Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Die Stadt als wichtiges Motiv der expressionistischen Lyrik ist in den beiden zu vergleichenden Gedichten bereits im Titel zu erkennen. Bezeichnend ist hier, dass beide Gedichte zwar mit „Die Stadt“ gleich betitelt sind, aber aus verschiedenen Epochen stammen. Das erste 1911 erschienene Gedicht von Georg Heym ist ein expressionistisches Gedicht, wohingegen das zweite 1851 erschienene Gedicht von Theodor Storm dem poetischen Realismus zuzuordnen ist. Das erkennt man zum einen an der Entstehungszeit (Poetischer Realismus von ca. 1850 bis ca. 1890 und Expressionismus von ca. 1910 bis ca. 1925) und an den Vertretern der jeweiligen Epochen und zusätzlich an der Grundstimmung in den Gedichten, auf die ich später im Vergleich noch genauer eingehen werde.
Der am 30. Oktober 1887 in Hirschberg als Sohn eines Anwalts geborene Georg Heym schrieb das Gedicht „Die Stadt“ in einer Reihe anderer Gedichte mit dem Motiv „Großstadt“ (z. B. „Der Gott der Stadt“ (1910)) kurz bevor er am 16. Januar 1912 tödlich beim Schlittschuhfahren verunglückte. Die Stadt wird in diesem Gedicht, wie in vielen seiner Gedichte, als sehr negativ, ja den Menschen als Individuum erdrückend, dargestellt und tritt anstelle des Menschen in die handelnde Rolle des Subjekts. Dass der Mensch dabei als ohnmächtiges Objekt dargestellt wird, ist ebenfalls typisch für die Großstadtgedichte Heyms wie auch anderer bedeutender Lyriker seiner Zeit, z. B. Oskar Loerke oder Alfred Wolfenstein.
Das Gedicht ist, antagonistisch zum Inhalt, in die sehr strenge Form des Sonetts gepresst. Man erkennt deutlich die beiden Quartette mit jeweils umarmenden Reimen und die beiden Terzette mit jeweils Dreifachreimen. Auch im Metrum2 herrscht der im Sonett1 typische 5-hebige Jambus vor und es lassen sich im ersten Terzett Antithesen3 finden (z. B. „Gebären, Tod“ V. 9), die kennzeichnend für das Sonett sind. Die ebenfalls sonetttypische Zäsur4 zwischen den Quartetten und den Terzetten wird einem inhaltlich bewusst, da Heym in den Quartetten die Stadt von außen beschreibt, in der Dunkelheit der kommenden Nacht und der Hektik des Alltags der Großstadt, die auch häufig als Thema der expressionistischen Lyrik auftritt. Die letzten beiden Verse des zweiten Quartetts leiten dann direkt zu der Stumpfsinnigkeit, dem Monotonen der Menschen der Großstadt über und das Gedicht endet im letzten Terzett mit der möglichen Vernichtung der Menschen durch die Natur. Im Allgemeinen kann man das „Pressen“ des schwer zu fassenden Inhalts in eine so strenge Form als Versuch deuten, einzig mit den Möglichkeiten der Regeln der Lyrik noch mit den zerstörerischen Themen der Zeit fertig zu werden, das eigentlich Unfassbare, Unbeschreibbare mit strengen Regeln der Kunst zu bewältigen.
Die negative Grundeinstellung des Gedichts kann man noch an weiteren formalen Mitteln festmachen. Heym verwendet in seinem Gedicht viele stumpfe Kadenzen5 (z. B. „klein“ (V. 4), „Stadt“ (V. 6)), was die negative Grundaussage unterstreicht und auch die Verwendung von Enjambements6 (z. B. „stehn die Nacht entlang Und blinzeln“ (V. 3-4)) mit ihrer drängenden Bewegung und von Inversionen7 („Sehr weit ist diese Nacht“ (V. 1)), die ebenfalls schnelle Bewegungen verdeutlichen, ist als Kritik an der Hektik der Großstadt zu werten.
