Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Lessing kritisiert in der Szene 1.8 den Prinzen als Repräsentanten des Adels für seine egoistischen, skrupellosen und willkürlichen Eigenschaften.
Gotthold Ephraim Lessings bürgerliches Trauerspiel „Emilia Galotti” aus dem Jahr 1772 lässt sich in die Epoche der Aufklärung zuordnen. In dem Werk geht es um den adeligen Prinzen, der die Bürgerliche Emilia Galotti kurz vor ihrer Hochzeit für sich gewinnen möchte. Dafür lässt er Emilia auf dem Weg zur Hochzeit entführen, wobei auch ihr geliebter ums Leben kommt. Später sieht Emilia keinen anderen Weg mehr als sich umzubringen um dem Prinzen zu entkommen. Mit dem Werk thematisiert Lessing den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum und kritisiert dabei beide Seiten.
In dem achten Auftritt des ersten Aufzugs betritt Camillo Rota erstmals die Bühne um im Arbeitszimmer des Prinzen Staatsgeschäfte zu besprechen. Kurz vorher hat der Prinz erfahren, dass Emilia Galotti, die er begehrt, noch am gleichen Tag heiraten soll. Nach der Szene eilt der Prinz in die Kirche, um Emilia anzusprechen. Die Szene fungiert als Einführung in den egoistischen, skrupellosen und impulsiven Charakter des Prinzen. Im Folgenden wird dieser Interpretationshypothese im Sinne der linearen Vorgehensweise nachgegangen.
Die zu analysierende Szene lässt sich in drei Sinnabschnitte aufteilen. Im ersten Sinnabschnitt (Z. 0–11) ist der Prinz aufgrund einer Namensähnlichkeit dazu bereit, eine Bittschrift zu unterschreiben, woran der Leser seine egoistischen, impulsiven und verantwortungsscheuen Charakterzüge erkennt. Im zweiten Sinnabschnitt (Z. 12-24) ist der Prinz in seiner Eile dazu bereit ein Todesurteil ohne weiteres Überlegen zu unterschreiben, wodurch der Prinz willkürlich, unreflektierten und skrupellos erscheint. Im dritten Sinnabschnitt (Z. 25-31) erhält der Leser durch Rotas Reflektionsmonolog eine Interpretationshilfe.
Gleich zu Beginn der Szene wird in die Eile des Prinzen durch den Kyklos „Kommen Sie, Rota, kommen Sie” (Z. 1) eingeführt. Durch die Wiederholung der Worte „Kommen Sie” versucht der Prinz Rotas Tempo zu erhöhen wodurch der Zeitmangel des Prinzen deutlich wird.
Außerdem bringt Lessing durch das Verhalten des Prinzen Rotas gegenüber zum Ausdruck, wie willkürlich und egoistisch der Prinz ist. Der Prinz hat die Bittschrift aufgrund seiner Assoziation mit dem Vornamen „Emilia”, „Emilia Galot… Bruneschi” (Z. 7) bewilligt, was zeigt, dass der Prinz nicht über seine Staatsgeschäfte nachdenkt und unkonzentriert ist, da er sich spontan von seinen Gefühlen zu wichtigen Entscheidungen bewegen lässt und zunächst den Namen Emilia Galotti ausspricht, was darauf hindeutet, dass der Prinz mit seinen Gedanken bei Emilia und nicht den Staatsgeschäften ist. Der Prinz geht hier nicht seiner Pflicht, Staatsgeschäfte zu erledigen, nach, sondern kümmert sich lieber um seine Persönlichen Interessen, was ihn egoistisch erscheinen lässt.
Weiterhin stellt Lessing den Prinzen als einen egoistischen Charakter dar, da dieser die Staatsgeschäfte aufgrund von hohen Geldsummen aufschieben will. Der Prinz bittet Rota „die Ausfertigung noch anstehen” zu lassen da die Sache „keine Kleinigkeit” (Z. 9) ist, womit er die höhe der Geldsumme meint. Der Prinz rechtfertigt dieses aufschieben nicht etwa damit, dass er das Geschäft noch nicht vollständig durchdacht hat und nur wegen seiner Assoziation mit dem Vornamen Emilia zugestimmt hat, sondern damit, dass es „keine Kleinigkeit” ist (Z. 9). Die Begründung der hohen Summe zeigt dem Leser, dass dem Prinzen sein eigenes Geld doch am wichtigsten ist was ihn als egoistisch erscheinen lässt.
Außerdem gibt der Prinz die Entscheidung später ab, was ihn als verantwortungsscheuen Charakter dargestellt.
Zudem gibt der Prinz seine Verantwortung über die Staatsgeschäfte ab, was ihn verantwortungsscheu wirken lässt. Die Litotes „keine Kleinigkeit” (Z. 9) spielt die Höhe der Summe runter und daher auch die Wichtigkeit der Entscheidung herunter, was dem Prinzen die Entscheidung, ob er die Verantwortung über die Bittschrift abgeben soll oder nicht, erleichtern soll. Kurz danach lässt der Prinz Rota entscheiden, „wie Sie wollen”, ob die Bittschrift ausgefertigt werden soll oder nicht, was den Prinzen verantwortungsscheu dargestellt. Zudem impliziert das Verb „wollen” (Z. 11), dass der Prinz Entscheidungen auf Basis von Emotionen trifft, da ein Wille einen Wunsch darstellt, der meist von Emotionen gesteuert wird. Daher rät der Prinz Rota nicht zu einer rationalen Entscheidung, was den Leser vermuten lässt, dass der Prinz seine Entscheidungen genauso trifft, was ihn zu einem impulsiven Charakter macht.
