Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Neue Liebe, neues Leben“ wurde von Johann Wolfgang von Goethe in den Jahren 1774/75, also im Zeitalter der Aufklärung, verfasst.
Das Werk handelt von einem lyrischen Ich, welches zu seinem Herzen über die Veränderungen und Probleme spricht, die eine neue Liebe in sein Leben bringt.
Im Mittelpunkt des Gedichtes steht die Verwirrung, die das lyrische Ich empfindet, aber insbesondere auch der Widerwilllen gegenüber der neuen Liebe.
Das lyrische Ich spricht im ganzen Gedicht sein Herz direkt an, welches eigentlich ein Teil von ihm selbst ist bzw. sein sollte. Ebendieses lyrische Ich ist aller Wahrscheinlichkeit nach männlich, da von einem „Mädchen“ (V. 19) die Rede ist, das ihn bzw. sein Herz in ihren Bann zieht.
Bereits der Titel des Gedichtes „Neue Liebe, neues Leben“ weist durch eine Anapher1 und eine Alliteration2 sehr prägnant auf den folgenden Inhalt hin, der von Schilderungen über die Veränderungen eines Lebens durch eine scheinbar nicht ganz freiwillige Liebe gekennzeichnet ist.
Die äußere Form dieses Gedichtes wird durch drei Strophen zu je acht Versen bestimmt, die einheitlich dasselbe Reimschema aufweisen, am Anfang jeder Strophe zwei Kreuzreime (abab) und im Anschluss zwei Paarreime (aabb). Dieses Reimschema nimmt womöglich die finale Aussage des Gedichtes vorweg, dass trotz der durch Kreuzreime ausgedrückten chaotischen Verhältnisse der Einzelne an der vielleicht schicksalhaften Liebe nichts zu ändern vermag und das Paar beieinander bleibt, was eben durch die Paarreime am Ende der Strophen ausgedrückt wird.
Das Versmaß besteht durchgehend aus einem vierhebigen Trochäus und die Kadenzen3 sind abwechselnd unbetont und betont, was einen weiteren Hinweis auf die genannte Paarbildung gibt.
Das lyrische Ich eröffnet das Gedicht mit zwei rhetorischen Fragen (V. 1.2), die in ihrer Wirkung durch die Anapher „Herz, mein Herz“ (V. 1) noch verstärkt werden. Das lyrische Ich befragt also sein Herz, das hierbei quasi personifiziert wird, über die Gründe für die im Folgenden näher beschriebene Liebe. Hier wird deutlich, dass ein Gegensatz zwischen den Gedanken des lyrischen Ichs und den Gefühlen seines Herzens besteht; es hinterfragt den Sinn seiner Gefühle („was soll das geben?“; V. 1). Es spricht ferner davon, sein Herz nicht mehr zu „erkennen“ (V. 4), das Herz hat sich scheinbar durch die Liebe gewandelt bzw. seinen Blick auf das eigene Herz. Die zwei folgenden Verse (V. 5,6) sind im Präteritum verfasst, wohingegen alle Übrigen im Präsens stehen. Das lyrische Ich blickt hier nämlich in die Vergangenheit zurück und zählt auf, was durch die Liebe verloren ging: „Liebe“, „Ruh“ (V. 7) und eigentlich alles, was das Herz sonst brauchte und wollte (V. 5,6). Dieser wohl schmerzliche Verlust wird durch die dreimalige Anapher „weg“ (V. 5-7) noch weiter verstärkt.
Durch den bedauernden Ausruf am Ende der ersten Strophe (V. 8) wird wieder deutlich, dass das lyrische Ich seine gegenwärtige Situation mindestens teilweise bedauert. Es kann also ein klarer Gegensatz zwischen den vermeintlich „guten“ Zeiten der Vergangenheit (vgl. Präteritum) und einer chaotischen, unerklärlichen Situation (V. 1-2) in der Gegenwart, einer Art Gefühlschaos, festgestellt werden.
In der ersten Hälfte der zweiten Strophe wird spekuliert, warum das Herz den Reizen des ominösen Mädchens erlegen ist. Als Metapher4 für ein junges Alter dieser weiblichen Person wird der Begriff „Jugendblüte“ (V. 9) verwendet und ein ansprechendes Äußeres wird mit der „lieblichen Gestalt“ (V. 10) angedeutet. In dieser Hälfte (V. 9-12) wird durch eine rhetorische Frage das Herz wieder direkt angesprochen, warum es mit „unendlicher Gewalt“ (V. 12) an das Mädchen gefesselt sei. Diese Wortwahl sowie die verwendete Hyperbel5 unterstreichen, dass der Mann die ihn wider Willen überkommene Liebe seines Herzens als brutal und unbezwingbar empfindet.
Im zweiten Teil der Strophe schildert das lyrische Ich, wie es sich seiner Liebe zum Mädchen eigentlich entziehen will, es ihm aber nicht gelingt (V. 13-16). Besonders der Gebrauch des Wortes „entfliehen“ (V. 13) gibt die Hilflosigkeit wider, derer sich der Mann ausgesetzt fühlt.
In der dritten und letzten Strophe realisiert der Mann, das sich seine Liebe zu dem Mädchen trotz seines Widerwillens nicht beenden lässt. Er bedauert dies und stellt fest, dass er nun „auf ihre Weise“ (V. 22) leben muss. Als Metapher für die Liebe zu ihr wird der Ausdruck „Zauberfädchen“ (V. 17) verwendet, woraus sich schließen lässt, dass die Liebe eventuell durch eine kurze Begegnung o.Ä. klein wie ein Fädchen ist, aber trotzdem einen übernatürlichen, nicht zu begreifenden „Zauber“ besitzt und sich „nicht zerreißen lässt“ (V. 18).
Überhaupt wird durch den Gebrauch von „Zauber“ in „Zauberfädchen“ (V. 17) und „Zauberkreise“ (V. 21) die Thematik der Liebe in den Kontext des Magischen gerückt. Auch das Festhalten des Mannes am „Zauberfädchen“ durch das Mädchen ganz „wider Willen“ (V. 20) greift die Grundaussage einer unbezwingbaren und gerade deswegen übernatürlichen Liebe auf.
Nachdem die „Veränderung“ (V. 23) im vorletzten Vers aus den genannten Gründen („Widerwillen“) bedauert wird, fordert das lyrische Ich mithilfe einer Anapher („Liebe! Liebe!“; V. 24) in einem energischen wie sehnsüchtigen Ausruf die Liebe im letzten Vers zum „Loslassen“ auf.
Das Gedicht ist offensichtlich von der Verwirrung, im besonderen Maße aber auch von der Hilflosigkeit des lyrischen Ichs gekennzeichnet, das der überwältigenden und übernatürlichen Liebe seines Herzens nichts, auch nicht seinen rationalen Verstand entgegenzusetzen vermag.
Das unerklärliche Treiben der Gefühle kann auch von dem des rationalen Denkens überzeugten Idealmenschen der Aufklärung nicht bezwungen werden.