Die Stadt wird von Heym in dem Gedicht in einer beinahe allumfassenden Dunkelheit beschrieben. Kennzeichnend hierfür ist die „sehr weite Nacht“ (V. 1), die alles in Dunkelheit legt, und der einzige Schein kommt von den Wolken, da der Mond schon untergegangen ist (V. 2). Dieser Schein wird von Heym mit einer Personifikation8 umschrieben, der „Wolkenschein zerreißet“ (V. 1-2) kurz die Nacht. Er nutzt im dritten Vers ebenfalls eine Personifikation der Fenster, die zu Tausenden die Nacht entlang stehen. Das verdeutlicht zum einen das Monotone („tausend Fenster“, nicht unterscheidbar, Masse) und unterstützt die eingangs erwähnte Personifizierung der Stadt und der Natur genauso wie die Personifikation des vierten Verses, die die Fenster als Augen darstellen, welche „mit den Lidern blinzeln“. Die Natur („Wolkenschein“ V. 1) und die Stadt („Fenster“ V. 3) sind die handelnden Subjekte, dass Handeln des Menschen wird nicht erwähnt, ist nicht vorhanden. Zusätzlich findet man in dem vierten Vers auch eine metaphorische Darstellung des Verlusts der Hoffnung. Hier werden die Fenster, die als Augen die umgebende Welt wahrnehmen, als „rot und klein“ (V. 4) beschrieben, was auf Entzündung selbiger, also auf eine Krankheit, hindeuten. Das bedeutet, dass alle externen Einflüsse auf die Haushalte krank machen und man dadurch eine pessimistische Sicht auf die Welt, also keine Hoffnung, mehr hat.
In der ersten Hälfte des zweiten Quartetts setzt Heym die Personifizierung der Stadt und die Enthumanisierung des Menschen fort. Er vergleicht die Straßen der Stadt mit einem „Aderwerk“ (V. 5) und „baut“ damit nach den Augen der Stadt im ersten Quartett ein weiteres überlebenswichtiges Organ in die Beschreibung der Stadt als menschlicher Körper ein. Dem entgegen steht der Mensch als passives Objekt, welches mit dem Strom schwimmt. Dafür steht die Metapher9, dass „Unzählige Menschen aus und ein schwemmen“ (V. 6). Der Mensch ist der Kraft des Wassers, des Stroms, welche ihn mitschwemmen, ausgesetzt und wieder ist die Natur Akteur.
Die passive Rolle des Menschen, in welcher er als Individuum nicht mehr von Bedeutung ist, wird in dem zweiten Teil des Quartetts verstärkt, der damit in das erste Terzett überleitet. Durch die Wiederholung von „stumpf“ (V. 7) verliert alles menschliche Wirken, jeder „Ton“ (V. 7) und jedes menschliche „Sein“ (V. 7) die große Bedeutung, weil sie abgestumpft werden, also das Gefühl, dass man eigentlich als Mensch in sein Sein und Wirken legt, ausradiert. Stumpfe Dinge assoziiert man immer mit Dinge ohne großen Wert oder Schönheit, wie z. B. einen Steinklumpen, und genauso ist der Mensch geworden. Dieses Gefühl wird in dem letzten Vers des Quartetts noch verstärkt, denn die Töne, die für das Wirken des Menschen stehen, sind zum einen eintönig. Es sticht also kein besonderes Wirken mehr aus der Masse heraus, alle verhalten sich gleich, schwimmen im Strom. Des Weiteren beschreibt das Paradoxon10, dass die Töne „in Stille“ (V. 8) herauskommen, wie unwichtig das Handeln der Menschen ist, denn es ist nur „matt“ (V. 8), was bedeutet, dass man das Werk, was der einzelne Mensch schafft, nur unscharf wahrnehmen kann und es dadurch in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Zudem sind die Töne „ewig“ (V. 7) stumpf. Es wird sich also auch in der Zukunft nichts an dem Verhalten der Menschen ändern.
