Drama: Emilia Galotti (1772)
Autor/in: Gotthold Ephraim LessingEpoche: Aufklärung
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Das bürgerliche Trauerspiel „Emilia Galotti“, verfasst von Gotthold Ephraim Lessing im Jahre 1772, nach dem Vorbild der Legende der römischen Jungfrau Virginia, ist in die Epoche der Aufklärung einzuordnen. In dem Werk geht es um den Prinzen Hettore Gonzaga, der ein unstillbares Begehren für die bürgerliche Emilia Galotti entwickelt und alles darum gibt, sie zu der Seinen zu machen, was zunächst zu dem Tod ihres Geliebten führt und zuletzt damit endet, dass Emilia ihren eigenen Tod als letzten Weg sieht, dem Prinzen zu entrinnen.
Thematisch befasst sich Lessings Drama mit dem Antagonismus zwischen dem Adel und dem Bürgertum und kritisiert dabei sowohl die festgefahrenen Tugenden und Moralprinzipien des Bürgertums als auch den Egoismus und die Willkürherrschaften des Adels.
Im Gegensatz zu dem Aufbau einer klassischen Tragödie, steht in der Gattung eines bürgerlichen Trauerspiels das Bürgertum und nicht der Adel im Vordergrund, was zu der Zeit der Entstehung Emilia Galottis eher ungewöhnlich war.
Der siebte Auftritt des fünften Aktes hat seinen Schauplatz in dem Lustschloss des Prinzen bei Dosalo und stellt nach dem pyramidalen Modell eines typischen Dramas, nach Gustav Freytag, die Katastrophe und somit den letzten Höhepunkt des Werkes dar. In dieser Szene bringt Emilia ihren Vater dazu sie zu erdolchen, da sie es als letzten Ausweg sieht, sich dem Prinzen zu entziehen, ohne dabei ihre Tugenden und ihre Unschuld zu verlieren.
Vorhergehend hatte Odoardo von der ehemaligen Geliebten des Prinzen, Gräfin Orsina, erfahren, dass der vermeintliche Überfall auf die Hochzeitskutsche seiner Tochter, eine vom Prinzen und von seinem Kammerherrn inszenierte Intrige war, die seine Tochter zum Spielball des Adels zu machen, drohte.
Die Szene verläuft lediglich in einem Dialog zwischen Odoardo und Emilia Galotti und lässt sich in zwei Sinnabschnitte teilen. Im ersten Sinnabschnitt (S. 68 Z. 21- S. 69 Z. 38) erfährt die zuvor unwissende Emilia von der Intrige des Prinzen, derer ihr ehemalig zukünftiger Ehemann sein Leben schuldete und die sie in diese Misere gestürzt hatte.
Der zweite Sinnabschnitt (S. 69 Z. 39 - S. 70 Z. 43) befasst sich mit Emilia die ihre Verzweiflung in Entschlossenheit verwandelt und ihren Vater dazu bringt, sie mit einem Dolch zu erstechen, da sie es als letzten Ausweg sieht eine eigene Entscheidung zu treffen und sich vor der Bedrängnis des Prinzen zu retten.
Schon zu beginn der Szene tritt Emilia Unsicherheit zum Vorschein, denn als sie ihren Vater erblickt, begrüßt sie ihn mit einer Reihe rhetorischer Fragen: „Wie? Sie hier, mein Vater? – Und nur Sie? – Und meine/ Mutter? nicht hier? – Und der Graf? nicht hier? – Und Sie so/ unruhig, mein Vater?“ (Z. 21-23). Doch die Gegenfrage, mit der Odoardo antwortet, „Und du so ruhig, meine Tochter?“ (Z. 24) lässt darauf schließen, dass Emilia trotz ihrer Besorgnis ruhig zu bleiben scheint. Jenes betont Emilias religiöse Erziehung, denn sie nimmt die Dinge, wie sie kommen, da sie sie als von Gott vorbestimmt empfindet. Sie betont ihre Ruhe in Zeile 25 und der darauffolgenden erneut mit den Worten „Entweder ist nichts verloren oder alles“, was ihr Denken, dass sie nun ohnehin nichts mehr zu verlieren hätte, betont.
Weiterführend stellt sie repetitiv klar, dass ihrer Meinung nach nun alles verloren sei (Vgl. Z. 29-30). Odoardo hakt nach, was sie alles als verloren betrachte und ob sie jenes so empfinde, weil der Graf tot sei (Vgl. Z 1-2). Emilia, die zuvor nicht sicher wusste, dass der Graf Appiani sein Leben gelassen hatte, gibt mithilfe einiger Ausrufe wie „Und warum er tot ist! Warum!“ (Z. 3-4) zu verstehen, dass sie die Intrige bereits durchschaut hätte, da sie sie in den „nassen und wilden Augen“ ihrer Mutter hatte lesen können (Vgl. Z. 5) und sich nun nur bestätigt fühle.
Weiterführend geht Emilia darauf ein, dass sie, nun wo sie sicher sei, dass der Graf nicht wiederkommen würde, in brevi aus dem Lustschloss des Prinzen verschwinden wolle (Vgl. Z. 7 ff.). Doch ihr Vater führt ihr vor Augen, dass sie nicht fliehen können und dass sie immer „in den Händen [ihres] Räubers“ (Vgl. Z. 11-12) bliebe. Als Antwort darauf kommen erstmalig, die starken, unabhängigen, aufgeklärten Charakterzüge Emilias zum Vorschein, denn sie fordert von ihrem Vater Selbstbestimmung mit den Worten „[…] [l]assen Sie mich nur, lassen Sie mich nur. - Ich will / doch sehn, […] wer der Mensch/ ist, der einen Menschen zwingen kann“ (Vgl. Z. 17-19). Sie gibt zu verstehen, dass niemand, nicht einmal der über ihr stehende Adel, das Recht hätte, einen Menschen gegen seine Willen zu etwas zu zwingen. Die Tatsache, dass Emilia sich trotz des Starrsinns und der rigorosen Art ihres Vaters traut, solche Aussagen zu treffen, unterstreicht, dass sie nichts mehr fürchtet - nicht einmal ihren eigenen Vater.
