Drama: Maria Stuart (1783-1799)
Autor/in: Friedrich SchillerEpoche: Weimarer Klassik
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
In dem klassischen Trauerspiel Maria Stuart von Friedrich Schiller aus dem Jahr 1800 geht es um die willkürliche Verurteilung der schottischen Königin Maria Stuart durch die blutsverwandte Elisabeth I., Königin von England, die ihren Thron durch den legitimen Anspruch Marias auf diesen gefährdet sieht und sich Marias entledigen will.
Schiller stellt die abgeänderten historischen Persönlichkeiten in die Zeit der Französischen Revolution und baut diese, vor allem im Königinnenstreit, welcher die Peripetie1 des Dramas darstellt, antithetisch auf. Am Beispiel der schottischen Königin möchte er die Entwicklung des Publikums zur moralischen Independenz2 und sittlichen Autonomie fördern. Eben diese Stufe der Erhabenheit macht Schiller am Ende des Dramas an der Figur der Maria Stuart deutlich.
Das Trauerspiel folgt dem pyramidalen Aufbau des antiken Dramas mit fünf Akten. Der erste Akt stellt die Figur Maria Stuart vor. Er spielt auf Schloss Fotheringhay, in dem Maria Stuart, Königin von Schottland, zu Unrecht unter Bedingungen, die einer Königin nicht würdig sind, gefangen gehalten wird, nachdem ihr Mann unter ihrer Mitwisserschaft ermordet worden ist und sie vor dem Aufstand des schottischen Volkes in England bei der ihr blutsverwandten Königin Elisabeth I. Zuflucht suchen musste. Diese frühe, später wieder thematisierte Schuld lud sie in einer Situation kindlicher Naivität auf sich. Mortimer, der Neffe von Marias Wächter Paulet, tritt auf und gibt sich als Verehrer Marias zu erkennen, der heimlich zum katholischen, also Marias Glauben konvertiert ist und sich der protestantischen Staatsreligion Britanniens widersetzt. Er will sie aus England retten, doch Maria Stuart sieht nur in Graf Leicester oder Elisabeth selbst Personen, die sie befreien bzw. begnadigen können. Deshalb schreibt Stuart zwei Briefe, einen an Leicester und einen an Elisabeth, in denen sie um ein Treffen mit dieser bittet. Zudem kommt es durch Burleighs und Marias verschiedenen Positionen zu einem Streitgespräch zwischen den beiden: Burleigh ist ein vehementer Verteidiger Englands, der alles tun würde, um die britische Macht zu erhalten. Er versucht sogar, Paulet für einen heimlichen Mordanschlag auf Maria zu gewinnen, wogegen sich dieser jedoch weigert; Maria verurteilt Elisabeths Willkürherrschaft und den illegitimen Prozess, der ihr gemacht wurde, in dem Streit mit Burleigh, der eindeutige Hinweise gibt, dass Maria Stuart hingerichtet werden wird.
Akt zwei befasst sich vorrangig mit Elisabeth. Sie preist sich als jungfräuliche Königin, wird allerdings aus machtpolitischen Gründen und auf Drängen ihres Volkes zur Heirat gezwungen. Dazu werden Verhandlungen mit dem französischen Königshaus geführt. Unterdessen kann sich Elisabeth nicht zu einer öffentlichen Verurteilung Marias in ihrem Namen durchringen, da sie die Reaktion auf ihre Willkür fürchtet. Sie gibt stattdessen Mortimer, den sie als ihren Vertrauten glaubt, den Auftrag, Maria zu töten, den dieser scheinheilig annimmt, um Zeit für die Rettung Marias zu gewinnen. Diese Pläne offenbart er Graf Leicester, einem Günstling Elisabeths, der, nachdem Elisabeth den französischen König heiraten wollte, erneut um Marias Gunst wirbt, die ihn jedoch zurückgewiesen hat. In der Diskussion zwischen Mortimer und Leicester kommt es zu keiner Einigung, Leicester jedoch kann Elisabeth zu einem Treffen mit Maria überreden.
Im dritten Akt erreicht das Drama seinen Höhe- und Wendepunkt in dem Königinnenstreit. Maria wird ein Gang im Park von Fotheringhay gestattet, wo Elisabeth sich ebenfalls aufhält. Sie stellt sich ahnungslos und ist sehr kühl gegenüber Maria, die sich auf den Rat anderer hin demütig gibt und sich Elisabeth unterwirft, um so an deren Milde zu appellieren. Nach zahlreichen Provokationen seitens Elisabeths verliert Maria allerdings ihre Fassung und geht in ihre Verteidigung über. Elisabeths Beleidigungen begegnet sie, indem sie die englische Königin einen „Bastard“ (Z. 2447) nennt und so ihren eigenen legitimen Anspruch auf Englands Thron wiederherstellt, den sie, in dem Versuch, Elisabeths Wohlwollen zu erbetteln, aufgegeben hatte. Elisabeth verlässt wutentbrannt die Szene und lässt Stuart, die außer sich und trotzdem voller Würde ist, zurück und wird später Opfer eines Mordanschlags in London, geplant durch Mortimer und sein Gefolge, der allerdings scheitert und diese zur Flucht zwingt. Mortimer weigert sich zu gehen, da er in Maria verliebt ist, und so drängt er sich dieser auf. Sie entflieht verängstigt seinen heftigen Annäherungsversuchen.