In dem folgenden ersten Terzett wird die passive Rolle des Menschen durch Antithesen gesteigert. In einer Aufzählung werden die beiden Leben entscheidenden Aktionen „Gebären“ und „Tod“ (V. 9) antithetisch einander gegenübergestellt und durch „gewirktes Einerlei“ (V. 9) kommentiert. Es wird deutlich, dass Dinge wie Geburt und Tod in der Stadt wahrgenommen werden, aber unbedeutend sind, weil sie ähnlich dem Wirken aus dem zweiten Quartett Einerlei, gleich, eintönig sind. Bezeichnend ist hier auch, dass alles, was zwischen der Geburt und dem Tod eines Menschen ist, dass was ihn eigentlich als Mensch ausmacht, ausgelassen wird, weil es noch viel weniger von Bedeutung ist. Im zehnten Vers wird die Tonsymbolik antithetisch mit „Lallen der Wehen“ und „langer Sterbensschrei“ (V. 10) wieder aufgegriffen und sie stehen beide wieder als Anfangs- („Wehen“ für Geburt) und Endpunkt („Sterbensschrei“ für Tod) eines Lebens. Es ist bemerkenswert, welche negative Bewertung die Geburt in diesem Vers durch Heyms Wortwahl erhält, denn nur Menschen die keine Macht mehr über sich bzw. ihre Zunge haben (wie z. B. Betrunkene oder Kranke), „lallen“. Es steht damit für Ohnmacht der Menschen, selbst bei der Geburt, wo sonst die Schreie eigentlich Kraft geben sollten. Wichtiger ist nach Heyms Auffassung der „lange Todesschrei“ (V. 10), der als Schrei für jeden gut hörbar und zudem noch lang ist.
Doch alle diese Antithesen gehen an den Menschen „dumpf“ (V. 11) und „im blinden Wechsel“ (V. 11) vorbei. Die Menschen nehmen diese entscheidenden „Lebensphasen“ einzelner Individuen gar nicht wahr, sind blind. Eine Ursache könnte hierfür der schnelle Wechsel der umgebenden Dinge sein. Heym kritisiert also auch hier die Hektik in der Großstadt. Ein interessanter Interpretationsansatz ist zudem das Wort „dumpf“ (V. 11). Man kann es Kulminationspunkt der vorangegangenen Beschreibung des Wirkens der Menschen sehen. Es ist also die Synthese des stumpfen, also gefühlslosen, Tons und Seins und der matten, also konturlosen, Darstellung. In diesem Zusammenhang gibt es wahrscheinlich keine negativere Beschreibung mehr für die Passivität und Belanglosigkeit der Menschen.
Im zweiten Terzett beschreibt Heym die mögliche Bestrafung der Menschen für ihr Verhalten. Die gesamte Aufmerksamkeit der Stadt wird durch „Schein und Feuer“ (V. 12) auf die Bezirke außerhalb der Stadt („im Weiten“ V. 13) gezogen. Hier scheint sich eine vernichtende Kraft mit „Fackeln“ (V. 12) in „gezückter Hand“ (V. 13) auf die Zerstörung der Menschheit vorzubereiten. Und wieder ist die Natur („Schein und Feuer“) der Handelnde, was durch die Personifikation ihrer durch „drohn […] mit gezückter Hand“ (V. 13) verdeutlicht wird. Es lassen sich hier Parallelen zu Heyms Gedicht „Der Gott der Stadt“ ziehen, in der am Ende des Gedichts der Gott die Stadt ebenfalls mit einem „Meer aus Feuer“ bestraft. Die Bestrafung kommt in „Die Stadt“ ebenfalls von „hoch“ (V. 14) oben, also wie von einem Gott gesandt.
Ein Rahmen um das Gedicht bilden hierbei die Wolken. Ist im ersten Vers noch von „Wolkenschein“ die Rede, der als ein letztes Licht für ein wenig Hoffnung sorgt, ist im letzten Vers die Rede von einer „dunklen Wolkenwand“ (V. 14), von der die Bestrafung ausgeht. Das letzte Fünkchen Hoffnung ist verloren, die Menschheit der Dunkelheit der Nacht und im Zusammenhang mit dem Feuer dem Untergang geweiht.
