Roman: Irrungen, Wirrungen (1887)
Autor/in: Theodor FontaneEpoche: Realismus
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
In Theodor Fontanes Roman „Irrungen, Wirrungen“ aus dem Jahre 1887 geht es um die Darstellung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert anhand einer gescheiterten unstandesgemäßen Beziehung.
Die bürgerliche Näherin Lene ist seit wenigen Monaten mit dem adeligen Botho von Rienäcker zusammen. Sie sind verliebt und treffen sich häufig, allerdings immer bei Lene in der abgelegenen Gärtnerei. Jedoch machen beide zusammen einen Ausflug zu Hankels Ablage, wo sie eine Liebesnacht verbringen. In dem vorliegenden Auszug aus dem dreizehnten Kapitel ist es der Tag nach der Liebesnacht. Mit der Begegnung seiner adeligen Freunde tritt Botho ohne seinen Willen das erste Mal zusammen mit Lene in die Öffentlichkeit.
Anhand dieser Textstelle kann man erkennen, dass Fontane die dargestellte Oberschicht kritisiert, da sie aus heutiger Perspektive unmoralisch agiert.
Obwohl Lene und Botho sich vor Bothos Freunde verstecken wollen, werden sie trotzdem abgefangen. Somit sind sie gezwungen, den Rest des Tages mit ihnen zu verbringen (S. 85 Z. 36-40). Bothos Freunde, Serge, Balafre, Pitt haben drei Frauen zur Begleitung. Diese stellen sie dann Botho vor und Botho Lene mit dem Namen „Mademoiselle Agnes Sorel“ (S. 86 Z. 1-12). Zum Schluss wird die Situation nach der Begrüßung beschrieben, wobei sich alle Männer verneigen und die drei Frauen sich eher unbequem gegenüber Lene fühlen.
Botho und Lene wollten in der Öffentlichkeit nicht gesehen werden und somit auch die Begegnung mit den Kameraden vermeiden, denn „beide brachen auf, um so rasch wie möglich ins Boot zu kommen“ (S. 85 Z. 36f). Beide wären es, wie in der vorherigen Nacht, lieber gewesen, alleine und glücklich zu sein. Die Metapher1 „sahen sich bereits umstellt und eingefangen“ (S. 85 Z. 39), zeigt, dass diese Situation sehr entscheidend für die unstandesgemäße Beziehung ist, denn es war der erste gemeinsame Auftritt in der Öffentlichkeit. Somit ist es das erste Mal, dass Bothos Schein- und Seinwelt sich treffen.
Da es nicht mehr möglich war zu fliehen, sind sich die Kameraden Bothos und Lene tatsächlich begegnet. Da Pitt, Serge und Balafre drei Frauen zur Begleitung haben, stellen sie spöttischerweise ihre bürgerliche Mätressen zu adeligen Namen aus Schillers Romanen „Könign Isabeua, Fräulein Johanna, Fräulein Margot“ (S. 86 Z. 7f) vor. Hier wird die Arroganz und Respektlosigkeit gegenüber der Bürgerschicht verkörpert, obwohl sie eigentlich eine sexuelle Beziehung zu ihnen haben. Dies zeigt die Unmoral der Oberschicht, denn sie benutzen ihren gesellschaftlichen Stand zur Verspottung und Herabsetzung niedrigerer Stände, welches auch durch die Anwendung französischer Sprache (vgl. S. 86 Z. 1) gezeigt wird. Die Aussage „Botho sah, welche Parole heute galt, und sich rasch hineinfindend entgegnete er, nunmehr auch seinerseits [...]“ (S. 86 Z. 9f) zeigt, dass Botho die Rolle der oberflächlichen und unmoralischen Gesellschaft mitspielt, und sich wie alle anderen adlige Offiziere in seinem Alter verhält. Mit der Verspottung seiner Geliebten Lene gibt er ihr den Namen der adeligen Frau „Mademoiselle Agnes Sorel“ (S. 86 Z. 12) und verbirgt sein intimes Verhältnis zu Lene vor seinen Freunden, um sich mit seiner sozialen Rolle identifizieren zu können. Hier wird klar, dass Botho aus Schwachheit und vor allem auch aus Gewohnheit „mitspielt“. Dies zeigt sich anhand der Tatsache, dass Botho, bevor er Lene den anderen Anwesenden vorstellt, nicht darüber nachgedacht hat, ob er Lene den anderen Frauen überhaupt gleichstellen will. Dies weist somit nicht auf die Persönlichkeit Bothos hin, sondern auf die gewöhnlichen Charakteristiken der Oberschicht, die eher unmoralisch und respektlos scheinen. Die eher positiven Adjektive „übermutiger“ (S. 86 Z. 2) oder „glückliche“ (S. 86 Z. 5) zeigen, wie unmoralisch alle Adeligen eigentlich sind, denn es macht ihnen sogar Spaß, sich gegenüber andere überlegen zu fühlen.
Die Ironie „Alle drei Heeren verneigten sich artig, ja dem Anschein nach sogar respektvoll [...] (S. 86 Z. 13f) zeigt, dass es offensichtlich ist, dass die Adeligen sehr respektlos gegenüber Frauen, speziell Bürgerlichen, agieren. Botho wird hier aber nicht bei der Beschreibung miteinbezogen, welches wiederum zeigt, dass eine solche Verspottung gegenüber Lene nicht wirklich seine Intention ist. Obwohl die Adeligen solche sexuellen Beziehungen genießen, wird durch das Verhalten der anderen Frauen klar, wie unbequem die Situation ist. Hierzu passt, dass „Die beiden Töchter Thibaut d'Arc einen überaus kurzen Knicks (machten) [...]“ (S. 86 Z. 14ff) sowie die Beschreibung Lenes zum Verhalten der Königin Isabeau mit „der ihnen unbekannten und sichtlich unbequemen Agnes Sorel“ (S. 86 Z. 18). Dies zeigt den deutlichen Unterschied zwischen der Ober- und Unterschicht, wobei die Unterschicht es gar nicht genießt, unmoralisch zu sein. Denn es ist deutlich, dass sie bereits wissen, dass Mademoiselle Agnes Sorel eine bürgerliche Frau ist, die vermutlich auch eine sexuelle Beziehung mit Botho hat. Keiner weiß aber Bescheid über die liebvolle unstandesgemäße Beziehung zwischen den beiden, die aufgrund des Eintretens in die Öffentlichkeit zu einem Ende kommt.
Da dieser Roman im Realismus geschrieben wurde, kann man nicht sagen, dass Fontanes primäre Intention die Kritik an der Oberschicht war. Jedoch wird die neutrale Erzählung von dem auktorialen Erzähler, der Kommentare hinterlässt, gestört. Aufgrund dessen ist eine leichte Kritik der Unmoral und Arroganz der oberen Schicht wahrzunehmen.
Mit dieser Begegnung ist klar, dass Botho und Lenes Beziehung bald zu einem Ende kommen würde, da solch eine unstandesgemäße Beziehung kein Platz in der Gesellschaft hat. Nach Bothos Entscheidung, die Beziehung zu enden, verarbeiten beide die Beziehung, indem Botho Käthe heiratet und Lene später Franke.
Hiermit wird die Illusionslosigkeit im Realismus dargestellt, wobei das Negative als unabänderlich hingenommen wird. Die Handlungsfreiheit der Menschen wird auch durch die gesellschaftlichen Konventionen eingeschränkt. Wer wüsste, wie Botho agieren würde, wenn er nicht Teil dieser Gesellschaft wäre?