Leicester und Mortimer, die durch Burleigh als Verbündete Marias und als Handlanger der Verschwörung dargestellt bzw. entlarvt werden, sollen in Akt vier von Elisabeth zum Tode verurteilt werden, nachdem diese von dem Komplott der beiden gegen sie erfahren hat. Leicester, der wie in allen Dingen ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt, schiebt die Schuld Mortimer zu, der alles verloren sieht und sich das Leben nimmt. Burleigh fährt damit fort, Leicester Elisabeth gegenüber anzuklagen, der sich aber geschickt aus der Affäre zieht, da ihm durch den sehr gelegen gekommenen Tod Mortimers nichts nachgewiesen werden kann. Er wird, um seine angebliche Unschuld beweisen zu können, dazu gezwungen, das Todesurteil der Maria vollstrecken zu lassen, das Elisabeth auf Drängen des Volkes hin, vielmehr aber noch aus persönlichen Motiven, wie z. B. der Eifersucht gegenüber Maria, und ihrer Willkür, unterschreibt, es jedoch nur zur Verwahrung an ihren Sekretär Davison gibt, ohne ihm eindeutige Anweisungen zu erteilen, was damit zu tun sei, sodass dieser zögert, es aus den Händen zu geben, bevor Burleigh es ihm schließlich entreißt, um mit des Urteils Vollstreckung die politische Macht Englands zu sichern. Da es durch Burleigh zur Hinrichtung Stuarts kommt, kann Elisabeth somit keine Schuld zugewiesen werden.
Die Hinrichtung und deren Vorbereitung sind die Hauptgeschehnisse des fünften Aktes. Maria Stuart bekommt die Chance, mit ihrem Leben abzuschließen. So gibt es unter anderem ein Wiedersehen mit dem Hofstaat und einen würdevollen Abschied von diesem. Maria verzeiht allen Personen, die ihr im Leben Unrecht getan haben, sogar Elisabeth vergibt sie ihren eigenen Tod. Mit der Beschreibung ihres Verhaltens und durch viele andere Hinweise im Text des fünften Aktes setzt Schiller Maria Stuart auf die dritte, höchste Stufe des triadischen Modells4. Maria gibt bei Melvil, einem Getreuen ihres alten Hofstaats, der für sie zum Priester geweiht wurde, ihre Lebensbeichte ab, wobei sie ihre frühe Schuld bekennt und den Zorn gegenüber Elisabeth. Sie trägt jedoch ein reines Gewissen, was die Verschwörung gegenüber Elisabeth und ihre Anklage durch England bzw. den Grund ihrer Gefangenschaft anbelangt. Sie wird schließlich abgeführt und erreicht mit Hilfe ihrer Amme Kennedy das Schafott, auf dem sie betend stirbt. Graf Leicester ist gezwungen, ‚Ohrenzeuge’ ihrer Hinrichtung zu werden, kann dies nicht ertragen und fällt in Ohnmacht. Unterdessen wartet Elisabeth ungeduldig auf die Nachricht des vollstreckten Urteils, die ihr von Burleigh überbracht wird. Diesem gibt sie sodann zusammen mit Davison, den sie in den Kerker werfen lässt, die alleinige Schuld an der Tötung der Königin, als eine Neuaufwicklung des Verfahrens wegen Meineides gefordert wird, nachdem die Zeugen ihre Aussagen widerrufen haben. Zuletzt wird Elisabeth von allen Getreuen verlassen und steht alleine da.
In der zu analysierenden Szene, dem neunten Auftritt des vierten Aufzugs, stößt Shrewsbury, einer der Vertrauten und Berater Elisabeths, auf Burleigh, Staatssekretär Davison, der das nicht unterzeichnete Urteil über Maria in Händen hält, und weitere Lords, welche die Königin umgeben. Zwischen Burleigh, Shrewsbury und Elisabeth entsteht eine ausdrucksstarke Diskussion, in der die königlichen Berater Schreckensvisionen über die Zukunft Englands ausmalen, um damit eine Beeinflussung Elisabeths und deren Urteil über Maria Stuart zu bewirken. Zum Ende der Szene wirkt Elisabeth bereits entschieden, in ihrem Monolog der folgenden Szene wird dann deutlich, dass die englische Königin Marias Tod wünscht.
Burleigh überbringt Elisabeth die Nachricht von dem aufgebrachten Volk, das den Palast belagert und Maria Stuarts Verurteilung fordert. Er will sie dazu bringen, das Todesurteil zu unterschreiben, und appelliert an sie, auf die Stimme Gottes zu hören (vgl. Z. 3068). In diesem Moment stößt Shrewsbury zu den Vorigen und will die Königin zur Standhaftigkeit gegen den Willen des Volkes bewegen. Er „kommt in großer Bewegung“ (Z. 3075), was seine Aufregung und Hektik verdeutlicht. Seine Sprache, geprägt von Ausrufen (Z. 3076) und Apostrophen5 (Z. 3077), zeigt sein aufgeregtes Gemüt. Noch bevor er seinen Satz vollendet hat, erblickt er Davison mit dem Urteil und befürchtet, zu spät gekommen zu sein. Schiller benutzt hier ein Anakoluth6, um dies auszudrücken. Shrewsbury fährt fort mit kurzen, zum Teil elliptischen Fragen: „Oder ist es / Geschehen? Ist es wirklich?“ (Z. 3078f.). Diese Anapher7 ist gefolgt von seinem indirekten Befehl, der Königin das Schreiben nicht vorzulegen, welcher in seiner Hektik eher als ein Wunsch wirkt, da er zudem fürchtet, dass Elisabeth es schon unterzeichnet hat.
