Drama: Emilia Galotti (1772)
Autor/in: Gotthold Ephraim LessingEpoche: Aufklärung
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Die vorliegende Szene stammt aus dem bürgerlichen Trauerspiel Emilia Galotti, das G. E. Lessing im Jahre 1772 verfasst hat. Es spielt im 17. Jahrhundert in einer oberitalienischen Residenzstadt. Das Drama handelt von dem Erstarken der bürgerlichen Werte und dem daraus entstehenden Konflikt mit dem Adel.
Das Drama handelt von einem Prinzen, der sich in die bürgerliche Emilia verliebt hat und dementsprechend ein Komplott mit seinem Kammerdiener Marinelli kreiert hat, bei dem Emilia verhaftet werden soll. Nachdem der Plan ausgeführt wurde, kommt es in der Redeszene im siebten Auftritt des fünften Aufzugs zu einem Gespräch zwischen Emilia und ihrem Vater Odoardo, dessen Beziehung mit dem Prinzen gestört ist. Hier wundert sich Emilia, wo ihre Mutter und ihr Verlobter, Graf Appiani, geblieben sind (S. 82 V. 10 bis S. 83 V. 8) und ihr Vater spricht von der Hoffnungslosigkeit aufgrund ihrer Verhaftung und dass der Prinz Emilia überall hin verfolgen wird (S. 83 V. 8 bis S. 83 V. 37). Da Emilia befürchtet, dass sie den Verführungen des Prinzen nicht mehr lange widerstehen kann und sie damit ihre Unschuld verlieren würde, gipfelt die Szene in Emilias Aufforderung an ihren Vater, sie mit dem Dolch zu erstechen (S. 83 V. 37 bis S. 85 V. 4). In der darauffolgenden Szene finden der Prinz und Marinelli Emilia im Sterben liegend. Diese Szene wirft die Frage auf, ob sich durch die Verführung Emilias die Ideale der Aufklärung offenbaren, weil der Tod Emilias als der einzige rationale Ausweg erscheint.
Als Emilia zu Beginn der Szene ihren Vater sieht, beginnt sie schon mit einer Reihe rhetorischer Fragen (vgl. S. 82 V. 10-12), wobei ihr Ziel ist, herauszufinden, wo ihre Mutter und der Graf geblieben sind. Dies deutet auf ihre Unsicherheit hin. Diese Szene deckt mit der philosophischen Art und Weise, in der sich Emilia äußert, einen neuen Aspekt des Dramas auf (vgl. V. 15f). Trotz der zuletzt schockierenden Ereignisse (z. B. das Liebesgeständnis in der Kirche und die Verführung durch den Prinzen) fühlt sich Emilia bestätigt, dass man ruhig bleiben soll und das Problem durch Gebrauch des Verstandes analysiert und gelöst werden kann. Nachdem Emilia mithilfe vieler Ausrufungen (vgl. S. 82 V. 31ff) zugibt, dass sie das Komplott durchschaut hat und aufgrund dessen weiß, warum ihr Verlobter umgebracht wurde (vgl. V. 25f), trifft sie die Aussage „So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las“ (S. 82 V. 25). Emilias Mutter hatte somit recht damit, als sie Skepsis vor den Absichten des Prinzen äußerte. Damit drückt Emilia gegenüber ihrem Vater aus, dass die Männer sich lange genug den Frauen übergeordnet haben, denn bereits zu Beginn des Dramas dominiert der übermächtige Vater des Hauses über die Skepsis der Mutter. Hier kommen Emilias Gefühle zum Ausdruck, mit denen sie ihren Verstand selbst offenbart. Die Beziehung Emilias zu ihrem Vater wird damit als gescheitert dargestellt, da sie ihrer Mutter mehr als ihrem Vater vertraut und sie für klüger als den Vater hält. Dies erkennt man auch an ihrem Satz „Oder Sie sind nicht mein Vater“ (V. 4). Die Tatsache, dass Emilia sich trotz