Antike Motive und Figuren:
- „Die Teilung der Erde“ von Schiller (Erwähnung des griechischen Gottes Zeus)
- „Kassandra“ von Schiller (Aufgreifen der griechischen Mythologie in Form der Kassandra, Erwähnung weiterer Figuren und Szenen)
Helden / Erhabenheit und Grenzen des Menschen:
- „Die Teilung der Erde“ von Schiller (der Held wird hier am Ende allerdings zur passiven Karikatur)
- „Das Göttliche“ von Goethe (behandelt die Möglichkeiten und Grenzen des Menschen)
- „Grenzen der Menschheit“ von Goethe
- „Der Zauberlehrling“ von Goethe (Darstellung des Übermuts und der darauf folgenden Belehrung des Zauberlehrlings; die Ballade kann als Kritik sowohl an der Aufklärung als auch am Sturm und Drang interpretiert werden, weil der Zauberlehrling durch seinen Drang zur Selbstverwirklichung in Kombination mit seinem Wissen zerstörerische Kräfte entfaltet und erst durch die Anerkennung der Autorität des Hexenmeisters alles wieder ins Lot kommt)
Moralische Erziehungsideale:
- „Die Bürgschaft“ von Schiller (Motiv: Freundschaft und Treue)
- „Das Göttliche“ von Goethe (Beginnt sofort mit dem Leitspruch der Weimarer Klassik: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“)
Wahrheit und Aufklärung:
- Die Szene „Marthens Garten“ aus Faust 1 von Goethe (Zwiespalt zwischen der Religion und der Aufklärung)
Bekannte Autoren/Vertreter der Weimarer Klassik:
- Christoph Martin Wieland
- Johann Wolfgang von Goethe
- Johann Gottfried Herder
- Friedrich Schiller
- Friedrich Hölderlin wird bisweilen sowohl der Weimarer Klassik als auch der Romantik zugerechnet. Sein Gesamtwerk wird oftmals aber auch als eigenständig betrachtet und keiner der Strömungen zugeordnet.
29. Juli 2017 um 21:57
[…] z.B. Studien zum Thema Anatomie, Farb- und Lichtphänomene sowie zur Meteorologie). Goethe wird der Weimarer Klassik sowie dem Sturm und Drang (Geniezeit) […]
31. Juli 2017 um 23:48
[…] Weimarer Klassik (1794-1805) […]
02. August 2017 um 00:12
[…] Weimarer Klassik (1794-1805) […]
07. August 2017 um 22:51
[…] der antiken Künste herbeizuführen. Man nennt diese Epoche der Goethe- und Schillerzeit heute Weimarer Klassik. Tugenden und Ideale wie Ästhetik, Vollendung, Ruhe, Vernunft und Objektivität wurden zu den […]
02. Juli 2019 um 10:23
Beitrag sehr empfelenswert