Elisabeths Antwort ist von Kürze und Kälte geprägt, welche durch die unpersönliche Formulierung „Man zwingt mich“ (Z. 3083) hervortritt. Elisabeth will ausdrücken, ihr seien die Hände gebunden. Shrewsbury entgegnet: „Wer kann dich zwingen?“ (Z. 3084). Durch diese rhetorische Frage, auf die Shrewsbury keine echte Antwort erwartet, wird deutlich, dass er ihrer Aussage keinen Glauben schenkt. Seine folgenden Sätze sind durch einen substantivischen Stil gezeichnet („Herrscherin“, „Majestät“, „Schweigen“, „Stimmen“, „Königswillen“, Z. 3084f.), durch welchen Shrewsbury Elisabeths Machtposition und Gewalt als Königin gegenüber der Furcht, die folgend metaphorisch personifiziert wird, darstellt (Z. 3088): „Du selbst bist außer dir, bist schwer gereizt, / Du bist ein Mensch und jetzt kannst du nicht richten“ (Z. 3089f.). Mit der in diesem Satz enthaltenen Anapher will Shrewsbury Elisabeth verdeutlichen, dass sie im Moment nicht in der Verfassung sei, ein rechtmäßiges und durchdachtes Urteil zu fällen, da sie unter Druck stehe und keinen freien Kopf habe; sie solle ihre Macht als Königin nutzen, um sich Zeit zu verschaffen, damit sie gerecht richten könne. Schiller lässt Shrewsbury durch die Klimax8 sehr eindrucksvoll wirken, da seine Aussage jeweils in der Bedeutung gesteigert wird.
Burleigh, der eine schnelle Vollstreckung des Urteils zum Schutze der englischen Krone vehement befürwortet, fällt mit entschiedener Kälte ein: „Gerichtet ist schon längst. Hier ist kein Urteil / Zu fällen, zu vollziehen ist’s“ (Z. 3091f.). Er widerspricht Shrewsbury, indem er mit dem ersten Wort „gerichtet“ dessen Aussage aufgreift und seine Argumente als irrelevant darstellt, da es nicht um das Richten, sondern um die Vollstreckung des Urteils gehe. Hiermit schließt Schiller dieser Inversion9 einen Chiasmus und Parallelismus an, um Burleighs Argumentation aufzubauen und zu unterstreichen.
Der Graf von Kent teilt mit, dass das Volk nicht länger zu bändigen sei (vgl. Z. 3092f.), und erhöht so zusätzlich den Druck auf Elisabeth, eine Entscheidung zu treffen. Der Monarchin kommt sein Satz als Beweis bzw. Rechtfertigung gegenüber Shrewsbury sehr gelegen: „Ihr seht, wie sie mich drängen!“ (Z. 3094).
Shrewsbury entgegnet ihr ruhig und plädiert an ihre Vernunft, sie solle eine ruhigere Stunde erwarten und ihr Gemüt sammeln (Z. 3109f.): „Dieser Feldzug / Entscheidet deines Lebens Glück und Frieden. / Du hast es jahrelang bedacht, soll dich / Der Augenblick im Sturme mit sich führen?“ (Z. 3095ff.). Die metaphorische Personifizierung des Augenblicks in der rhetorischen Frage soll an Elisabeth und ihre Pflicht als Königin appellieren, sich nicht von irgendjemandem hinreißen zu lassen, sondern mit starker Hand zu regieren. Shrewsburys Ausführungen wirken ruhig und bittend, nicht befehlend. Dies lässt ihn, auf die Handlung bezogen, retardierend wirken, da Marias Verurteilung, wenn auch nur wenig, hinausgezögert wird.
Burleigh hingegen beschleunigt die Handlung. Dementsprechend sind die Stilmittel und Regieanweisungen für seinen Auftritt gewählt. Schiller lässt ihn „heftig“ (Z. 3101) auftreten und seine Rede mit einer Klimax beginnen, gefolgt von einer Metapher, die bedrohlich die mögliche Zukunft Englands ausmalt. Diese Schreckensvision soll Elisabeth zur Hinrichtung bewegen: „Erwarte, zögre, säume, bis das Reich / In Flammen steht, bis es der Feindin endlich / Gelingt, den Mordstreich wirklich zu vollführen“ (Z. 3101ff.). Die Epipher („bis...., bis....“, Z. 3101f.) steigert zusätzlich die Aussagekraft des Zitats. In seinen Ausführungen bezeichnet Burleigh Maria als „Feindin“ (Z. 3102) und bringt sie mit negativ wirkenden Worten, z. B. „Mordstreich“ (Z. 3103), in Verbindung, wobei er ebenso darauf bedacht ist, durch religiöse Bezüge klarzustellen, auf wessen Seite Gott steht, da Staat und Kirche damals eng verbunden waren. So wurden die Könige und Königinnen durch spezielle Messen oder Gottesdienste zu rechtmäßigen Herrschern gekrönt. Durch die mehrfache Nennung der Begriffe „Gott“ (u.a. Z. 3104 und Z. 3106) und „Wunder“ (Z. 3106) versucht Burleigh, Elisabeth nicht nur mit machtpolitischen Argumenten zu überzeugen, sondern appelliert auch an ihre religiöse Einstellung, da sie sich als christliche und gläubige Monarchin gibt. Burleigh hat nur das Interesse des Staates vor Augen und daher keine Skrupel, seine Königin auf einer persönlichen Ebene mit seinen Ratschlägen auf den gewünschten politischen Kurs zu führen.