Im Ganzen ist Heyms Sicht der Stadt sehr pessimistisch geraten. Diese pessimistische Sicht ist sicherlich begründet, hat sich aber für die heutigen Menschen verändert. Ich denke, dass die pessimistische Sicht Heyms in der Umwälzung der Lebensverhältnisse begründet liegt, die mit der Industrialisierung immer mehr Menschen in die Stadt gezogen und zu Lebzeiten Heyms ihren Höhepunkt erreicht hat. Wo vorher einen die Schönheit der Natur umgeben hat, ragen nun Schornsteine in die Höhe und der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft wird in der Stadt durch Anonymität ersetzt. Heute hat sich das sicher schon allein von der Mentalität der Mensch geändert; dass in einem Dorf jeder jeden kennt, ist nicht allen wohl und die Stadtgemeinschaft tut im Gegensatz viel um das Leben in der Stadt mit z. B. Parks oder ähnlichem zu verschönern. Aber trotzdem greift er Fragen auf, die wir uns in unserer Gesellschaft auch noch stellen müssen. Fragen wie: Unterdrückt die Anonymität der Großstadt die Fähigkeit zur sozialen Kompetenz? Oder: Wer regiert den Takt der Stadt? Die Menschen oder die Stadt selbst?
Ausgehend von der pessimistischen Sicht Heyms lässt sich sicher sein Gedicht sehr gut mit Theodor Storms gleichnamigen Gedichts „Die Stadt“ vergleichen. Sind auf der einen Seite neben dem Titel noch wenige weitere Gemeinsamkeiten zu erkennen, unterscheiden sich beide Gedichte sehr in der Sicht auf die Stadt.
Beide Dichter zeigen in ihren Gedichten die negativen Seiten der Stadt auf, allerdings in verschiedenen Abstufungen. Liegt bei Storm die Stadt in grauer Umgebung („Am grauen Strand, am grauen Meer“ V. 1) und wirkt dadurch selbst grau, ist Georg Heyms Stadt im Dunkeln als schwarz dargestellt mit sehr wenig Licht. Beide Farben assoziieren aber Negatives mit der jeweiligen Stadt.
In diesem Punkt findet man aber auch den gravierenden Unterschied, der die beiden Gedichte letztendlich grundlegend voneinander trennt. Sind beide Sichten auf die Stadt anfangs noch pessimistisch, ändert sich die Sicht Storms in der letzten Strophe. In der ersten Strophe beschreibt er sie wie beschrieben als grau und dass der Nebel schwer auf den Dächern liegt (V. 3). Ähnlich wie bei Heym ist also das eigentliche Treiben der Stadt durch die Natur, durch den „Nebel“ (V. 3), erdrückt und auch in Storms Stadt herrscht „Stille“ (V. 4) und „Eintönig(-keit)“ (V. 5). Und trotzdem spielt sie in seinen Erinnerungen eine positive Rolle („Doch hängt mein ganzes Herz an dir,“ V. 11), und zwar mit allem, was dazu gehört („ (mit) ganzem Herzen“ V. 11). Der entscheidende Unterschied zwischen dem Gefühl der Stadt gegenüber ist also die positive Kindheitserinnerung („Jugend Zauber“ V. 12), die Storm hatte, Heym anscheinend nicht. Storm weiß um die schlechten Eigenschaften seiner Stadt, wie in der ersten Strophe beschrieben, und denkt trotzdem noch mit Freude („lächelnd“ V. 14) an sie, weil seine Jugend sie mit ihm verbindet, sogar so stark, dass er sie persönlich anspricht wie einen alten Freund („Du graue Stadt am Meer“ V. 12) und dazu noch in einer Wiederholung in Vers 12 und 15.
Um den Unterschied zu erklären, muss man bedenken, dass Heym sehr früh gestorben ist, sich also keine schönenden Jugenderinnerungen mehr hätte machen können, wenn er etwas weiter von dem unmittelbaren Gefühl der Erdrückung durch das ganze Negative der Großstadt gewesen wäre. Als weiteren Grund für den Unterschied sind die verschiedenen Zeiten anzugeben. Während die Stadt sich in Storms Zeit gerade zur industrialisierten Stadt hinentwickelte, war die Gewalt der Industrialisierung für Heym unmittelbar greifbar. Wenn man sich eine Stadt in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorstellt, denkt man an schöne individuelle Fachwerkhäuser, einen großen Markt und mehrere mittelständische Betriebe. In der Zeit des Expressionismus hingegen war das Stadtbild von schematisch gleichen Wohnblocks und riesigen Fabriken gekennzeichnet, wo der Mensch mehr Arbeitskraft als Individuum war. Der moralische Verfall der Stadt hatte in dieser Zeit mit Sicherheit den Höhepunkt erreicht und sich bis in unsere Zeit wieder zurückgeschraubt, deswegen die kritische Bewertung des Gedichts von Georg Heym.
