Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
DIE TEILUNG DER ERDE – AUS LIEBE ZUM BERUF
Mit dem balladenhaften Gedicht „Die Teilung der Erde“ lieferte Friedrich Schiller ein „typisch romantisches“ Werk ab. Es entstand im letzten Lebensjahrzehnt des Dichters – jener Phase, in der er engen Kontakt zu Goethe pflegte, sich zunehmend unwohler fühlte und kaum noch philosophierte. Obwohl die Arbeit ganz ähnliche Züge aufweist wie die etwa zeitgleich entstandene Bürgschaft, ist sie weit weniger bekannt. Sie taucht nur in wenigen Sammelbänden auf und wurde sogar von Schiller selbst vernachlässigt: Als der Verleger Johann Friedrich Cotta den Dichter bat, die seiner Meinung nach wichtigsten Balladen seines lyrischen Œuvres zusammenzutragen, fehlte „Die Teilung der Erde“. Das mochte zum einen daran liegen, dass das Werk zu kurz ist, um als Ballade im eigentlichen Sinne zu gelten; könnte aber auch auf einer späten Erkenntnis Schillers beruhen – denn besonders raffiniert ist das Gedicht nicht.
HANDWERKLICH BRILLANT
Das erkannt wohl auch Duz-Freund Goethe, der auf eine erste Zusendung der Zeilen gar nicht reagierte. Erst als deren höchst gespannter Schöpfer ein zweites Mal nachfragte, erhielt er zur Antwort, sie seien
„ganz allerliebst“
geraten. Was das aus dem Munde bzw. der Feder des geschätzten Kollegen und Dichterfürsten bedeutete, hätte Schiller ahnen müssen – und tat es vermutlich auch. Es ist keine Korrespondenz erhalten geblieben, in der er um Korrekturhinweise gebeten hat und es liegen keine revidierten Fassungen des Gedichts vor. Sein Urheber fand es trotz der zwar versteckten, aber doch deutlich erkennbaren Kritik großartig genug, um NICHTS daran zu ändern.
So liegt mit „Die Teilung der Erde“ ein klassisch strukturiertes, ganz und gar regelmäßig gebautes Werk vor, das eine recht simple Geschichte zu erzählen scheint. Es besteht aus acht Strophen zu je vier Zeilen, die in paarweisen Kreuzreimen verfasst sind. Die Kadenz2 der Verse ist abwechselnd männlich und weiblich; der Jambus auf eins, zwei und drei fünf- sowie auf vier vierhebig. Durch diese strenge Form mahnt Schiller seine Leser in „typischer“ Klassik-Manier, ihrem Leben eine feste Struktur zu geben und moralische Grundsätze zu achten.
DER FORM HALBER
Soweit mag auch Goethe das Anliegen des Freundes erkannt und still belächelt haben – denn Schillers versuchte mènage-á-trois mit den Schwestern von Lengefeld dürfte zwischen den Dichter-Kumpanen kein Geheimnis gewesen sein. Und tatsächlich führte Schiller nach dem Scheitern der angestrebten Dreiecks-Beziehung eine fast schon langweilig zu nennende Ehe. Die aber gab ihm genau jenen Halt, den er brauchte, um seinem Beruf nachgehen zu können. Indem Charlotte Schiller ihrem Mann alltägliche Kleinigkeiten vom Leibe hielt, ermöglichte sie ihm das Schreiben und Dichten, das er so sehr liebte.
Von einer solch rationalen Zweierbeziehung konnte Goethe zu dieser Zeit nur träumen: Gerade erst hatte er Christiane Vulpius klar machen müssen, dass ihm seine Arbeit immer mehr bedeuten würde als eine Ehefrau und vergnügte sich zum „Beweis“ wieder einmal mit Frau von Stein – weswegen die Dauergeliebte nun bei ihrem Bruder und ihrer Tante weilte. Kein Wunder also, dass der genervte Dichter die moralisierende Form der Kollegen-Verse allenfalls
„ganz allerliebst“
gefunden hatte.
BEWÄHRTER INHALT
Erschwerend hinzu kam der Inhalt: In „Die Teilung der Erde“ spann Schiller den altbekannten Faden der Schöpfungsgeschichte weiter. Er ließ Gott durch die Gestalt Zeus' zu den Menschen sprechen, sie mögen sich in sein Werk
„brüderlich darein“ (V. 4)
teilen. Durchaus möglich, dass Goethe schon hier – bei Vers vier – zu seinem Urteil gekommen war und gar nicht weitergelesen hat. Die griechisch-römische Mythologie war nämlich gerade ganz groß in Mode und gerechtes Teilen hatten kampfeslustige Franzosen erst wenige Jahre zuvor skandiert. Als einer, der gern mal gegen den Strom schwamm, mag Goethe die zeitgemäße Wiederkäuerei Schillers ein wenig aufgestoßen sein.