Vor diesem Hintergrund muss Shrewsbury eine offensive Haltung eingehen, um seine Argumente bzw. Position gleichbedeutend, wenn nicht bedeutungsvoller, darzustellen. Im Gegensatz zu Burleigh, der die Staatsräson repräsentiert, steht Shrewsbury für moralisches Verhalten und gerechtes Handeln. Er geht auf die religiöse Argumentationsweise ein, um den moralischen Aspekt einzubringen: „Der Gott, der dich durch seine Wunderhand / Viermal erhielt, der heut dem schwachen Arm / Des Greisen Kraft gab, einen Wütenden / Zu überwält’gen – er verdient Vertrauen! / Ich will die Stimme der Gerechtigkeit / Jetzt nicht erheben, jetzt ist nicht die Zeit, / Du kannst in diesem Sturme sie nicht hören“ (Z. 3107ff.). Shrewsbury ist bewusst, dass Elisabeth in diesem Konflikt gerecht zu richten nicht in der Lage ist. In dieser Aussage deutet sich schon an, dass es nicht nur um einen machtpolitischen Konflikt geht, dem Elisabeth durchaus gewachsen wäre, sondern vielmehr um eine persönliche Ebene, wobei der „Sturm[e]“ (Z. 3113) als eine Metapher für den Streit, Hass und Neid zwischen Elisabeth und Maria interpretiert werden könnte. Zwar deutet Shrewsbury diesen persönlichen Konflikt an, beschränkt sich aber auf eine sehr zweideutige Ausdrucksweise. So kann der Sturm auch eine Metapher für den Druck des tobenden Volkes vor den Schlosstoren sein. Des Weiteren sind in diesem Satz eine Personifizierung („Stimme der Gerechtigkeit“, Z. 3111), eine Anapher („Jetzt nicht erheben, jetzt ist nicht die Zeit“, Z. 3112) und verschiedene Wortfelder („schwachen Arm“, „des Greisen“, Z. 3108f.; „Wütenden“, „Sturm“, Z. 3109 und Z. 3113) zu finden, die ihm stärkere Aussagekraft verleihen.
Schillers gesamtes, im Blankvers10 verfasstes Werk ist durch die Hochstilsprache, welche praktisch als Idealisierungsform angewendet das thematisierte Ideal wiedergibt, geprägt und wird von zahlreichen Antithesen11 und antithetischen Wortfeldern unterstützt. Wie bereits erwähnt sind die Hauptfiguren Elisabeth und Maria antithetisch zueinander aufgebaut, ebenso wie Burleigh und Shrewsbury.
Auch im folgenden Teil von Shrewsburys Rede verwendet Schiller diese Antithetik: „Du zitterst jetzt / Vor dieser lebenden Maria. Nicht / Die Lebende hast du zu fürchten. Zittre vor / Der Toten, der Enthaupteten“ (Z. 3114ff.). „Die Lebende“ wird als Antithese zur „Toten“, „Enthaupteten“ verwendet, was besonders durch das Enjambement12 deutlich wird, welches die beiden Ausdrücke jeweils am Zeilenanfang stehen lässt. Die Wörter sind außerdem aus zwei antithetischen Wortfeldern gegriffen, die immer wieder Verwendung finden, da es schließlich um Leben oder Tod Maria Stuarts geht. Besonders auffällig ist ebenfalls der häufige Gebrauch der Wörter „zittern“ und „fürchten“ (z. B. Z. 3116). Mit Lautmalerei schafft Schiller eine eindrucksvolle Stimmung, die den Gebrauch der Metaphern13 und Antithesen zur Ausmalung der Schreckensvision unterstreicht, verbunden u.a. mit Alliterationen14, z. B. „Rachegeist in deinem Reich“ (Z. 3119).
