Inhaltsangabe, Gedicht-Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Mondnacht“ von Joseph Eichendorff thematisiert die Sehnsucht des Menschen, der auf der Suche nach der Erfüllung eines Traumes ist, einer Vereinigung mit Gott, der Unendlichkeit und der Natur. Die Suche eines wirklichen Zuhauses, wo die Wünsche, Träume und Sehnsüchte in Erfüllung gehen. Das Gedicht wurde 1873 verfasst und gehört damit zur Epoche der Romantik. In dieser Epoche werden besonders Themen, wie z.B die Sehnsucht nach der Vereinigung mit dem Unendlichen und die Grenzen zwischen Traum, Phantasie und Wirklichkeit thematisiert. Bezüglich dieser Themen stellt das Gedicht Mondnacht also ein klassisches, romantisches Gedicht dar. Der Titel des Gedichts lässt vermuten, dass der Dichter seine Erfahrungen und Empfindungen in einer Mondnacht beschreiben wird.
In der ersten Strophe wird vom Dichter eine romantische, verträumte Stimmung einer Vereinigung zwischen Erde und Himmel beschrieben. Es wird gedanklich durch Vergleiche wie z.B die Darstellung der Erde und des Himmels als Liebende (vgl. V. 1f) und den Konjunktivgebrauch „es war, als hätt…“ (V. 1) eine besondere Atmosphäre geschaffen, indem darauf verwiesen wird, dass die Erde, als Irdische und der Himmel als Überirdische ineinander verschmelzen. Außerdem wird ein Einblick in die Nacht und der Natur geboten. In der ersten Strophe wird also die Stimmung der Nacht gezeigt. Dabei werden Himmel und Erde in einer Personifikation1 als Liebende gezeigt, die sich geküsst haben (vgl. V. 2). Durch diesen Kuss wird bei der Erde etwas Schwärmerisches und Traumhaftes bewirkt, das sich in dem „Blütenschimmer“ (V. 3), also einem weiteren Naturbild, äußert.
Die Verbindung von Erde und Himmel wird in der zweiten Strophe näher erläutert. Es folgen weitere Berührungen von Himmel und Erde durch den Wind, der durch die Felder weht (vgl. V. 5). Das lyrische Ich geht hier vor allem auf seine sinnlichen Wahrnehmungen ein. In dieser Strophe spielt also die Synästhesie2 eine vorrangige Rolle. Die in der ersten Strophe evozierten Eindrücke, werden in der zweiten durch audiovisuelle Naturumschreibungen verstärkt. Beschreibungen wie „wogten sacht“ (V. 6) oder „rauschten leis“ (V. 7) verbinden nun die visuellen Eindrücke mit auditiven. Der Leser kann sich also mit dem lyrischen Ich leichter identifizieren und die beschriebene Mondnacht verbildlichen. Somit werden also vorwiegend die Sinneswahrnehmungen des lyrischen Ichs stark hervorgehoben.
In der dritten Strophe werden sowohl das Verhalten und die Gefühle des lyrischen Ichs, als auch seine Reaktionen auf die vorherig beschriebenen Atmosphären und Stimmungen beschrieben. Das lyrische Ich drückt seine Empfindungen zur Mondnacht aus und es wird außerdem beschrieben, wie das lyrische Ich durch diese Wahrnehmungen in der Hoffnung aufgeht, eine Vereinigung seiner Seele mit Gott zu erleben, da sie „ihre Flügel spannte“ (V. 9) und „nach Haus“ (V. 12) flog.
