Roman: Irrungen, Wirrungen (1887)
Autor/in: Theodor FontaneEpoche: Realismus
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
In dem vorliegenden Auszug aus Theodor Fontanes Roman „Irrungen, Wirrungen“ aus dem Jahre 1888 geht es um eine von der Gesellschaft aus gesehenen verbotenen Liebe zwischen dem Adligen und der Bürgerin, die jetzt einem Ende naht, da es hier um den Abschied der beiden geht.
Die bürgerliche Näherin Magdalene Nimptsch, auch Lene genannt, ist seit wenigen Monaten mit dem adligen Botho von Rienäcker zusammen. Die zwei Hauptcharaktere sind verliebt und treffen sich oft zum heimlichen Spazieren gehen bei Lene in der abgelegenen Gärtnerei. Botho und Lene sind sich beide bewusst, dass diese Beziehung so nicht lange anhalten wird. Nach einem langen Brief von seiner Mutter über die schlechte finanzielle Lage der Familie Rienäcker trifft Botho dann letztendlich im Auszug des vorherigen vierzehnten Kapitels die Entscheidung, Lene zu verlassen und die adlige Käthe von Sellenthiener zu heiraten. Kurz darauf schickt Botho Lene dann einen Brief, in dem er ihr die Lage erklärt, und trifft sie dann noch ein letztes Mal vor ihrem Abschied in der abgelegenen Gärtnerei. Eine weile danach heiratet Botho Käthe und Lena zieht weg, dort trifft sie Gideon Franke, den sie letztendlich auch heiratet, keiner der Hauptcharaktere finden letztendlich ihr Glück.
Im ersten Abschnitt (Seite 104 Zeile 1-15) möchte Botho eigentlich Lene sofort einen Brief schreiben, kriegt dies aber nicht übers Herz und verschiebt es deshalb auf den nächsten Morgen. Der Brief ist dann auch sehr kurz, er erklärt ihr, dass er sich verabschieden muss und warum er das tut, anschließend sagt er ihr noch, dass er sie heute um neun noch ein letztes Mal besuchen kommt, aber nicht lange.
Der zweite Sinnabschnitt (Seite 104 Zeile 16 bis Seite 106 Zeile 40) handelt von der Begegnung der zwei, die dann doch eher lang ist. Beide reden über ihre Gefühle und Botho gibt zu, Schuldgefühle zu haben, wobei Lene dann meint, dass er diese nicht haben sollte, da sie ja von Anfang an wusste, worauf sie sich einlässt. So verläuft die Konversation weiter, bis Lene Botho sagt, er solle sich, bevor er geht, noch von Frau Nimptsch verabschieden.
Im anschließenden Abschnitt (Seite 107 Zeile 1-25) sind nun beide, Lene und Botho, bei Frau Nimptsch damit sich Botho noch ein letztes Mal auch von Frau Nimptsch verabschiedet, die diese Entscheidung, dass die beiden sich trennen, als sehr vernünftig und richtig ansieht. Er erklärt ihr, dass es so kommen musste, und bedankt sich für die schöne Zeit. Außerdem verspricht er ihr auch, dass er sie nicht vergessen würde.
Schließlich befasst sich der letzte Abschnitt (Seite 107 Zeile 26 bis Seite 108 Zeile 5) mit dem tatsächlichen Abschied Lenes und Bothos. Botho zuckte zwar noch kurz, aber Lene schickte diesen dann weg, da es sonst nur noch schwieriger für beide wäre, wäre der Abschied nicht schnell. Zwei letzte Küsse erlaubten die beiden sich aber noch. Er wollte dann noch einmal Zurückkehren, sie werte sich aber dagegen und sah ihm hinterher, wie er ging.
Dieser Auszug zeigt, dass Botho sich schwer mit dem Abschied von Lene tut, da er sich ihr gegenüber schuldig fühlt. Wobei diese die Führung übernimmt und die Trennung schnell vorbei haben möchte, weil sie weiß, dass diese Beziehung unmöglich ist.
Um diese Hypothese zu belegen, soll der vorliegende Auszug nun aspektorientiert analysiert werden. Dabei wird zunächst die Erzählweise, danach die Gestaltung der Figuren Lene und Botho eingegangen.