Vielleicht ist er beim weiteren Studieren der Verse aber auch darüber gestolpert, dass es in „Die Teilung der Erde“ eben NICHT freiheitlich-gleichheitlich-brüderlich zugeht – denn Schiller hatte es sich erlaubt, einen der bei Zeus vorsprechenden Berufsstände zu erhöhen. Passenderweise natürlich den eigenen. Nur dem Poeten verlieh er die Fähigkeit, direkt mit Gott zu reden; nur er wird vom Ranghöchsten persönlich angesprochen; nur er erkennt des
„Himmels Harmonie“ (V. 26)
und nur ihm wird steter Einlass in das olympische Reich zugesichert. Das muss sogar dem von sich überzeugten Goethe „too much“ gewesen sein, so dass sein Kommentar zu Schillers Gedicht durchaus ironisch gewertet werden kann.
VERKANNTES ANLIEGEN
Doch damit hatte er die (Ab-)Rechnung ohne den nötigen Hintersinn gemacht. Sein jüngerer Kollege hatte nämlich keineswegs vor, den Beruf des Dichters oder gar sich selbst herauszustreichen. Sehr viel mehr war es Schiller darum gegangen zu beweisen, dass sich auch unmöglich Scheinendes schaffen lässt – im geschilderten Falle also sogar als verspätet Eintreffender noch das beste Stück vom Kuchen abzubekommen. Warum er ausgerechnet DIESE Botschaft in „Die Teilung der Erde“ versteckt hat, erschließt sich durch einen Rückblick auf sein Leben:
Der nunmehr zum Dichter Aufgestiegene hatte einst selbst mit Standesunterschieden zu kämpfen. Vom württembergischen Herzog Karl Eugen zum Besuch einer Militärakademie gezwungen und zur Arzt-Ausbildung gedrängt, blieb Schillers Wunsch nach einem Theologie-Studium unerfüllt. Auch sein literarisches und sein philosophisches Interesse lagen aufgrund der vorgeschriebenen Berufslaufbahn brach. Um sie dennoch pflegen zu können, schrieb der verhinderte Poet heimlich – und wandte allerlei Tricks an, um seinen Gönner nicht zu verstimmen: Für das Theaterstück „Die Räuber“ verfremdete er Ort und Zeit der Handlung so sehr, dass der Herzog sich darin keineswegs wiederfinden konnte. Darüber hinaus wurde es ausschließlich im benachbarten Mannheim aufgeführt.
In „Die Teilung der Erde“ konnte Schiller endlich Klartext sprechen und seinem aufgestauten Unmut über ungerecht verteilte Chancen Luft machen. Zugleich nutzte er das Gedicht um zu verdeutlichen, wie sehr die Menschheit Höhergeistliches braucht. Während er die Vertreter der übrigen Stände nur an ihr eigenes Wohl denken und dem Naheliegendsten nachgehen ließ, räumte er dem zu spät kommenden Poeten eine exponierte Stellung ein. Er hat weder Interesse an
„des Feldes Früchten“ (V. 7)
noch an Jagderfolg oder an dem
„was seine Speicher fassen“ (V. 9)
Auch Brücken- und Straßenzölle oder
„den edeln Firnewein“ (V. 10)
verachtet er. Einzig das Immaterielle und Geistige strebt er an. Damit auch der letzte Narr unter der zukünftigen Leserschaft verstehen würde, wie wichtig Schiller dieses Streben war, gestaltete er seinen Gedicht-Dichter gottgleich.
UNERWARTETE WIRKUNG
Wahrlich
„ganz allerliebst“
– wäre da nicht noch der Nachsatz Goethes, mit dem er zeigte, dass auch er sich von der Überhöhung seines Berufsstandes angesprochen fühlte. Der leicht ätzende Kommentar an seinen Poeten-Kollegen schloss mit den Worten
„wahr, treffend und tröstlich“
Er erklärt, warum der sonst eher bescheidene Schiller das etwas narzisstisch wirkende Werk unverändert veröffentlichte. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Arbeiten seines Œuvres erfuhr es kaum Adaptionen. In den letzten Jahren diente es jedoch häufig als Beispiel dafür, wie sehr ein Klassiker von aktuellen Entwicklungen überholt werden kann. Zahlreiche Rezensenten stufen „Die Teilung der Erde“ als absolut unzeitgemäß ein und fordern, das Gedicht aus der so genannten Bildungsliteratur für Kinder zu streichen. Dabei geht es ihnen allerdings weniger um das Hervorheben einer „Inselbegabung“ – sondern um die Passivität des Helden. Vom
„Lichte berauscht“
verfällt der erdachte Dichter in sträfliche Untätigkeit; wird dafür aber am reichsten belohnt – ein Szenario, mit dem Schiller sein „Du kannst es schaffen!“-Anliegen ungewollt karikierte.