Die formalen Gegebenheiten spiegeln die inhaltliche Thematik des Gedichts wieder. Das Gedicht besteht aus drei Strophen, die jeweils aus vier Versen bestehen. Jede Strophe bildet einen eigenen Sinnesabschnitt. Wobei die erste sich auf die Atmosphäre der Nacht bezieht, die zweite auf die sinnliche Wahrnehmung des lyrischen Ichs und die letzte auf seine geistig-seelische Erfahrung. Das Versmaß des Gedichts ist ein dreihebiger Jambus, der eine gleichmäßige und fließende Wirkung erzeugt. Die Kadenzen3 und der Rhythmus sind abwechselnd weiblich und männlich. Diese alternierenden Kadenzen erzeugen somit das Reimschema, das einem Kreuzreim entspricht. Durch den insgesamt regelmäßigen Aufbau, wird zum einem die Einprägsamkeit für den Leser erhöht und zum Anderen eine stimmungserzeugende Musikalität geschaffen.
Die Überschrift des Gedichts „Mondnacht“ ruft beim Leser Emotionen hervor, die das ganze Gedicht bestimmen. Das Word „Mond“ erhält eine besondere Gewichtung, da es in der Überschrift steht. Durch die Stille und Dunkelheit der Nacht ist der Mensch von der Realität abgeschirmt und ist somit in der Lage, seine Gefühle intensiver wahrzunehmen und seine Sinne zu schärfen. Das Licht, das durch den Mond erzeugt wird vertreibt die Bedrohung mit der die Nacht oftmals assoziiert wird und es entsteht eine geheimnisvolle, märchenhafte Stimmung.
Sprachliche und stilistische Mittel sind in dem Gedicht stark ausgeprägt. Schon am Anfang des Gedichts wird ein Vergleich verwendet, um die Atmosphäre während dieser Nacht aufzuzeigen (V. 1 „Es war,…). Himmel und Erde werden durch eine Personifikation als zwei Liebende gezeigt, wobei durch die Artikel, die Erde die Rolle des weiblichen und der Himmel die Rolle des männlichen einnimmt. Der Kuss (V. 2) symbolisiert die Vereinigung von Himmel und Erde und assoziiert zur christlichen Vorstellung des Paradieses. Durch den Neologismus4 „Blütenschimmer“ (V. 3) wird diese Verbindung verdeutlicht. Die Blüten sind ein Teil der Natur auf der Erde und der Schimmer, ein Licht, das an den Blüten reflektiert wird, wobei das Licht zu dem Himmel gehört. Das Wechselspiel zwischen Himmel und Erde wird in der zweiten Strophe fortgesetzt. Es kommt nämlich zu weiteren Berührungen der Beiden, durch die „Luft“ (V. 5), die ein weiteres Element des Himmels ist. Dadurch, dass der Wind „sacht“ (V. 6) durch die Ähren wog, wird der Eindruck eines Streichelns, also einer zarten Berührung erzeugt. Im Gegensatz zu den ersten zwei Strophen, handelt die dritte Strophe nicht mehr vom Wechselspiel zwischen Himmel und Erde, sondern um die Äußerung der Gefühle des lyrischen Ichs. Da die Nacht „sternklar“ (V. 8) ist, fühlt sich das lyrische Ich nicht von der Dunkelheit bedroht, sondern geborgen. In diesem Zusammengang wird eine Metapher5 verwendet, die die Seele wie einen Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, kurz vor dem Abflug zeigt (vgl. V. 9f). Die Seele des Menschen möchte sich also der Dunkelheit öffnen und von dem Irdischen „davonfliegen“. Diese Flucht könnte einerseits als Todeswunsch und Weg in den Himmel gedeutet werden, oder aber der Versuch, Gott ein Stück näher zu sein und sich der Religion zu widmen. Durch die letzten Wörter „nach Haus“ (V. 12) erfährt der Leser, dass sich das lyrische Ich nur außerhalb des Irdischen wohl und geborgen fühlt und das Einkehren von Ruhe in der Seele, vollbracht ist.
Eichendorff will mit seinem Gedicht die schönen Gefühle der Befreiung der Seele betonen und beschreiben, aber auch die Schönheit der Natur bei Nacht und deren romantische und träumerische Atmosphäre zum Ausdruck bringen.