Der Auszug hat einen wechselnden Erzähler, welcher teilweise auktorial und bei den Dialogen immer neutral ist. Den auktorialen Erzähler erkennt man beispielsweise an „das er dazu keine Kraft habe“ (S. 104 Z. 2), „und empfing ihn wie sonst“ (S. 104 Z. 16), „Und so gingen sie den selben Feldweg hinauf“ (S. 105 Z. 26), „Frau Nimptsch war wirklich allein“ (S. 107 Z. 1). Diese Textstellen sind Kommentare, was ein deutlicher Hinweis auf eine auktoriale Erzählperspektive ist. Die neutrale Erzählperspektive wird besonders deutlich bei den Dialogen die Lene und Botho halten, wie zum Beispiel „Unter diesen Worten hatten sie das Haus erreicht“ (S. 104 Z. 23). Der auktoriale Erzähler bewirkt, dass man sich in den Roman mit eingeschlossen fühlt, wobei er sich beim neutralen Erzählen eher nacherzählt und kühl anfühlt.
Bezieht man sich zunächst einmal auf Lene, so ist festzustellen, dass Lene sich sehr freut, Botho zu sehen und ihm das auch sagt: „Ich freue mich, dass du da bist.“ (S. 104 Z. 21). So sagt sie aber auch „Wie schön es wäre, dort oben zu sein“ (S. 105 Z. 11) dadurch, dass sie sich wünscht, zu sterben, wird verdeutlicht, wie sehr ihr der Abschied dennoch wehtut. Dies wird auch durch „Ja, weh tut es. Das ist wahr“ (S. 105 Z. 7) deutlich. Lene ist aber trotz des Schmerzes eine starke Frau, das erkennt man an dem Apostroph „Ich bin nicht wie das Mädchen, (…). Weißt du noch, wie du mir davon erzähltest?“ (S. 105 Z. 14-17) da dies deutlich macht, dass sie sich zwar wünscht zu sterben, sich selbst aber auf jeden Fall nicht umbringen wird. Im Laufe des Gesprächs erinnert sie sich an die schönen Tage, die sie und Botho zusammen verbrachten. Sie meint sogar „so heiter und glücklich bin ich noch nie gewesen, nicht vorher und nicht nachher“ (S. 105 Z. 35-36). Die Personifikation1 „lacht mir das Herz“ (S. 105 Z. 37) zeigt wie sehr ihr diese Momente und Erinnerungen freue bringen und wie wichtig diese ihr sind. Auch die Correctio2 „Ja, Erinnerung ist viel, ist alles“ (S. 105 Z. 39) unterstützt diese Aussage. Lene bedankt sich für die schöne Zeit und glaubt daran, dass beide vielleicht eines Tages doch noch mal glücklich sein können (S. 106 Z. 11-16). Sie will Botho alle Schuldgefühle nehmen. Dies erkennt man an „Du hast mir kein Unrecht getan“ (S. 106 Z. 22-23) und sagt sogar das es wenn, dann ihre Schuld sei, da sie sich ja bewusst für ihn entschieden hat, obwohl sie weiß, dass diese Beziehung unmöglich sei und er hat sie ja letztendlich zu nichts gezwungen (vgl. 106 Z. 26-27). Sie möchte sich schnell verabschieden, dies wird durch „es war doch zu viel, diese zwei Tage. Lebe wohl, mein Einziger“ (S. 107 Z. 10-11). Zuletzt sagt sie ihm noch, dass sie sich wünscht, dass er so glücklich wird, wie er sie gemacht hat und das verdeutlicht noch mal, wie sehr sie ihm verzeiht und ihm für die gemeinsame Zeit dankt (vgl. S. 107 Z. 11-13). Konzentriert man sich nun auf ihre Körpersprache, so erkennt man, dass sie diejenige ist, die führt. Dies wird durch „Sie nahm seinen Arm“ (S. 104 Z. 19), „Sie lehnte sich an ihn“ (S. 105 Z. 1), „Lene sich an ihn hing“ (S. 107 Z. 27) und „Und sie gab ihm einen Kuss und noch einen und schloss dann das Gitter“ (S. 107 Z. 35-36) deutlich. Auch hier erkennt man durch „nicht der kleinste Zug von Vorwurf oder auch nur schmerzlicher Entsagung lag in ihrem Gesicht“ (S. 104 Z. 17-18), dass Lene Botho keine Vorwürfe macht und ihm auch nicht das Gefühl geben möchte, dass er einen Fehler begangen hat und deshalb ihre eigenen Gefühle verbirgt. Dass sie sich schnell von ihm verabschieden wollte, wird deutlich durch „und schloss dann das Gitter“ (S. 107 Z. 15-16) und „Aber sie wehrte heftig mit der Hand. Und so ging er denn weiter“ (S. 107 Z. 39-40) dies ist vermutlich, weil der längere Abschied ihr wahrscheinlich mehr Schmerzen vorbereiten würde als ein kurzer und schneller. Dadurch, dass sie am Ende immer noch lange an derselben Stelle stand, selbst nachdem er gegangen ist, zeigt, wie sehr der Abschied ihr doch Schmerzen bereitet (vgl. S. 108 Z. 1-5). Lenes Gedanken werden in diesem Auszug nicht deutlich dargestellt. Man kann aber vermuten, dass sie ihre Gefühle hinter einer Art Maske verbirgt, da sie Botho keine Schuldgefühle geben möchte. Obwohl sie dennoch einmal sagt, dass ihr der Abschied wehtut, kann man aus dem Rest auch feststellen, dass ihr dieser Abschied sehr schwerfällt.
