
Drama: Emilia Galotti (1772)
Autor/in: Gotthold Ephraim LessingEpoche: Aufklärung
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Die Szene IV. 3 im bürgerlichen Trauerspiel „Emilia Galotti“, verfasst von G.E. Lessing im Zeitalter der Aufklärung, handelt von einem Streitgespräch zwischen der Gräfin Orsina und dem Marchese Marinelli. Die genannte Szene soll im Folgenden mit dem Schwerpunkt der Kommunikation der Figuren und der Charakteristik von Gräfin Orsina analysiert werden. Im Mittelpunkt der Szene steht, dass die Gräfin Orsina mit vergeblichem Nachdruck eine Audienz mit dem Prinzen zu bekommen sucht.
Die Gräfin ist in Erwartung einer Unterredung mit dem Prinzen, dessen Mätresse sie bis vor einiger Zeit war, zu seinem Lustschloss Dosalo gefahren, allerdings hat der Prinz so wenig Interesse an ihr, dass er nicht einmal ihren vorangegangenen Brief gelesen hat und sie deshalb auch nicht erwartet. Der Kammerherr Marinelli versucht die Gräfin in einem Gespräch davon zu überzeugen, dass der Prinz kein Interesse an ihr hat, was die Gräfin als sie es realisiert, mit Bestürzung quittiert.
Die Szene lässt sich in die etwas fortgeschrittene Handlung des Dramas einordnen bzw. in das Abfallen der Spannung, weil Graf Appiani bereits tot ist und Emilia sich bereits „gerettet“ im Schloss des Prinzen befindet, genau wie die Mutter Claudia.
Nach der Szene IV. 3 beginnt Gräfin Orsina das Mordkomplott zu durchschauen und sie überreicht Odoardo schließlich auch den Dolch, mit dem am Ende die Protagonistin Emilia getötet wird.
Am Anfang der Szene reden die beiden Figuren sehr aneinander vorbei. Die Gräfin fordert selbstbewusst ein Gespräch mit dem Prinzen (S. 59 Z. 12), da sie denkt, es sei durch ihren Brief und das Aufbrechen des Prinzen nach Dosalo eine Verabredung zustande gekommen (S. 59 Z. 22-27). Marinelli weiß als Kammerherr, dass sie nicht im Schloss erwartet wird (S. 59 Z. 15-17). Mutmaßlich durchschaut Marinelli das Missverständnis der Gräfin, die der Überzeugung ist, der Prinz habe ihren Brief doch sicherlich gelesen, wenn er ihn denn empfangen habe (S. 59 Z. 18-25). Da die Gräfin immer noch sehr erpicht auf eine Begegnung mit dem Prinzen ist, obwohl sie nicht mehr seine Mätresse ist und deshalb keine persönlichen Vorteile aus dem Verhältnis zu ihm zu erwarten hat, zeugt ihr Verhalten möglicherweise von echter Liebe zum Prinzen.
In der weiteren Handlung reagiert die Gräfin (S. 60 Z. 6-11) sehr ungehalten auf die üblichen Höflichkeitsfloskeln von Marinelli (S. 60 Z. 5). Besonders die indirekte Beleidigung gegenüber Marinelli als „Hofgeschmeiß“ (S. 60 Z. 8) weist auf einen impulsiven Charakterzug hin, kann aber gleichzeitig auch ein Zeichen von Mut sein, da sie scheinbar auch negative Konsequenzen nicht fürchtet. Marinelli nimmt diese Beleidigung und den Vorwurf der „Lügen“ (S. 60 Z. 9) einfach hin und bleibt weiterhin auffallend höflich (S. 60 Z. 17) zu der aus seiner Perspektive aufdringlichen Gräfin.
Die Gräfin ist entsetzt, als ihr Marinelli verdeckt nahelegt (S. 60 Z. 28-29), der Prinz verachte sie, woran sich der große persönliche Stolz der Gräfin zeigt, der wohl auch von ihrer Herkunft gespeist wird (S. 60 Z. 30-36).
Nachdem Marinelli die Orsina als Philosophin bezeichnet (S. 61 Z. 18-19) und sich damit wahrscheinlich über sie lustig machen will, hält diese einen Monolog (S. 61 Z. 20-S. 62 Z. 2), in dem sie die Diskriminierung der Frau anprangert und den Männern vorwirft, keine autonom1 denkende Frau zu wollen. Hier kann wieder der Stolz der Gräfin, ihr Geist und ihr ungebrochenes Selbstbewusstsein erkannt werden. Sie vertritt ihre eigene Meinung unabhängig von der Reaktion Marinellis.
Marinelli erwidert diesem genannten Monolog nichts Inhaltliches, woran sich auch eine gewisse Hilflosigkeit seiner Person zeigt: er versucht nur die Gräfin zum Abreisen zu bewegen und will eigentlich gar nicht mit ihr Reden.
Zum Ende sagt Orsina, dass aus ihrer Sicht die Geschehnisse keine Zufälle waren und sie den Glauben an Zufälle als im Widerspruch mit der Allmacht Gottes betrachtet (S. 62 Z. 4-19), was bedeutet, dass sie das Komplott Marinellis durchschaut.
Insgesamt hat die Gräfin einen wesentlich höheren Redeanteil an der Szene. Marinelli liefert bloß kurze und lustlose Einschübe.
Marinelli hat in der Szene die klar erkennbare Absicht, die Orsina möglichst schnell zum Gehen zu bewegen, während diese unbedingt mit dem Prinzen zusammentreffen möchte. Die Szene hat insofern Bedeutung, dass sie Gräfin Orsina von der Bösartigkeit der höfischen Welt überzeugt, da Marinelli zu ihr alles andere als zuvorkommend ist.
Die Gräfin Orsina lässt sich abschließend als stolze und selbstbewusste Frau mit Intelligenz charakterisieren, die womöglich noch immer den Prinzen liebt.