
Drama: Emilia Galotti (1772)
Autor/in: Gotthold Ephraim LessingEpoche: Aufklärung
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Der IV.Aufzug, 3. Auftritt stammt aus Gotthold Ephraim Lessings Drama „Emilia Galotti“, welches 1772 erschien. In der dritten Szene des vierten Aktes steht die Gräfin Orsina im Mittelpunkt, welche im Lustschloss Dosalo auftaucht, da sie denkt, dass der Prinz sie dort erwartet. Im Laufe des Gesprächs mit Marinelli merkt sie jedoch, dass dort etwas Unrechtes zugange ist. Die Szene spielt kurz nachdem Emilia in Dosalo eingetroffen ist, zum Schutz vor den Räubern, welche Appiani umbrachten. Nach der Szene kommt Orsina Marinellis Intrige auf die Schliche und erzählt Odoardo davon.
Zu Beginn der Szene trifft Orsina im Lustschloss ein und erblickt niemanden. Sie scheint sehr verwirrt und stellt viele Fragen. Sie eröffnet diese Szene mit einem Gedankenstrom. Bereits am Anfang ist die Gräfin entsetzt, dass sie nicht so begrüßt wird, wie normalerweise (vgl. Z. 3-4) und merkt, dass etwas anders ist. Sobald sie Marinelli erblickt, beginnt sie ihm all die Fragen zu stellt (vgl. Z. 7). Marinelli antwortet ihr mit einer Gegenfrage und bleibt dabei sehr höflich. Er spricht sie mit „gnädige Gräfin“ (Z. 8) an. Orsina erwidert auf seine Frage: „Wer sonst?“ (Z. 9), was zeigt, wie enerviert die Gräfin von der Situation ist. Die beiden Figuren beginnen über den Brief zu reden, welchen Orsina dem Prinzen geschrieben hatte und ihn darin bat, auf Dosalo zu kommen. Marinelli tut währenddessen so, als wäre er vollkommen unwissend (vgl. Z. 8) und meint, dass es sich vage an einen Brief erinnern würde (vgl. Z. 13). Als Orsina weiter auf die Situation mit dem Brief eingeht (vgl. Z. 14-17), bezeichnet Marinelli es als einen „sonderbaren Zufall“ (Z. 18). Durch diese Bezeichnung der Situation erscheint Marinelli äußerst scheinheilig und es scheint so, als würde er die Gräfin beschwichtigen wollen, sodass diese endlich geht. Orsina reagiert darauf allerdings entsetzt (vgl. Z. 19) und geht mit ihren Worten auf Marinelli los. „Wie er dasteht, der Herr Marchese!“ (Z. 20), sagt sie und verdeutlicht damit, wir aufgebracht sie ist. Marinelli versucht die Situation zu rechtfertigen und erklärt ihr, dass sie so weit weg schien und sie sie deshalb nicht erwartet hätten (vgl. Z. 21). Orsina fragt daraufhin nach dem Prinzen und Marinelli beschwichtigt sie erneut (vgl. Z. 27). Als dies jedoch nicht funktioniert und Orsina versucht an ihm vorbei zum Prinzen zu gelangen (vgl. Z. 31), hält Marinelli diese zurück und ändert seine Strategie (vgl. Z. 32). Diese Stelle ist der erste Wendepunkt im Gespräch. Marinelli sagt der Gräfin die Wahrheit, dass der Prinz sie nicht sprechen möchte (vgl. Z. 36-37) und dass er ihren Brief nicht gelesen hätte (vgl. Z. 41). Orsina reagiert auf die Wahrheit zuerst wütend. Dies ändert sich allerdings sehr schnell und ihre Wut über den nicht gelesenen Brief geht in Wehmut über (vgl. Z. 42-43). Als Marinelli dies bemerkt, möchte er sie beruhigen und erklärt ist, dass dies nicht aus Verachtung geschah (vgl. Z. 44). Auf diese Bemerkung reagiert die Gräfin zuerst mit Wut (vgl. Z. 45), bemerkt aber dann, dass es mit dem Prinzen ausgemacht war, dass er sie irgendwann nicht mehr lieben würde. An dieser Stelle argumentiert Orsina mit Vernunft. Erneut gibt es einen Wendepunkt in Marinellis Strategie und er beginnt der Gräfin zuzustimmen (vgl. Z. 51). Diese antwortet Marinelli jedoch abwertend und beginnt über die Gleichgültigkeit zu philosophieren (vgl. Z. 52-58). Im Laufe ihres kurzen Monologs akzeptiert sie zwar ihre Position als Frau, unterstellt sich dem aber nicht und erklärt dem Mann den Begriff Gleichgültigkeit. Gegen Ende des Monologs wird sie noch einmal kurz abwertend gegenüber Marinelli, da sie fragt. „Ist dir das zu hoch, Mensch?