Drama: Maria Stuart (1783-1799)
Autor/in: Friedrich SchillerEpoche: Weimarer Klassik
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Jeder Mensch hatte schon missliche Lagen zu überstehen, sei es, dass eine wichtige Entscheidung gefällt oder eine schwere Lebenskrise überwunden werden musste. In genau solch einer Lage befindet sich die Königin Elisabeth von England im IV. Akt, 10.Auftritt des Klassischen Dramas „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller. Diese muss über ein Todesurteil entscheiden, obwohl sie nicht beurteilen kann, ob dieses richtig oder falsch ist.
Vor dieser Szene wird Königin Elisabeth immer wieder gedrängt, das Todesurteil ihrer Gefangenen Maria Stuart, die vermeintlich an einem Todeskomplott gegen die Monarchin beteiligt ist und immer wieder versuche, Englands Macht an sich zu reißen, zu unterzeichnen. Darüber hinaus wurde die Herrscherin bei einem Zusammentreffen mit Maria Stuart beleidigt und kurz darauf sogar ein Attentat auf sie verübt, was den Druck auf Elisabeth, das Todesurteil zu bewilligen, immens steigert. In dieser Situation setzt der Auftritt 10 ein, in dem Elisabeth in einem Monolog alleine versucht, eine Entscheidung zu treffen. Der 10. Auftritt des IV. Aktes ist somit das retardierende Moment, weil dort noch einmal die Hoffnung auf einen gerechtfertigten Freispruch Maria Stuarts aufkommt. Die Szene beginnt mit einer Beschwerde Elisabeths, dass sie sich immer nach den Wünschen des Volkes richten muss und nicht selber frei sein kann. Die Königin rügt sich auch selber, da sie meint, dass ihre Wertevorstellung von Gerechtigkeit einem Leben ohne Gefahr, die zum Beispiel von Maria Stuart ausgeht, im Weg steht, denn sie hätte die Ursache der Bedrohung, in diesem Fall Maria Stuart, einfach willkürlich auslöschen können. Zudem stellt sich Elisabeth als Person dar, die von Gefahren, wie den Angriffen der Spanier oder dem römisch-katholischen Papst, nur so umgeben ist. Nach dieser Schilderung der Bedrohungen bricht Elisabeth ihren Redefluss ab und widmet sich der aktuellen Gefahr, nämlich Maria Stuart. Die Königin fällt abrupt eine von Emotionen gelenkte Entscheidung, die vermeintlich nach der Macht der Königin strebende Gefangene hinrichten zu lassen, damit die Herrscherin von England wieder ohne Sorge und vor allem ohne diese Person leben kann, die sie auf das Übelste beleidigt hat. Nachdem Elisabeth die letzten Zweifel an diesem Urteil vertreibt, indem sie sich selbst anstachelt und Maria Stuart als schrecklichste Feindin darstellt, unterschreibt die Königin das Todesurteil, erschrickt aber kurz darauf vor ihrer Tat. Damit endet der Auftritt, doch nach der Vollstreckung versucht Elisabeth, die Schuld von sich zu weisen mit der Begründung, dass sie zwar das Todesurteil unterzeichnet, aber noch nicht weitergegeben hat. Neben diesen inhaltlichen lassen sich auch noch die sprachlichen Aspekte herausarbeiten.
Anhand der stilistischen Mittel, die Schiller in diesem Auftritt verwendet, kann man deutlich erkennen, dass er damit inhaltliche Aussage verstärken will. So wird durch viele Ausrufe, wie zum Beispiel „O Sklaverei des Volksdiensts“ (V. 3190), ausgedrückt, wie belastend das Königinnenamt und die damit verbundene Pflicht, dem Volk zu gefallen, ist. Zudem wird diese Einschätzung mit der Inversion „einem Pöbel muss ich´s Recht machen“ (V. 3195) gezeigt, was nochmals die Abneigung Elisabeths gegenüber dieser Pflicht symbolisiert. Außerdem verdeutlicht die Personifikation „der Welt gefallen“ (V. 3197 f.) wiederum den Druck durch das Volk, der auf Elisabeth liegt. Darüber hinaus stellt Schiller durch rhetorische Mittel dar, wie sehr die Königin ihre Wertevorstellung von Gerechtigkeit als Problem und auch Ursache ihrer misslichen Lage sieht. So wird dies verdeutlicht durch die Personifikation „Das Muster […] verdammt mich!“ (V. 3204) und die rhetorische Frage „Warum habe ich Gerechtigkeit geübt“ (V. 3800). Aber nicht nur diese Funktionen erfüllen die stilistischen Mittel, sondern auch, dass Elisabeth als eine von Gefahren umzingelte Person dargestellt wird. Dies wird besonders durch die Aufzählun g „röm´sche Papst […] Frankreich […] Spanier […]“ (V. 3221) ausgedrückt, die verdeutlicht, von wie vielen Personen Elisabeth bedroht wird. Ein weiteres rhetorisches Mittel dieser Funktion ist die Übertreibung „wehrlos Weib“ (V. 3221). Dadurch lässt Schiller Elisabeth als eine von allen Helfern und Beschützern verlassene Frau erscheinen, was sie natürlich als Königin von England nicht ist. Besonders eine Gefahr, nämlich Maria Stuart, wird dabei herausgestellt, beispielsweise mit der Paraphrase „ewig drohendes Gespenst“ (V. 3227). Gleichzeitig wird aber auch die Heftigkeit und Abruptheit der Entscheidung, Maria hinrichten zu lassen, durch die kurzen, abgehackten Sätze „Ihr Haupt soll fallen. Ich will Frieden!“ (V. 3229) verstärkt. Vor allem aber drückt Elisabeth durch mehrere stilistische Mittel ihre Abneigung gegenüber Maria Stuart aus. Dazu verwendet sie die Metapher „Höllenschlange“ (V. 3233), mit der sie Maria bezeichnet und die ihre tiefe Feindschaft deutlich zeigt. Doch dabei bleibt es nicht, sondern Elisabeth offenbart ihre Aversion noch mehr, indem sie aufzeigt, wie glücklich und frei sie wäre, wenn Maria Stuart „aus den Lebendigen vertilgt“ (V. 3237) werden würde. Dies wird durch den Vergleich „wie die Luft auf den Bergen“ (V. 3238), was die grenzenlose Freiheit Elisabeths symbolisiert, ausgedrückt. Ihren Zorn auf Maria verdeutlicht jene auch noch besonders durch die rhetorische Frage „Ein Bastard bin ich dir?“ (V. 3243). Um eine vollständige Analyse dieses Abschnitts des Dramas durchzuführen, muss dieser zudem interpretiert werden.