Shrewsbury beschreibt Elisabeth eine der möglichen Szenen nach Marias Verurteilung. Er warnt vor der Wankelmütigkeit des Volkes und der Veränderung, die sich in England abspielen werde: „Jetzt haßt der Brite die Gefürchtete, / Er wird sie rächen, wenn sie nicht mehr ist. / Nicht mehr die Feindin seines Glaubens, nur / Die Enkeltochter seiner Könige, / Des Hasses Opfer und der Eifersucht / Wird er in der Bejammerten erblicken!“ (Z. 3121ff.). Wieder zeigt Shrewsbury die persönliche Ebene des Konfliktes auf, indem er Maria sowohl „Enkeltochter [der] Könige“ (Z. 3124) nennt und somit Maria Stuarts legitimen Anspruch auf den Thron einfließen lässt als auch „des Hasses Opfer“ (Z. 3125) und das Opfer „der Eifersucht“ (Z. 3125), welches die wahren Motive Elisabeths, wenn auch nur aus Sicht des Volkes, offensichtlich werden lässt. Indem er sie als „Bejammerte[n]“ (Z. 3126) anführt, will er noch einmal seine Position deutlich machen. Auch in diesem Fall benutzt Schiller zusätzlich eine Antithese: „Nicht mehr die Feindin des Glaubens, nur / Die Enkeltochter seiner Könige“ (Z. 3123f.), wobei er diese jeweils am Satzanfang positioniert.
Schließlich umschreibt der königliche Berater die anarchischen Zustände, die in London und ganz England im Fall der Hinrichtung Stuarts herrschen würden: „Schnell wirst du die Veränderung erfahren. / Durchziehe London, wenn die blut’ge Tat / Geschehen, zeige dich dem Volk, das sonst / Sich jubelnd um dich her ergoß, du wirst / Ein andres England sehn, ein andres Volk [...]“ (Z. 3127ff.). Das vermeintlich gerechte Urteil wird hier als „blut’ge Tat“ (Z. 3128) bezeichnet, eine weitere Metapher für die Willkür der englischen Königin. Um die Veränderung zu verdeutlichen, führt Schiller antithetische Metaphern an: „[Das Volk] ergoß [sich jubelnd und] wird [...] veröden“ (Z. 3130 und Z. 3135f.). Es sind außerdem erneut antithetische Wortfelder zu finden: „herrliche Gerechtigkeit“ und „Herzen“ (Z. 3132/33) stehen negativ wirkenden Wörtern wie z. B. „Furcht“, „schrecklich“ und „schaudernd“ (Z. 3134f.) gegenüber. Diese sind durch die Lautmalerei mit hellen bzw. dunklen Vokalen und Alliterationen („herrliche“, „Herzen“; „schrecklich“, „schaudernd“) voneinander abgesetzt. „Du hast das Letzte, Äußerste getan, / Welch Haupt steht fest, wenn diese heil’ge fiel!“ (Z. 3137f.), mit dieser rhetorischen Frage endet Shrewsbury seine Ausführungen und gibt mit seinen Beschreibungen Maria den Status einer Märtyrerin.
Seine Rede wirkt wie eine Schreckensvision, ähnlich den Schilderungen des Jüngsten Gerichts in der Bibel, was vor allem durch die Metaphern und speziell gewählten Wortfelder, aber auch andere Stilmittel geschieht. Schaut man auf Burleighs und Shrewsburys Vorträge, wird deutlich, dass eine Entscheidung in diesem Fall nur auf der persönlichen Ebene getroffen werden kann. Schiller stellt durch die Antithetik der Charaktere zwei Positionen gegenüber, von denen Elisabeth keine wählen kann, ohne dass die negative Seite überwiegt. Sie hat nicht die Möglichkeit, zwischen zwei Dingen zu wählen, sondern ist gezwungen, auf anderem Wege eine Entscheidung herbeizuführen. Dies ist der von Schiller initiierte, unlösbare dramatische Konflikt. Nachdem beide Berater zu Wort gekommen sind, liegt es an Elisabeth, sich zu den Aussagen zu äußern und ihren Standpunkt, ihre Entscheidung, mitzuteilen. Ihre Antwort ist vollständig durch Heuchelei und Falschheit geprägt. Sie beginnt mit einem Anakoluth („Ach Shrewsbury!“, Z. 3139), gefolgt von einer Metapher bzw. einem Pars pro toto - „des Mörders Dolch von mir / Gewendet“ (Z. 3140/41). Dies steht zum einen für den gescheiterten Mordanschlag, den Mortimer und sein Gefolge auf Elisabeth verübten, und ebenso für den (verhinderten) Tod. Die Monarchin dankt ihrem Retter nicht, sondern beginnt mit ihrer ersten geheuchelten Aussage in Form einer rhetorischen Frage: „Warum ließet Ihr ihm nicht / Den Lauf?“ (Z. 3141). Würden ihre folgenden Äußerungen nicht durch ihre Heuchelei in ihrer Bedeutung aufgehoben werden, könnte man diese so interpretieren, dass Elisabeth nicht am Leben festhält und es ihr so möglich wäre, moralische Independenz zu erreichen. Jedoch ist Elisabeth keine liebesfähige Figur, sodass sie in keinem Fall die dritte Stufe erlangen wird: „So wäre jeder Streit geendigt, / Und alles Zweifels ledig, rein von Schuld, / Läg ich in meiner stillen Gruft! Führwahr! / Ich bin des Lebens und des Herrschens müd“ (Z. 3142ff.). Elisabeth beabsichtigt mit dieser Äußerung vorzutäuschen, sie könne Maria den Thron überlassen, und versucht ihren wahren Charakter mit Falschheit zu überdecken, um wie ein moralischer Mensch zu wirken. Elisabeth gaukelt vor, dem Leben zu entsagen, obwohl später deutlich wird, dass sie sich eher an dieses klammert. Die Begriffe „Streit“ (Z. 3142) und „Schuld“ (Z. 3143) könnten in diesem Zusammenhang der Welt des Bruchs, die sich auf der zweiten Ebene des triadischen Modells befindet und der Elisabeth unbestreitbar zugeschrieben ist, zugeordnet werden. Sie legt ihre Situation der Dinge dar: Solle eine Königin glücklich herrschen, müsse die andere sterben, und es liege beim Volk, die bessere zu wählen. Sie habe ihr ganzes Leben lang allein ihrem Volk gedient und sei nun bereit, zurückzutreten, also zu sterben, wenn ihr Volk dies wünsche. Dies ist in einer rhetorischen Frage formuliert, die einmal mehr Elisabeths Heuchelei aufzeigen soll. Schiller spielt hier mit Metaphern und Alliterationen („welche weicht? Mein Volk mag wählen“, Z. 3149). Er benutzt die Metapher „fallen“ (Z. 3146) anstelle des Verbs „sterben“ und lässt mit dieser Beschönigung Elisabeths Aussage positiver erscheinen. Eine weitere Metapher findet sich in Zeile 3149f.: „Mein Volk mag wählen, / Ich geb ihm meine Majestät zurück“. Schiller bezieht sich hierbei auf die absolutistische Monarchie, die das Volk aus der Gesetzlosigkeit führte. Dabei gaben die Menschen ihre Selbstbestimmung ab und unterwarfen sich einem Monarchen, einer Majestät, um dort in der Gemeinschaft Schutz zu finden, wo jeder im Kampf gegen jeden stand. Schiller deutet eine von der Königin initiierte Auflösung dieses Herrschaftsvertrages an, was er durch die Stellung des Wortes, „Ich“ – gemeint ist Elisabeth (Z. 3150) – an den Zeilenanfang verdeutlicht. Doch Elisabeth fügt der Aufforderung an das Volk, sich zu entscheiden, ein für ihre Person sprechendes Argument an: „Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht für mich, / Nur für das Beste meines Volkes gelebt“ (Z. 3151f.).
Immer wieder bekundet die Königin der Briten ihre Bereitschaft, den Anspruch auf den Thron aufzugeben, geht aber schließlich dazu über, Maria Stuart Schmeichelei zu unterstellen: „Hofft es von dieser schmeichlerischen Stuart, / Der jüngern Königin, glücklichere Tage, / So steig ich gern von diesem Thron und kehre / In Woodstocks stille Einsamkeit zurück“ (Z. 3153ff.). Erneut wird Elisabeths Neid auf Maria deutlich, da sie ihrem abwertenden Kommentar eine Apposition15 hinzufügt, die die Jugend und die damit verbundene Schönheit, welche Stuart beliebt bei den Männern macht, beschreibt. Im Folgenden schildert sie ihr Leben in Woodstock, wo sie zur Herrscherin erzogen wurde, wobei deutlich wird, dass ihre Jugend vergangen ist: „Wo meine anspruchslose Jugend lebte, / Wo ich, vom Tand der Erdengröße fern, / Die Hoheit in mir selber fand“ (Z. 3157f.). Auch in dieser Anapher charakterisiert Elisabeth sich möglichst vorteilhaft; da die Figur der Elisabeth jedoch antithetisch zu Maria gedacht ist, wird damit wieder ein Eindruck von Falschheit geschaffen, auch die Verwendung der Wörter „Herz“ (Z. 3161) und „empfinden“ (Z. 3164) tragen dazu bei. Elisabeth führt eine willkürliche Herrschaft mit eiserner Faust, ist also eine „harte Herrscher[in]“ (Z. 3161), eine absolute Monarchin; dies ist nicht mit ihrer Aussage zu vereinen, sie habe ein weiches Herz (vgl. Z. 3161). Wieder benutzt Schiller das Stilmittel der Antithetik für diesen Effekt. Es findet sich außerdem Alliterationen in vielen Worten, z. B. „Hoheit“, „Herrscherin“, „Herrscher“, „hart“ (Z. 3158f.), und es fällt auf, dass sich das Wort „Herrscher“ mehrfach wiederholt. Schließlich sagt Elisabeth: „Ich habe diese Insel lange glücklich / Regiert, weil ich nur brauche zu beglücken“ (Z. 3162f.). Durch Enjambement und Inversion erzeugt Schiller eine Epipher, um die Wörter „glücklich“ und „beglücken“ zu betonen. Elisabeth will klarstellen, sie habe Britannien, hier in der Metapher „Insel“ (Z. 3162) umschrieben, nur Gutes gebracht und es habe nur gute Zeiten gesehen unter ihrer Herrschaft. Nun erst, da Maria ins Land gekommen ist, würde dem Land eine Bürde aufgeladen: „Es kommt die erste schwere Königspflicht, / Und ich empfinde meine Ohnmacht“ (Z. 3164f.). In ihrem letzten Satz, bevor die Königin von ihrem Berater Burleigh unterbrochen wird, betont diese noch einmal ihre Handlungsunfähigkeit. Dass Burleigh als letzter der Berater zu Wort kommt, bevor Elisabeth sich zurückzieht, um das Problem dem „höhern Richter“ (Z. 3187), welches eine Metapher für Gott ist, vorzutragen, könnte von Schiller gewollt sein, um anzudeuten, in welche Richtung sich Elisabeths Entscheidung bewegt. Zwar gibt sie vor, die Entscheidung mit Gottes Hilfe zu treffen, es ist jedoch offensichtlich, u.a. durch die Anspielungen auf ihre Falschheit, dass sie hier ebenfalls nur vorgibt, etwas Moralisches zu tun. Durch den unlösbaren dramatischen Konflikt, in dem sie steht und der bedingt wird durch die konträren Argumentationen ihrer Berater Shrewsbury und Burleigh, ist festgelegt, dass sie auf einer persönlichen Ebene zu einer Entscheidung kommen muss.