“ (Z. 58). Sie duzt ihn nicht nur, sondern spricht ihn sogar mit Mensch an und nicht mit seinem Namen. Dadurch erinnert sie ihn an die gesellschaftliche Rangordnung und daran, dass er ihr unterstellt ist. Marinelli antwortet darauf jedoch nicht entsetzt oder wütend, sondern scheinheilig und unterstellt sich dadurch der Gräfin (vgl. Z. 59). Diese Antwort Marinellis scheint bei Orsina zu wirken, da diese sich beruhigt und auch wieder zur Höflichkeitsform „Sie“ (Z. 60) wechselt. Marinelli beruhigt sie weiter, indem er ihr schmeichelt und ihr seine Bewunderung darlegt (vgl. Z. 61-62). Wieder schafft er es die Gräfin zu besänftigen, welche auf seine Schmeichelei eingeht. In ihrem nächsten Monolog (vgl. Z. 63-74) besinnt sie sich darauf zurück, dass sie nur eine Frau sei und diese nicht denken sollte. Aus diesem Grund sei es aus Orsinas Sicht auch verständlich, dass der Prinz kein Interesse mehr an ihr zeige (vgl. Z. 65-67). Dieser Zustand der Gräfin hält allerdings nicht lange an, da sie im selben Monolog noch anfängt, sich über ihre Situation lustig zu machen (vgl. Z. 71-72) und beginnt, sich als eine Frau im Scherze zu bemitleiden (vgl. Z. 73-74). Daraufhin wendet sich Orsina wieder an Marinelli und befiehlt ihm, mit ihr zu lachen (vgl. Z. 74). An dieser Stelle kommt es dann zum letzten Wendepunkt im Gespräch. Marinelli widersetzt sich ihrem Befehl und sagt „Gleich, gnädige Gräfin, gleich!“ (Z. 75). Die Gräfin antwortet darauf nicht wütend, sondern akzeptiert, dass der Moment zum Lachen vorbei ist. Sie beginnt über das Wort Zufall nachzudenken und erkennt die Wahrheit. Nämlich, dass es keine Zufälle gibt (vgl. Z. 81). Sie bittet Marinelli „noch einmal zu so einem Frevel“ (Z. 85) zu verleiten. Marinelli widerspricht ihr allerdings erneut (vgl. Z. 86) und die Gräfin verliert ihre Geduld und sagt, dass sie mit dem Prinzen sprechen müsse (vgl. Z. 90): Im gesamten Verlauf des Gesprächs ist zu erkennen, das Marinelli auch dieses Gespräch wieder unter seiner Kontrolle hat. Durch seine Scheinheiligkeit, seine Beschwichtigungen und sogar durch seinen Widerspruch lenkt er das Gespräch so, wie er es möchte. Orsina zeigt ihm, durch ihre langen Passagen und ihre teilweise abwertenden Antworten, dass sie gesellschaftlich über ihm steht und Marinelli geht darauf auch ein. Er verwendet im gesamten Gespräch die Höflichkeitsform, sodass Orsina denkt, sie hätte die Oberhand, was allerdings nicht stimmt. Marinelli benötigt für all das jedoch keine langen Passagen wie Orsina. Er schafft es mit kurzen Sätzen die Kontrolle über das Gespräch zu gewinnen.
Des Weiteren repräsentiert Gräfin Orsina den Aufklärungsgedanken in der gesamten Szene. Sie zeigt, wie die Menschen zu der Zeit begannen, eigenständig zu Denken. Die Emanzipation des Denkens stand sehr weit im Vordergrund. Gräfin Orsina zeigt all das. Sie beginnt darüber nachzudenken, was Gleichgültigkeit eigentlich bedeutet (vgl. Z. 52-58) und auch, ob es den Zufall überhaupt gibt (vgl. Z. 76-85). Hinzu kommt noch, dass sie in ihrem Gespräch mit Marinelli immer wieder Fragen gestellt hat. Sie eröffnete die Szene sogar mit einem Gedankenstrom aus Fragen (vgl. Z. 1-7). Dies verdeutlicht ihr Verlangen danach, die Wahrheit rauszufinden und ist auch typisch für die Aufklärung, da zu der Zeit der Wissensdurst enorm war. Außerdem ist der Aufklärungsgedanke auch in der Tatsache zu erkennen, dass sie einen Gedankenstrom verwendet. Der Gedankenstrom folgt nämlich keinen strengen Regeln. In der Aufklärung kritisieren die Menschen die strikten kirchlichen uns gesellschaftlichen Ordnungen und diesen Protest symbolisiert der Gedankenstrom.
Zusammenfassend ist Orsina ein typisches Beispiel für eine Person, welche zur Zeit der Aufklärung lebte. Sie kritisiert die festen Regeln, will die Wahrheit wissen und denkt selbstständig. Gräfin Orsina hat den Mut, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen und akzeptiert nicht, wenn ihr jemand vorschriebt, was sie zu denken und zu glauben hat.