Ein weiterer Unterschied ist, dass beide Dichter wahrscheinlich sehr verschiedene Städte beschrieben. Die Beschreibung Storms passt mit der sich häufenden Verbindung zum Meer („Am grauen Strand, am grauen Meer“ V. 1, „braust das Meer“ V. 4, „graue Stadt am Meer“ V. 12 15) sehr zu seinem Heimatort Husum, einer Stadt an der Nordsee, welche schon zu seinen Zeiten nur klein und bedächtig war und nicht mit einer Großstadt wie Berlin zu vergleichen war. Berlin ist hier sehr wahrscheinlich das Vorbild für Heyms Gedicht „Die Stadt“, da er die prägendste Zeit hier verbracht hat und Berlin zudem als Zentrum der Expressionisten galt und damit oft Vorbild für Gedichte mit dem Motiv der Großstadt war. Das hektische Treiben und die Anonymität sind in einer wirklichen Großstadt wie Berlin ungemein größer als in einer Provinzstadt wie Husum und wirkt dadurch viel zerstörerischer auf seine Bewohner.
Als einen letzten Unterschied, der vor allem die Beschreibung der Stadt und der umgebenden Natur betrifft, sind noch die verschiedenen Epochen zu erwähnen, in denen die Gedichte entstanden sind. Steht im poetischen Realismus die genaue Beschreibung der Natur und damit der Stadt im Vordergrund, um von der Wahrheit auf die Wirklichkeit zu schließen, gibt es für die Expressionisten keine Gleichheit von Wahrheit und Wirklichkeit. Man erkennt sehr deutlich in der zweiten Strophe von Storms Gedicht, wie realistisch er die Natur, die die Stadt umgibt, beschreibt und damit eine friedliche Atmosphäre schafft (z. B. „es rauscht kein Wald“ V. 6 oder „am Strande weht das Gras“ V. 10). Selbst die negativen Beschreibungen der Stadt, z. B. dass sie „eintönig“ (V. 5) sei, wirken nicht so herb wie die expressive, auf die Darstellung des Extremen zielende, Beschreibung der Stadt durch Heym, der vielmehr auf eine metaphorische als auf realistische Darstellung setzt.
Zudem tritt in Georg Heyms Gedicht das lyrische Ich nicht aktiv auf, um eine Bewertung als rein subjektive Sicht zu vermeiden. Bei Storm wird hingegen die vorangegangene negative, aber relativ objektive Beschreibung der Stadt durch die Aktivierung des lyrischen Ichs in der dritten Strophe („mein ganzes Herz“ V. 11) stark durch persönliche Einflüsse wie Storms Erinnerungen verzerrt. Dieses schönende subjektive Empfinden wäre für Heym undenkbar, obwohl möglich gewesen, denn auch er hatte mit Sicherheit wenige schöne Erlebnisse in der Stadt.
Es ist aber für mich gerade die positivere Sicht auf Dinge, die trotz der erwähnten abschreckenden Bespiele gerade durch die persönlichen Einflüsse zustande kommt. Ich denke hierbei unweigerlich an meine Heimatstadt Eberswalde, die ähnlich wie Husum nur grau, unattraktiv wirkt, aber durch meine persönliche Erfahrungen und Freunde oder einfach durch den Fakt, dass es meine Heimatstadt ist, immer selbige bleiben wird und in der möglichen Rückbetrachtung in einem höheren Alter, mit genügend Abstand, als Stadt bleiben wird, in der ich meine schöne Jugend verbracht habe. Allerdings wirkt Heyms Gedicht durch seine expressive Sprache sehr viel lebendiger und beeindruckt mich durch die unmittelbare Darstellung von Zerstörung mehr. Die aufgegriffenen Probleme spiegeln zum Teil, wie erwähnt, auch Probleme unserer Zeit wider und das Gedicht bekommt dadurch seine Berechtigung auch in unserer Zeit. Ohne diese krasse Darstellung würde man sich in unserer Zeit wahrscheinlich keinen Kopf mehr darüber machen, weil es relativ „normale“ Probleme sind, deswegen aber nicht minder schwerwiegend. Das muss man sich nur wieder zurück ins Gedächtnis rufen und dabei hilft Georg Heyms Gedicht enorm.