Drama: Maria Stuart (1783-1799)
Autor/in: Friedrich SchillerEpoche: Weimarer Klassik
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
„Eine edle Seele erträgt so wenig anhaltende moralische Dissonanzen, als das Ohr das Gekritzel eines Messers auf Glas“, formuliert Friedrich von Schiller über sein Konzept der schönen Seele. In einer schönen Seele harmonieren Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung, sodass das Vernunftwesen und das Naturwesen des Menschen miteinander harmonieren. Sein Konzept der „schönen Seele“ setzt Friedrich Schiller in dem Drama „Maria Stuart“, welches 1800 uraufgeführt wurde, um. Die schottische Königin Maria Stuart wird von der englischen Königin Elisabeth gefangen gehalten, da diese in Maria eine Gefahr sieht, weshalb Maria Stuart schließlich zum Tode geführt wird. In der Szene II, 9 reden Elisabeth und der Graf von Leicester, Robert Dudley, über die bevorstehende Vermählung Elisabeths mit einem Franzosen.
Die Szene ist Teil der steigenden Handlung, in der die dramatische Handlung in Gang gesetzt wird. Zuvor, in den Szenen II, 1-2, erfährt man von den Heiratsplänen Elisabeths mit dem französischen Thronfolger, welche allerdings kein Interesse an einer Heirat zeigt. Nach einer Diskussion über Maria Stuart mit ihren Beratern und einem privaten Gespräch mit Mortimer, den sie beauftragt Maria zu ermorden, unterhält sich Elisabeth mit Leicester in einem Dialog über ihre Vermählung. Die Szene folgt auf das Zusammentreffen der Königinnen, wodurch die tragische Handlung zur Perpetrie geleitet wird.
So lässt sich der Dialog in vier Handlungsschritte unterteile. Zunächst (V. 1945–1974) reagiert Leicester sichtlich erschrocken über Elisabeths Erscheinen, da er zuvor Mortimer seine Liebe zu Maria gebeichtet hat. Dennoch ist er in der Lage das Thema zu wechseln, als er Elisabeth mit ihrer Schönheit schmeichelt und erklärt, dass ihm die anstehende Heirat zusetzt. Doch auch Elisabeth ist gegen die Heirat, da sie lieber nach Liebe heiraten will. Daraufhin (V. 1975-1999) äußert sie ihre Eifersucht gegenüber Maria, die ohne Rücksicht auf ihre königliche Rolle Männer mit ihrer angeblichen Schönheit verführt. Um seine Bindung zu Elisabeth zu verstärken, überzeugt Leicester Elisabeth von ihrer Überlegenheit gegenüber Maria (vgl. V. 2000-2036), indem er ihr schmeichelt, da Marias Schönheit nicht mit der englischen Königin mithalten kann. Leicester nutzt diese Gelegenheit aus die Königin zu einem Treffen mit Maria zu drängen (V. 2037-2050), um ihr noch am selben Tag gegenübertreten zu können. Elisabeth zögert, da sie sich vorher mit Burleigh beraten will, jedoch lässt Leicester nicht locker und behauptet, dass bei einem Treffen Vorteile für sie entstehen würden, da sich die Begegnung mit Maria für die Öffentlichkeit als großmütige Tat der englischen Königin verkaufen lasse. Schließlich willigt Elisabeth ein, wenn auch nicht wirklich überzeugt, da sie der Meinung ist Leicester dies zu schulden.