Dazu eignet sich der Charakter Elisabeths, den Schiller deutlich in diesem Auftritt zeigt. Zu Beginn der Szene wird vor allem die Abneigung gegenüber ihrem Amt dargestellt. Es wird deutlich, dass das Königinnendasein für sie eher Last als Freude oder gewünschte Herausforderung ist. Sie nennt ihre Pflicht „Sklaverei des Volksdiensts!“ (V. 3190) und wünscht Freiheit bei ihren Entscheidungen und ihrer Regentschaft . Vor allem betont sie, wie anstrengend der Zwang, „um das Lob Der Menge buhlen“ (V. 3195), ist und beschreibt, dass ein wahrer Herrscher unabhängig ist (vgl. V. 3198 f.). Hiermit zeigt sie ihre Abneigung gegenüber den Zwängen ihrer Regentschaft und damit ihren Charakter sehr deutlich. Gleichzeitig führen diese Äußerungen zu einem neuen Aspekt von Elisabeths Charakter, nämlich der Abneigung gegenüber dem Volk selbst. Nicht nur durch die gerade eben genannte Pflicht, die Wünsche der Bevölkerung zu beachten, sondern besonders durch ihre abfällige Wortwahl, mit der sie die Untertanen bezeichnet (vgl. „Pöbel“, „Gaukler“ (V. 3195)), wird deutlich, wie sehr Elisabeth ihr eigenes Volk verachtet. Ihr Charakter wird aber auch durch das Verlangen nach Freiheit geprägt. Denn wegen all dieser Pflichten ihres Amtes strebt sie natürlich nach etwas Freizeit und vor allem Unabhängigkeit (vgl. V. 3199). Elisabeth hat aber auch einen Charakter voll von Selbstmitleid. So beschreibt sie ihre Lage dramatisch ausweglos und übertrieben misslich (V. 3204). Besonders stellt sie sich selber als bedroht (vgl. V. 3216 ff.) und als ein „wehrlos Weib“ (V. 3221) dar, womit sie ausdrücken will, wie schlecht es ihr geht und wie ausweglos ihre Lage ist. Dies zeigt auf, dass Elisabeth sehr von Selbstmitleid geprägt ist. Ein weiterer Teil ihres komplexen Charakters ist, dass sie gegenüber sich selbst sehr nachtragend ist und den falschen Entscheidungen nachweint (vgl. V. 3206). Dies trägt auch dazu bei, Elisabeths Charakter als eine von Selbstzweifeln geprägte Person anzusehen. Vor allem aber im letzten Abschnitt des Auftritts wird eine Charaktereigenschaft der Königin deutlich. Dort wechselt sie, nachdem sie über komplett andere Themen nachgedacht hat, zu einem neuen Thema, nämlich dem Todesurteil der Maria Stuart, und fällt gleich darauf ohne großes Überlegen die von Emotionen geleitete Entscheidung, Maria hinrichten zu lassen (vgl. V. 3228 ff.). Dies zeigt die durch Unüberlegtheit und nicht rational durchdachte Entschlüsse geprägte Entscheidungsfähigkeit Elisabeths. Sie lässt sich eher von Emotionen und schnellen Ideen leiten, die, wie man anhand des Handlungsverlaufes sehen kann, meist falsch sind.
Wenn man sich also, um an die Einleitung anzuknüpfen, in einer misslichen Lage wie Elisabeth befindet, sollte man nicht schnell überlegte Entscheidungen treffen, sondern abwägen, sich rational dem Problem nähern und erst dann ein Urteil fällen, das für alle Beteiligten das beste und vor allem das gerechteste ist. Durch dieses überlegte Vorgehen können vorschnelle und nicht wieder gut zu machende Urteile vermieden werden, sodass einem nicht das wiederfährt, was Maria Stuart erleben musste, die wegen einer unüberlegten Entscheidung hingerichtet wurde.