In diesem Teil des Dialogs wird die Idee der Aufklärung deutlich, die die Unabhängigkeit des Denkens der Menschen und die Befreiung ihrer aus der Unmündigkeit herausstellt. Während Emilias Charakter sich wandelt und sie endlich ihre eigenen Entscheidungen treffen möchte, verändert sich zeitgleich auch der Charakter Odoardos. Dies erkennt man anhand des Vergleichs der Art der Sprache zu Beginn der Szene, als die Sprache von Emilias Vater dazu tendiert eher aggressiv zu wirken (vgl. Z. 31ff.), mit seiner Ausdrucksweise gegen Ende der Szene, denn diese wird immer bestärkender während er erkennt, dass Emilia ihre Unabhängigkeit verlangt und versucht sie zu beschwichtigen. So schmeichelt er Emilia in gewissermaßen, als er kundgibt, dass die „Weiber“ in seinen Augen das bessere Geschlecht seien, lediglich ihr Ton zu fein geraten wäre (Vgl. Z. 25 ff.). Anschließend verdeutlicht er Emilia, dass der Prinz sie zum Hause der Grimaldis schicken wolle (Vgl. Z. 31-32). Emilias Aufgebrachtheit gipfelt in einer Reihe von Ausrufen (Vgl. Z. 33-35), in denen sie erneut versucht, ihren Vater aufzuklären (Vgl. Z. 34-35 „Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein/Vater!).
Odoardo jedoch erwidert, dass seine Wut nur bereits abgeebbt wäre, er zuvor aber in Versuchung gewesen sei, dem Prinzen oder Marinelli den Dolch durchs Herzen zu stechen (Vgl. Z. 36-38). Emilia reagiert schockiert (Vgl. Z. 39), was den historischen Hintergrund der Entstehungszeit von Lessings Werk akzentuiert, denn vor Beginn der französischen Revolution stellte der Mord an einem Adeligen eine absolute Unmenschlichkeit dar.
Weiterführend fordert Emilia ihren Vater auf „Mir, mein Vater, mir/ geben Sie diesen Dolch“, denn ihr Leben sei alles was „die Lasterhaften [hätten]“ (Vgl. Z. 39-40). Mit diesen Worten macht Emilia deutlich, dass der Prinz und Marinelli die ganze Intrige sinnlos eingeleitet hätten, wenn ihr Objekt der Begierde, Emilia, nicht mehr unter ihnen weilte.
Odoardo Galotti reagiert ruhig, erklärt Emilia, dass auch sie ein Leben zu verlieren hätte (Vgl. S. 70 Z. 2). So appelliert Emilia, die ihren Vater kennt, an seine Tugenden, sie hätte nicht nur ein Leben, sondern auch nur eine Unschuld zu verlieren (Vgl. Z. 2-3). In der fünften Zeile wird Emilias angst, verführbar zu sein deutlich, die diametral1 zu ihrer religiösen, tugendhaften Erziehung steht. Mit den Worten „Ehedem wohl / gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten den besten Stahl in das Herz senkte – ihr / zum zweiten das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von/ ehedem! Solcher Väter gibt es keinen mehr!“ erreichen Emilias absichtlichen Sticheleien ihren Höhepunkt und bewegen ihren Vater dazu, sie mit dem Dolch zu durchstechen. Emilia, die sich zuvor eine Rose aus dem Haar gezogen hatte, liegt nun in den Armen ihres Vaters und vergleicht sich, während sie so im Sterben liegt, ebenfalls mit einer Rose. „Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert“ (Z. 42) sind die Worte, die sie wählt, um für sich selbst ein passendes Symbol zu finden.
Die Rose ist ein allgemeines Symbol für Unschuld. Emilia wollte lieber sterben, als ihre Unschuld zu verlieren, denn ihre Angst entblättert werden zu können, sprich verführbar zu sein, war für sie genug Grund, sich das Leben zu nehmen. Doch in ihrem religiösen Glauben, ist sie sich bewusst, dass Selbstmord mit der Hölle gestraft wird. Mit der Aufforderung an ihren Vater, sie zu töten, hatte sich Emilia ein für alle Mal aus der Unmündigkeit befreit, was ihr erneut eine Identität verleiht. Jene hatte sie aufgrund ihrer Objektifizierung durch die Besitzansprüche des Prinzen und denen ihres Vaters verloren.
Der siebte Auftritt des fünften Aufzuges ist der vorletzte Auftritt des gesamten Buches. Gleichzeitig stellt er mit dem Tod Emilias das endgültige Ende der Intrige des Adels dar.
In der vorliegenden Szene kommen vor allem Emilias wandelnden Gefühle zum Ausdruck, denn die unsichere, misstrauische Emilia entwickelt sich zu einer selbstbewussten, starken, und teilweise aufgeklärten Frau. Auch Odoardos Charaktereigenschaft der festgefahrenen Tugenden, die er unter keinen Umständen ablegen wolle, tritt signifikant zum Vorschein, da diese ihn dazu bringt, seine eigene Tochter zu ermorden.
Mit dem Tod Emilias kritisiert Lessing repetitiv die Gefahr, die die Moral und Tugendhaftigkeit des Bürgertums birgt, denn die Idee dieser Ideale könnte letzendes die Seele der Menschen zerstören.