des Starrsinns und der rigorosen Art des Vaters traut solche Aussagen zu treffen, unterstreicht, dass sie nichts mehr fürchtet, auch ihren Vater nicht. Als ihr Vater sagt, dass sie jetzt gezwungen sei, im Ort des Prinzen zu bleiben (vgl. V. 35), kommt endlich die starke, selbstbewusste und aufgeklärte Emilia mit ihren Worten „Ich will doch sehn, [...] wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen kann“ (V. 8) ins Spiel. Hieran wird die Idee der Aufklärung deutlich, die die Unabhängigkeit des Denkens der Menschen herausstellt. Mit diesen Worten folgt Emilia der Idee der Aufklärung, welche ist, dass im privaten Gebrauch die Anwendung des Verstandes eingeschränkt sein kann (im 5. Auftritt des 3. Aufzugs beim Gespräch mit dem Prinzen im Lustschloss), im öffentlichen Gebrauch dagegen (bei ihrem Vater, welcher das zu Hause symbolisiert) die Anwendung des Verstandes und der Redefreiheit aber geboten ist. Während Emilias Charakter sich wandelt, verändert sich auch Odoardos Charakter. Dies erkennt man anhand des Vergleichs der Art der Sprache am Anfang der Szene, wobei seine Sprache eher aggressiv ist (vgl. V. 22/35) und die darauffolgende charmante Sprache, indem er Emilia Ruhe zu bewahren verlangt (V. 8/12f). Emilia gehorcht ihm aber nicht und erwähnt zwei Sachen, die sie als eine bürgerliche Frau erleben musste: Leid und Geduld (vgl. V. 10f). Nachdem Emilia die Unterordnung der Frauen kritisiert, greift sie die Unterordnung der bürgerlichen Schicht an, indem sie über den Willen der Unterdrückten redet (vgl. V. 22). Hier werden erneut ihre aufgeklärten Gedanken allein mit dem Durchschauen der Situation der Gesellschaft sichtbar. Emilias Worte „Verführung ist die wahre Sprache“, „auch meine Sinne sind Sinne“ und „[...], den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten“ drücken die Gefühle der Bürger aus, der sie sich erst durch die Aufklärung bewusst wurden, da man zur Idee kam, dass der Mensch einen eigenen Verstand hat, den er anwenden sollte. Als Folge kommt auch die Hoffnungslosigkeit an dem Punkt ins Spiel, wo sie den Dolch von ihrem Vater bekommen will, um sich selbst umzubringen (S. 84 V. 18). Dieses Verlangen begründet sich in Emilias Tugendhaftigkeit, da sie sich von der „Schande“ (V. 33) und dem drohenden Verlust der Unschuld retten will. Der Tod wird dabei durch die gepflückte Rose symbolisiert, die Emilia in der Hand hat. Hier warnt Lessing vor dem Sterben der Idee der Aufklärung, wenn man theoretisch zwar alles weiß, in der Praxis aber nicht anwendet, da Emilia trotz allem was ihr passiert ist, jedoch ihr Willen nie gezeigt hat.
Zusammenfassend kommen Emilias Gefühle zum Ausdruck, wobei sie von der unsicheren, misstrauischen und kindischen Emilia zur selbstbewussten, starken und teilweise aufgeklärten Emilia wird, die aber durch ihre umgebene Realität hoffnungslos wird und sich umbringen lässt. Wenn man die Worte Emilias betrachtet, dann stellt man fest, dass sie sich auf fast alle vorherigen Ereignisse bezogen hat. Aufgrund dessen ist letztendlich festzustellen, dass all dies Emilias Aufgeklärtheit offenbart hat. Es zeigt auch die Gefahr der Moral der bürgerlichen Schicht, indem es zeigt, dass die Idee der Tugendhaftigkeit die Seele der Menschen zerstören konnte.