Zuvor wurde Shrewsbury als ‚Moralapostel’ dargestellt, an dieser Stelle wird Burleigh als ‚Staatsräson’ charakterisiert. Dieser zieht noch einmal alle Register, um Elisabeth umzustimmen. Er ist hierbei noch sehr viel forscher als Shrewsbury und tadelt sie dafür, dass sie so „unkönigliche Worte“ (Z. 3166) in den Mund nehme, was ihre Schwachheit ausdrücke. Der Königin Schwachheit bedeutet aber ebenso die Schwachheit Englands im Gesamten und deshalb ist Burleigh überzeugt: „So wär’s Verrat an meiner Pflicht, Verrat / Am Vaterlande, länger still zu schweigen“ (Z. 3168f.). Schon mit dieser Anapher wird deutlich, dass Burleigh England über Elisabeth, also die Königin, stellt. Ihm ist der machtpolitische Faktor wichtiger als ein Mensch. Shrewsbury dagegen ist der argumentative Gegenpol, da ihm das Menschliche wichtiger ist als die Macht. Mit einer zweiten Anapher fährt Burleigh fort: „Du sagt, du liebst dein Volk mehr als dich selbst, / Das zeige jetzt! Erwähle nicht den Frieden / Für dich“ (Z. 3170-72). Schiller verbindet eine Anapher mit einer Alliteration, die die Betonung auf das Wort „Du“ und seine abgewandelten Formen legt. Schließlich entwirft Elisabeths Berater eine Vision, gefüllt mit Metaphern, u.a. „Stürme[n]“ (Z. 3172) für Anarchie, die in London bzw. England herrschen würde; „Aberglaube“ (Z. 3174) als Bezeichnung für den Katholizismus und dazu „Legat“ (Z. 3175) als Name für den Papst etc. Er warnt Elisabeth vor den Folgen ihres Zögerns, mahnt, nicht länger zu warten, da sonst Maria Stuarts Glaube, der Katholizismus, England wieder erobern würde. Burleighs Befürchtung wird nicht aus religiösen Gründen geschürt, sondern aus der Angst, England müsse Macht einbüßen, wenn es unter den Einfluss der Kirche gerate. Auch dies charakterisiert ihn als die Staatsräson. Burleigh fährt fort, Elisabeth zu bedrängen: „Die Seelen aller deiner Untertanen, / Ich fordre sie von dir – Wie du jetzt handelst, / Sind sie gerettet oder sind verloren“ (Z. 3178f.). Mit dieser Antithetik wird Elisabeth vor eine Entscheidung gestellt – entweder... oder. Erneut mahnt er Elisabeth, keine Schwäche der Krone zu zeigen: „Hier ist nicht Zeit zu weichlichem Erbarmen, / Des Volkes Wohlfahrt ist die höchste Pflicht; / Hat Shrewsbury das Leben dir gerettet, / So will ich England retten – das ist mehr!“ (Z. 3181ff.). Hier ist Burleighs Standpunkt präzise auf den Punkt gebracht: England und der Machterhalt sind ihm wichtiger als moralisches Handeln, Gerechtigkeit und Menschlichkeit bzw. ein Menschenleben.
Mit diesen Worten Burleighs befiehlt Elisabeth, alleine gelassen zu werden, und gibt vor, beten zu wollen, um Hilfe und Beistand von Gott zu erhalten. Wie bereits erwähnt, wirkt sie jedoch schon entschieden und alles deutet auf eine schnelle Entscheidung hin. Der dramatische Konflikt erfordert eine Entscheidung auf persönlicher Ebene, aufgrund des Hasses und Neides der englischen Königin wird es zu Marias Tod kommen. Elisabeth weist ihren Staatssekretär Davison dazu an, in der Nähe zu bleiben (Z. 3189). Dies zeigt, dass sie nur einige Zeit abwarten und das Urteil dann unterschreiben wird; sie wünscht keine Verzögerung des Ganzen, indem sie auf Davison warten muss. Wie in anderen Szenen sind Schillers Regieanweisungen besonders wichtig, um die wahren Beweggründe oder Positionen von Figuren zu verstehen. Shrewsbury ist nach seiner Rede nicht mehr zu Wort gekommen und seine Stimme wirkt längst vergessen. Schiller ordnet zudem Folgendes an: „(Shrewsbury allein bleibt noch einige Augenblicke vor der Königin stehen mit bedeutungsvollem Blick, dann entfernt er sich langsam, mit einem Ausdruck des tiefsten Schmerzes)“ (Z. 3189ff.). Shrewsbury hofft, Zustimmung im Blick der Königin zu finden, wirkt hoffnungsvoll, muss aber erkennen, dass Elisabeth Burleighs Position eingenommen hat, und so geht er, weil er weiß, dass er sie nicht mehr umstimmen kann und seine Argumente denen von Burleigh nicht nur unterlegen, sondern in dieser Situation auch irrelevant sind.