Lessing zeigt in diesem ersten Sinnabschnitt, dass der Prinz sich nicht auf die Staatsgeschäfte, sondern Emilia konzentriert, um ihn als egoistisch, impulsiv und verantwortungsscheu zu präsentieren.
Im zweiten Sinnabschnitt (Z. 12-24) ist der Prinz in seiner Eile dazu bereit ein Todesurteil ohne weiteres Überlegen zu unterschreiben, wodurch der Prinz willkürlich, unreflektierten und skrupellos erscheint.
Zunächst möchte der Prinz ohne zu überlegen ein Todesurteil unterschreiben, was ihn als einen unreflektierten Charakter darstellt. Der Prinz möchte „Recht gern” (Z. 14) ein Todesurteil unterschreiben, was zeigt, dass der willkürlich handelt um schnell seine Persönlichen Interessen, zu Emilia in die Kirche zu gehen, zu befriedigen. Der ironische Kontrast zwischen dem fröhlichen „gern” (Z. 14) und dem brutalen Todesurteil, welches „geschwind” (Z. 15) unterschrieben werden soll, zeigt, dass der Prinz eigentlich nicht das Todesurteil „gern” (Z. 15) hat, sondern einfach nur „gern” (Z. 15) bei Emilia ist und seine eigenen Interessen vor die Interessen seiner Leute stellt. Der Wille des Prinzen das Todesurteil schnell und ohne zögern zu unterschreiben stellt ihn als unreflektierten und skrupellosen Charakter dar.
Zudem verwendet Lessing den Kontrast zwischen der Reaktion des Prinzen auf die Bittschrift und das Todesurteil, um den Prinzen als Skrupellosen Charakter darzustellen. Der Prinz beschreibt die Bittschrift als „keine Kleinigkeit” (Z. 9) während er das Todesurteil, welches auf den Zuschauer wegen seiner drastischen und unwiderruflichen Konsequenz, der Tod eines Menschen, weitaus bedeutsamer wirkt, „Recht gern” und „geschwind” (Z. 15) unterschreiben möchte. Daran erkennt der Leser, dass dem Prinzen das Leben seiner Leute weniger wichtig ist als sein Geld, was ihn zu einem skrupellosen und egoistischen Charakter macht.
Außerdem strukturiert Lessing die Aussagen des Prinzen in Parataxen, um diesen als unreflektiert und willkürlich darzustellen. Der Prinz möchte schnell zu Emilia in die Kirche und meint daher „Ich bin eilig” (Z. 19) und „Ich höre ja wohl” (Z. 18) um schnell das Todesurteil unterschreiben zu können. Der parataktische Satzbau verleiht dem Gespräch ein hektisches Gefühl, welches mit dem endgültigen und daher ruhigen Todesurteil kontrastiert. Das hektische Gefühl verdeutlicht außerdem, dass der Prinz dieses Urteil unreflektiert unterschreiben will, da er in der Hektik gar keine Möglichkeit hat diese Entscheidung zu überdenken. Daher lässt die hektische und eilige Art des Prinzen, die in dieser Situation unpassend erscheint, den Prinzen willkürlich und unreflektiert erscheinen.
Durch die Verwendung einer Reihe von stilistischen Mitteln stellt Lessing den Prinzen in diesem Sinnabschnitt als willkürlich, skrupellos und unreflektiert dar.
Im dritten Sinnabschnitt (Z. 25-31) erhält der Leser durch Rotas Reflektionsmonolog eine Interpretationshilfe, in der die Charaktereigenschaften des Prinzen zusammengefasst werden.
Zunächst verwendet Rota Repetitio1 um sein Entsetzen über die unreflektierte und skrupellose Art deutlich zu machen. Rota regt sich wiederholt über das „grässliche” (Z. 31) „Recht gern!” (Z. 26, 27, 30, 31) des Prinzen auf, was dem Leser Rotas Entsetzen über die unreflektierte beinahe Unterzeichnung des Todesurteils.
Des Weiteren verwendet Lessing Camillo Rota als Kontrastfigur zu dem Prinzen, um seine Willkürlichkeit und Skrupellosigkeit hervorzuheben. Rota erweist sich als moralisch agierender Charakter, da er gewillt ist den Prinzen anzulügen um Menschen vor einem willkürlichen Todesurteil des Prinzen zu schützen. Dieser Kontrast zwischen Rota und dem Prinzen verdeutlicht noch einmal die Skrupellosigkeit und Willkürlichkeit des Prinzen, das der Leser mit Rota eine direkte Referenzperson aus genau der gleichen Gesellschaft hat.
Durch Rotas Entsetzen über den Prinzen und seine Position als Kontrastfigur erhält der Leser somit eine Interpretationshilfe.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lessing den Leser am Anfang der Szene in die egoistischen und impulsiven Charaktereigenschaften des Prinzen einführt. Im Verlaufe der Szene verwendet Lessing die Situation des Todesurteils um diese Eigenschaften zu verdeutlichen und stark zu intensivieren, was den Prinzen zu einem willkürlichen und skrupellosen Charakter macht. Den letzten Sinnabschnitt verwendet Lessing, um dem Leser durch Rota eine Interpretationshilfe zu bieten und das Verständnis der Szene somit zu verbessern. Als Repräsentanten des Adels kritisiert Lessing mit dieser Szene den Adel für diese gesellschaftsgefährlichen Eigenschaften.