Auch in dem Gedicht von Georg Heym „Die Stadt“ thematisiert das lyrische Ich Eindrücke, die es in einer Mondnacht empfindet. Die Atmosphäre in dieser Nacht ist jedoch ganz anders als die in Eichendorffs Gedicht. Während das lyrische Ich in Eichendorffs „Mondnacht“ eine harmonische, fast mystische Alleinheits-Erfahrung in der Natur erlebt, liegt der Themenschwerpunkt bei Georg Heym auf dem Leben in der Großstadt, das für den Stadtmenschen eher bedrückend erscheint.
In dem Gedicht „die Stadt“ wird das Leben der Menschen in der Stadt als monoton und bedeutungslos beschrieben. Die Menschen scheinen keinen Sinn in ihrem Leben zu finden, sondern leben von Tag zu Tag im selben Rhythmus. Am Ende des Gedichts scheint das lyrische Ich sogar eine Zerstörung der Stadt anzudeuten.
Äußerlich wie auch Innerlich sind beide Gedichte komplett unterschiedlich. Während „Mondnacht“ eine Regelmäßigkeit in der äußeren Form mit jeweils drei Strophen mit der gleichen Anzahl an Versen darstellt, weist das Gedicht „die Stadt“, die Form eines Sonetts auf. Das Gedicht besteht aus zwei Quartetten und zwei Terzetten mit durchgehend männlichen Kadenzen. In den beiden Quartetten liegt ein umarmender Reim und in den Terzetten ein Endreim vor. Die einzige Gemeinsamkeit in der äußeren Form der beiden Gedichte ist das Metrum7, der bei beiden ein Jambus ist. Jedoch unterscheidet sich auch der an den unterschiedlichen Hebungen. Während bei „Mondnacht“ ein drei-hebiger Jambus erkennbar ist, ist bei „die Stadt“ ein fünf-hebiger Jambus nachzuweisen.
Der größte Unterschied ist jedoch im Inhalt erkennbar. Während die Atmosphäre der Natur in dem Gedicht von Eichendorff, durch Schlüsselwörter wie „sacht“ (V. 6), und „still“ (V. 11), als sehr harmonisch und friedlich interpretiert werden kann, sorgt Heyms Wortwahl eher für das Gegenteil. Wörter wie „Untergang“ (V. 2), „stumpfen Sein“ (V. 7) und „Eintönig“ (V. 8) sorgen dafür, dass der Leser ein ganz anderes Bild der Umwelt erhält. Die Atmosphäre wirkt nun nicht mehr als ruhig und „romantisiert“, sondern langweilig und Monoton. In „Mondnacht“ wird der Himmel als „sternklar“ (V. 8) beschrieben, währenddessen das lyrische Ich in „die Stadt“ von einem „Wolkenschein“ (V. 1), der die Nacht „zerreißt“ (V. 2) spricht. Da bei Eichendorffs Gedicht von „Felder“ (V. 5) und „Wälder“ (V. 7) die Sprache ist, kann der Leser davon ausgehen, dass sich das lyrische ich in der freien Natur aufhalte und in den Himmel starrt. Im Gegensatz dazu ist bei Heyms Gedicht schon der Titel ein klares Indiz für den Aufenthaltsort des lyrischen Ichs erkennbar. Es scheint so, als ob das lyrische Ich irgendwo auf einer Straße steht und seine Umgebung betrachtet. Dabei fallen ihm die „unzähligen Menschen“ (V. 6), die sich wie ein „Aderwerk“ (V. 5) durch die Straßen bewegen. Dieses pulsartige Treiben verdeutlicht die Monotonie des Alltags, der immer im gleichen Takt verläuft, wie ein konstanter Herzschlag. Während Eichendorffs lyrisches Ich den „Blütenschimmer“ (V. 3) betrachtet, kann das lyrische ich nur „tausende Fenster“ (V. 2), „stumpfen Ton“ und „stumpfen Stein“ (V. 7) erkennen. Die „tausend Fenster“ sind eine Hyperbel8 und sollen die Masse an Menschen darstellen, die alle nebeneinander leben, während der stumpfe Stein die Gebäude und Häuser die an jeder Ecke erkennbar sind, wiederspiegeln soll. Die Ironie die bei dem Vergleich dieser Gedichte entsteht ist dabei nicht zu übersehen. Das lyrische ich bei „Mondnacht“ ist alleine in einem Wald, kann aber trotzdem ein leises rauschen der Wälder hören (Vgl. V. 7), im Gegensatz zu dem lyrischen Ich in „die Stadt“, das von einer Menschenmasse umgeben ist, aber nur eine eintönige, matte Stille (vgl. 8) hört. Eine Vielzahl von Menschen die durch die Stadt reisen, wirkt durch das Wort "schwemmen" (V. 6) unwichtig und unbedeutend, als ob alle Ereignisse ineinander verlaufen ohne, dass es jemand mitbekommt. Wobei bei „Mondnacht“ das lyrische Ich sogar das Gefühl hat, die Vereinigung von Himmel und Erde bezeugen zu können.
Sprachlich gesehen sind auch da mehrere Unterschiede erkennbar. Bei Eichendorff scheint das Gedicht sehr harmonisch und im Einklang zu sein, während bei Heyms Gesicht mehrere Oxymora wiederzuerkennen sind. Gegensätze wie „Gebären“ (V9) und „Tod“ (V. 9) oder „Eintönig“ (V. 8) und „Stille“ (V. 8) zeigen, dass in der Anonymität der Großstadt solch unterschiedliche Geschehnisse, Töne oder auch Gefühle, in einer Masse verschwinden und man als Mensch nicht mehr das Eine von dem Anderen differenzieren kann. In der letzten Strophe von „Mondnacht“ hat der Leser das Gefühl, dass das lyrische Ich seine innere Ruhe gefunden hat, und ihm durch seinen religiösen Glauben, der Wechsel von der Immanenz9 in die Transzendenz10 ermöglicht wird. Jedoch ähnelt die gesamte letzte Strophe bei Heym einem apokalyptischen Zustand und somit dem genauen Gegenteil zu Eichendorffs Ende. So nähert sich in Vers 12 das Feuer der Zerstörung auf die Stadt hinzu (vgl V. 13). Die Farbe Rot, sowie das Wetter tauchen erneut auf, aber wirken diesmal bedrohlicher als in der ersten Strophe, sodass die vierte Strophe eindeutig die Synthese auf die erste Strophe darstellt. Dies wird auch durch eine Alliteration11 unterstützt, um dem einen gewissen Nachdruck zu verleihen (vgl. V. 12 „Feuer, Fackeln“).
Das Gedicht „die Stadt“ von Georg Heym ist der Epoche des Expressionismus zuzuordnen, da er das Motiv der Naturkatastrophe und des Weltuntergangs aufgreift. Darüber hinaus ist ebenso das Thema Großstadt ein sehr beliebtes Thema zeitgenössischer Expressionisten. Insgesamt ist die Sprache sehr metaphorisch ( V. 3ff und V. 14) und gefühlsbetont. Heym kritisiert die negative Seite der Stadt und findet sich nicht mit der Bedeutungslosigkeit und Anonymität des Individuums ab. Da das Gedicht 1911 geschrieben wurde, ahnt er vermutlich schon den Ersten Weltkrieg und sieht ihn als Gefahr für das Großstadtleben und seine Bewohner.
Heym will im Gegensatz zu Eichendorff, der mit seinem Gedicht die Schönheit der Natur im romantischen Stil betonen will, die Menschen auf die vorantreibende Anonymität aufmerksam machen und den „Weltuntergang“ der darauf folgen würde, verhindern.