Elisabeth findet Leicester direkt nach seinem Treffen mit Mortimer vor, in dem sie über Elisabeths Feindin Maria Stuart gesprochen haben, weshalb er „sich auf ihre Rede schnell und erschrocken“ (V. 1946f) umwendet. Elisabeth ist über seine Betroffenheit sichtlich verwundert, „Was ist euch Lord? So ganz betreten?“ (V. 1948f). Leicester „fasst sich“ (V. 1948) schnell und verbirgt seine Verwirrung um ihr plötzliches Auftreten indem er Elisabeths Schönheit schmeichelt, „Geblendet steh ich da von deiner Schönheit.“ (V. 1950). Elisabeth, die immer noch nicht ganz überzeugt davon ist, entgegnet ihm mit kurzen und knappen Fragesätzen (vgl. V. 1952 V. 1953). Es wird deutlich, dass Leicester Elisabeth liebt. Seinen Schmerz, den er durch die anstehende Vermählung Elisabeths fühlt, beschreibt er als „namenlose[n] Schmerz des drohenden Verlustes“ (V. 1952f), was eine Metapher1 darstellt. Die Liebe, die er für sie empfindet betont er durch eine Antithese, „Wärst du die ärmste Hirtin, Ich als der größte Fürst der Welt geboren, zu deinem Stand würd ich heruntersteigen, mein Diadem zu deinen Füßen legen“ (V. 1964ff). Dabei benutzt er den Konjunktiv, da es sich um eine ausgedachte Situation handelt, jedoch wird deutlich, dass seine Liebe jedes Hindernis, in diesem Fall Standesunterschiede, überwinden kann. Elisabeth entgegnet ihm rechtfertigend, da sie ihr „Herz nicht fragen“ (V. 1969) darf und die Heirat mit dem französischen Thronfolger eigentlich nicht will. Sie beneidet „andre Weiber, die das erhöhen dürfen, was sie lieben“ (V. 1970f), weshalb sie kurz darauf auf das Thema Maria Stuart zu sprechen kommt. Leicester fängt an nur noch zuzuhören und kurze Sätze zwischenzuwerfen, während sich Elisabeth eifersüchtig über Maria beschwert. Sie behauptet, dass sie „den vollen Kelch der Freude ausgetrunken“ (V. 1977) hat, da alle Männer ihrer Gunst verfallen sind (vgl. V. 1985) und sie nicht auf die Meinung ihres Volkes gehört hat (vgl. V. 1779), weshalb Leicester hinzufügt, dass sie nun in ihrem Gefängnis „den bittern Kelch des Leidens“ (V. 1978) trinkt. Als Elisabeth anspricht fragt, ob es „denn wirklich wahr [ist], dass [Maria] so schön ist“ (V. 1995), nutzt Leicester die Gelegenheit aus, um ihr weiter zu schmeicheln. Er vergleicht ihre Schönheit mit der von Maria und erklärt ihr, dass sie durch ihre Schönheit einen "ganzen [Sieg] genießen" (V. 2005f) kann. Als Elisabeth kurz erwähnt, dass Maria "die jüngere an Jahren" (V. 2012) ist, meint Leicester, dass man es ihr nicht ansieht (vgl. V. 2013). Elisabeths Überlegenheit verdeutlicht er durch die Antithese "Sie hat des Lebens schöne Hoffnung hinter sich, dich sähe sie dem Glück entgegenschreiten!" (V. 2016ff). Daraufhin erwähnt Elisabeth "nachlässig hinwerfend" (V. 2023), dass sie schon aufgefordert würde, Maria zu treffen (vgl. V. 2024). Leicester, der das Gespräch nun "lebhaft" (V. 2025) weiterführt, da er insgeheim ein Treffen zwischen Elisabeth und Maria arrangieren will, lässt ein Treffen attraktiver wirken. Dies erreicht er mit vielen verschiedenen sprachlichen Mitteln, wie Antithesen2, "Sie fordert's als eine Gunst, Gewähr es ihr als Strafe!" (V. 2023f), Vergleichen, „Dadurch ermordest du sie, wie sie dich ermorden wollte“ (V. 2028f)und „Hast du umstrahlt, wie eine Lichterscheinung“ (V. 2039), sowie Verben vom Wortfeld Tod, also peinigen, auslöschen und ermorden (vgl. V. 2026ff). Diese sprachlichen Mittel stellen das Verhältnis von Elisabeth zu Maria dar. Leicester drängt Elisabeth regelrecht zu einem sofortigen Treffen, indem er das Wort "jetzt" (V. 2038 V. 2041) wiederholt und eine Hyperbel3, "du findest keine schönre Stunde" (V. 