Es folgt ein Monolog Elisabeths, in dem sie ihrer Wut, die sie in der Beratung zurückhalten musste, freien Lauf lässt und in dem sie ihr falsches Gesicht und ihre Heuchelei ablegt: „O Sklaverei des Volksdiensts! Schmähliche / Knechtschaft – Wie bin ich’s müde, diesem Götzen / Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!“ (Z. 3190f.). In diesem Satz werden alle ihre vorhergegangenen Aussagen aufgehoben und ihre Heuchelei offensichtlich. Schiller benutzt Monologe sowie Regieanweisungen, um das ‚wahre Gesicht’ einer Figur zu offenbaren, so wie hier geschehen. Die Schreckensvisionen, die Shrewsbury und Burleigh mit allen Mitteln versuchen auszumalen, nimmt Elisabeth zwar zur Kenntnis, schenkt diesen jedoch keine Beachtung, da sie schon längst ihr Urteil gefällt, aber noch keine Rechtfertigung gefunden hat.
Die analysierte Szene ist der Wegbereiter für die Handlung im fünften Akt. Nach dem Wendepunkt im dritten Akt ist klar, dass Maria keinen Einfluss mehr auf Elisabeth und deren Urteilsfindung haben wird. Shrewsbury, eine die Handlung retardierende Figur, scheitert ebenfalls in dem Versuch, Elisabeth von einer Verurteilung und schließlich Hinrichtung Marias abzubringen. Somit sind jegliche Hoffnungen auf eine Rettung Marias aufgehoben. Noch im vierten Akt wird deutlich, dass der dramatische Konflikt auf der persönlichen Ebene gelöst werden wird: „Sie entreißt mir den Geliebten, / Den Bräut’gam raubt sie mir! Maria Stuart / Heißt jedes Unglück, das mich niederschlägt! / Ist sie aus den Lebendigen vertilgt, / Frei bin ich, wie die Luft auf den Gebirgen“ (Z. 3234ff.). Elisabeths Eifersucht auf persönlicher Ebene wird ebenso deutlich wie der Neid auf ihren legitimen Thronanspruch und der Hass, den Elisabeth auf Maria hegt: „Ein Bastard bin ich dir? – Unglückliche! / Ich bin es nur, solang du lebst und atmest. / Der Zweifel meiner fürstlichen Geburt, / Er ist getilgt, sobald ich dich vertilge. / Sobald dem Briten keine Wahl mehr bleibt, / Bin ich im echten Ehebett geboren!“ (Z. 3243ff.).
Der vierte Akt, in dem sich die analysierte Szene befindet, ist Elisabeth gewidmet. Schiller entlehnt nicht nur den pyramidalen Aufbau des antiken Dramas, sondern auch die Symmetrie dessen. Während Maria in der Exposition des Dramas vorgestellt wird, ‚gehört’ Elisabeth der zweite Akt, beide treffen sich im dritten Akt, was zum Höhe- und Wendepunkt wird; der vierte und fünfte Akt zeigen die beiden Figuren und ihre Veränderungen nach dem Königinnenstreit. Schiller macht deutlich, dass Elisabeth sich auf der zweiten Ebene des triadischen Modells in einer Welt des Bruchs bewegt, die Figur der Maria jedoch wird in der Katastrophe bzw. durch die Katastrophe auf die dritte Stufe erhoben und erreicht moralische Independenz. Sie hat alles an weltlichem Kummer und Schmerz erlitten, was ein Mensch ertragen kann, und ist so in der Lage, dem Leben zu entsagen. Diese Handlung ist laut Schiller sogar zwingend, wie man seiner Abhandlung Über das Pathetische entnehmen kann. Vom Menschen wird ein moralischer Widerstand gegen das Leiden erwartet, denn erst dadurch wird er frei. Maria kämpft gegen den Tod, geht schließlich ‚freiwillig’ auf das Schafott und beweist so, dass sie sich im Prozess des Leidens von den irdischen Gefühlen und Konventionen lossagt und als ideales Vernunftwesen stirbt. Der neunte Auftritt im vierten Aufzug ist das retardierende Moment der fallenden Spannung, da Shrewsbury, der durch seine Verpflichtung gegenüber der Moral und Gerechtigkeit und seinen Wertevorstellungen Marias Hinrichtung ablehnt und dadurch retardierend die Handlung beeinflusst, versucht, Elisabeth umzustimmen und Argumente gegen das Todesurteil zu finden. Nach der Szene wird durch den Monolog Elisabeths offensichtlich gemacht, dass es zu der Hinrichtung kommen wird; die Spannung fällt weiter und geht im fünften Akt in die besagte Katastrophe über.