Bezieht man sich nun auf Botho, so ist zu sehen, dass er Schuldgefühle gegenüber Lene hat. Dies erkennt man an „Ja, Lene. Kannst du mir verzeihen?“ (S. 105 Z. 4) und an „als ob ich dir ein Unrecht getan hätte“ (S. 106 Z. 21). Botho, anders als Lene, glaubt nicht daran, dass einer der beiden je wieder glücklich werden könnte. Das wird durch „Glaubst du’s? Und wenn nicht? Was dann?“ deutlich. Durch den Diminutiv3 „Mutterchen“ (S. 107 Z. 12, 18 u. 23) wird deutlich, wie sehr er Lenes Pflegemutter Frau Nimptsch eigentlich mag und wie eng die beiden sich sind. Dies zeigt, dass er sie wie seine Mutter betrachtet. Auch das er seinen einfachen alten Platz wieder haben wollte verdeutlicht wie sehr er und Frau Nimptsch sich aneinander gewöhnt und gelernt zu lieben haben (vgl. S. 107 Z. 12-13). Guckt man sich nun Bothos Körpersprache an, so erkennt man das diese eher wenig und auch nicht dominant sind. Um genau zu sein, hat Botho drei Mal eine starke Körpersprache gehabt. Das erste Mal war „Botho machte eine Miene“ (S. 104 Z. 24) welches verdeutlicht, wie traurig oder verärgert Botho über diesen Abschied von Lene ist. Das zweite Mal ist, als er sie „umarmte“ (S. 106 Z. 3), womit er ihr deutlich machte, wie sehr sie ihm eigentlich bedeutet. Drittens war, als er schnell aufstand und zur Tür ging (vgl. S. 107 Z. 26). Dies zeigt, dass er die Beziehung erst schnell beenden und gehen wollte, bevor er zu emotional wird. Er versuchte dann ein letztes Mal noch auf sie zuzugehen, Lene hat sich aber gewehrt und somit ging er. Bothos Gedanken sind genau wie Lenes in diesem Auszug nicht deutlich und deshalb kann man auch bei ihm nur vermuten, wie er sich fühlt und was er denkt. Am Anfang ist er traurig und möchte Lene nicht verlassen, aber er weiß er muss. Dann geht es ihm etwas besser, als sie sich an die schönen Zeiten ihrer Beziehung erinnern. Kurz darauf hat er wieder Schuldgefühle, da er Lene sehr viel Unheil bringt. Letztendlich nimmt er Abschied von Frau Nimptsch und geht schnell, da er wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt sehr emotional wurde und diese Verletzlichkeit nicht zeigen wollte. Als ihm dann bewusst wird das, dass das letzte Mal ist, indem er Lene sieht, möchte er doch noch mal zurückkommen, welches sie ablehnt.
Meine eingangs aufgestellte Hypothese, dass Botho sich schwer mit dem Abschied von Lene tut, da er sich ihr gegenüber schuldig fühlt und Lene die Führung übernimmt und die Trennung schnell vorbei haben möchte, weil sie weiß, dass diese Beziehung unmöglich ist, hat sich als richtig erwiesen. Dieser Auszug zeigt, wie sehr dieser Abschied beide Hauptfiguren belastet und wie beide dennoch wissen, dass dies von Anfang an ihre eigene Schuld war. Hätten sie sich nicht auf diese Beziehung eingelassen, wäre es nie zu diesem schweren Verlust gekommen. Beide Figuren spielten mit dem Feuer und haben sich verbrannt.