Versepos: Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput 7 / VII (1844)
Autor/in: Heinrich HeineEpoche: Vormärz / Junges Deutschland
Strophen: 29, Verse: 116
Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-4, 4-4, 5-4, 6-4, 7-4, 8-4, 9-4, 10-4, 11-4, 12-4, 13-4, 14-4, 15-4, 16-4, 17-4, 18-4, 19-4, 20-4, 21-4, 22-4, 23-4, 24-4, 25-4, 26-4, 27-4, 28-4, 29-4
Ich ging nach Haus und schlief, als ob | ||
Die Engel gewiegt mich hätten. | ||
Man ruht in deutschen Betten so weich, | ||
Denn das sind Federbetten. | ||
Wie sehnt ich mich oft nach der Süßigkeit | ||
Des vaterländischen Pfühles, | ||
Wenn ich auf harten Matratzen lag, | ||
In der schlaflosen Nacht des Exiles! | ||
Man schläft sehr gut und träumt auch gut | ||
In unseren Federbetten. | ||
Hier fühlt die deutsche Seele sich frei | ||
Von allen Erdenketten. | ||
Sie fühlt sich frei und schwingt sich empor | ||
Zu den höchsten Himmelsräumen. | ||
O deutsche Seele, wie stolz ist dein Flug | ||
In deinen nächtlichen Träumen! | ||
Die Götter erbleichen, wenn du nahst! | ||
Du hast auf deinen Wegen | ||
Gar manches Sternlein ausgeputzt | ||
Mit deinen Flügelschlägen! | ||
Franzosen und Russen gehört das Land, | ||
Das Meer gehört den Briten, | ||
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums | ||
Die Herrschaft unbestritten. | ||
Hier üben wir die Hegemonie, | ||
Hier sind wir unzerstückelt; | ||
Die andern Völker haben sich | ||
Auf platter Erde entwickelt. – – | ||
Und als ich einschlief, da träumte mir, | ||
Ich schlenderte wieder im hellen | ||
Mondschein die hallenden Straßen entlang, | ||
In dem altertümlichen Köllen. | ||
Und hinter mir ging wieder einher | ||
Mein schwarzer, vermummter Begleiter. | ||
Ich war so müde, mir brachen die Knie, | ||
Doch immer gingen wir weiter. | ||
Wir gingen weiter. Mein Herz in der Brust | ||
War klaffend aufgeschnitten, | ||
Und aus der Herzenswunde hervor | ||
Die roten Tropfen glitten. | ||
Ich tauchte manchmal die Finger hinein, | ||
Und manchmal ist es geschehen, | ||
Daß ich die Haustürpfosten bestrich | ||
Mit dem Blut im Vorübergehen. | ||
Und jedesmal, wenn ich ein Haus | ||
Bezeichnet in solcher Weise, | ||
Ein Sterbeglöckchen erscholl fernher, | ||
Wehmütig wimmernd und leise. | ||
Am Himmel aber erblich der Mond, | ||
Er wurde immer trüber; | ||
Gleich schwarzen Rossen jagten an ihm | ||
Die wilden Wolken vorüber. | ||
Und immer ging hinter mir einher | ||
Mit seinem verborgenen Beile | ||
Die dunkle Gestalt – so wanderten wir | ||
Wohl eine gute Weile. | ||
Wir gehen und gehen, bis wir zuletzt | ||
Wieder zum Domplatz gelangen; | ||
Weit offen standen die Pforten dort, | ||
Wir sind hineingegangen. | ||
Es herrschte im ungeheuren Raum | ||
Nur Tod und Nacht und Schweigen; | ||
Es brannten Ampeln hie und da, | ||
Um die Dunkelheit recht zu zeigen. | ||
Ich wandelte lange den Pfeilern entlang | ||
Und hörte nur die Tritte | ||
Von meinem Begleiter, er folgte mir | ||
Auch hier bei jedem Schritte. | ||
Wir kamen endlich zu einem Ort, | ||
Wo funkelnde Kerzenhelle | ||
Und blitzendes Gold und Edelstein; | ||
Das war die Drei-Königs-Kapelle. | ||
Die Heil'gen Drei Könige jedoch, | ||
Die sonst so still dort lagen, | ||
O Wunder! sie saßen aufrecht jetzt | ||
Auf ihren Sarkophagen. | ||
Drei Totengerippe, phantastisch geputzt, | ||
Mit Kronen auf den elenden | ||
Vergilbten Schädeln, sie trugen auch | ||
Das Zepter in knöchernen Händen. | ||
Wie Hampelmänner bewegten sie | ||
Die längstverstorbenen Knochen; | ||
Die haben nach Moder und zugleich | ||
Nach Weihrauchduft gerochen. | ||
Der eine bewegte sogar den Mund | ||
Und hielt eine Rede, sehr lange; | ||
Er setzte mir auseinander, warum | ||
Er meinen Respekt verlange. | ||
Zuerst weil er ein Toter sei, | ||
Und zweitens weil er ein König, | ||
Und drittens weil er ein Heil'ger sei – | ||
Das alles rührte mich wenig. | ||
Ich gab ihm zur Antwort lachenden Muts: | ||
»Vergebens ist deine Bemühung! | ||
Ich sehe, daß du der Vergangenheit | ||
Gehörst in jeder Beziehung. | ||
Fort! fort von hier! im tiefen Grab | ||
Ist eure natürliche Stelle. | ||
Das Leben nimmt jetzt in Beschlag | ||
Die Schätze dieser Kapelle. | ||
Der Zukunft fröhliche Kavallerie | ||
Soll hier im Dome hausen, | ||
Und weicht ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt | ||
Und laß euch mit Kolben lausen!« | ||
So sprach ich, und ich drehte mich um, | ||
Da sah ich furchtbar blinken | ||
Des stummen Begleiters furchtbares Beil – | ||
Und er verstand mein Winken. | ||
Er nahte sich, und mit dem Beil | ||
Zerschmetterte er die armen | ||
Skelette des Aberglaubens, er schlug | ||
Sie nieder ohn' Erbarmen. | ||
Es dröhnte der Hiebe Widerhall | ||
Aus allen Gewölben, entsetzlich! – | ||
Blutströme schossen aus meiner Brust, | ||
Und ich erwachte plötzlich. |