2042) verwendet. Elisabeth reagiert darauf schon fast panisch, da sie das Wort "nein" (V. 2043f) wiederholt und das Treffen vorher noch "mit Burleigh" (V. 2044) besprechen will. Trotzdem fällt er ihr weiterhin "lebhaft" (V. 2045) ein, da Burleigh nur an "Staatsvorteile" (V. 2045) denkt und das Volk sowieso will, dass die Königinnen sich treffen (vgl. V. 2048ff). Elisabeth protestiert noch, da es ihr „nicht wohlanständig wär […] die Verwandte im Mangel und in Schmach zu sehn“ (V. 2053), sodass Leicester nun zu einem Schluss kommt und über die anstehende Jagd berichtet, die zufälligerweise an Fotheringhay, Marias Gefängnis vorbeiführt (vgl. V. 2058ff). Er lässt ihr die freie Wahl, ob sie Maria treffen will oder nicht (vgl. 2061ff), aber bestärkt seine eigene Seite, dass die Königinnen sich treffen sollen, noch einmal, „Hör meinen Rat“ (V. 2059). Elisabeth beendet das Gespräch mit einer Antithese, „Begeh ich eine Torheit, so ist es Eure, Leicester, nicht die meine.“ (V. 2065f). Es wird deutlich, dass sie auf seine Forderung eingeht, da sie ihm „heute keinen versagen“ (V. 2057) will und ihn „zärtlich“ (V. 2069) ansieht. Die Szene endet damit, dass Leicester „zu ihren Füßen“ (V. 2073) stürzt, was er vermutlich aus Dankbarkeit macht, da sie ihm in seine Hände gespielt hat.
In dieser Szene werden mehrere innere Konflikte Elisabeths deutlich. Durch ihre königlichen Pflichten ist Elisabeth dazu gezwungen den französischen Thronfolger zu heiraten, obwohl sie dies eigentlich gar nicht will (vgl. V. 1968ff). Sie ist also durch ihre Rolle als Königin dazu gezwungen ihr Naturwesen zu unterdrücken. Durch diese Tatsache entwickelt sie Neid gegenüber anderen Frauen, vor allem gegenüber ihrer Feindin Maria Stuart, welcher es, im Gegensatz zu ihr, vergönnt war „die Hand nach ihrer Neigung zu verschenken“ (V. 1975). Ein weiterer Konflikt, welcher auch durch ihre Königinnenrolle entsteht, ist ein Treffen mit Maria. Als Leicester sie darauf anspricht, will sie sich mit Burleigh besprechen (vgl. V. 2044f), was verdeutlicht, dass sie bei politischen Ereignissen ihre eigenen Gefühle nicht beachten darf und auf das Volk und ihre Berater hören muss. Diese inneren Konflikte werden auch im vierten Aufzug, zehnter Auftritt deutlich. Elisabeth hält da einen Monolog, in dem sie sich entscheidet, ob sie Marias Todesurteil unterschreibt oder nicht. Sie beklagt sich über ihre Unfreiheit, da sie immer auf das Volk hören und anderen schmeicheln muss nur um ihrer Rolle gerecht zu werden (vgl. V. 3190ff). Auch beschwert sie sich um die Ungerechtigkeit, die sie erleiden muss, da „eine Welt“ (V. 3220) sie vom Thron stürzen will, weshalb sie wie sooft auf das Thema Maria Stuart kommt. Erneut wird deutlich, dass sie Neid und Hass gegenüber ihrer Verwandten empfindet, vor allem da die meiste politische Last durch ihren Aufenthalt in England entsteht. Kurzerhand entscheidet Elisabeth ihrem Naturwesen freien Lauf zu lassen, was nicht dem Ideal ihrer Rolle entspricht, und unterschreibt Marias Todesurteil ohne dabei auf mögliche Folgen einzugehen. Dass sie die Verantwortung für ihr Handeln nicht übernehmen will, wird im darauffolgenden Auftritt deutlich, da sie das Urteil ihrem Staatssekretär Davison zur Aufbewahrung gibt, ohne ihm konkret zu sagen, was er damit tun soll.
Schillers Konzept der Schönen Seele, in welcher das Vernunftwesen und das Naturwesen des Menschen miteinander harmonieren, wird bei mehreren Charakteren in diesem Drama dargestellt. Elisabeth, die mit vielen inneren Konflikten zu kämpfen hat, erfüllt dabei die Rolle einer Person ohne schöner Seele, da sie ihre beiden Wesen nicht in Übereinstimmung bringen kann.