Drama: Maria Stuart (1783-1799)
Autor/in: Friedrich SchillerEpoche: Weimarer Klassik
Die Szene 3.4 gilt als Kulminationspunkt (Wendepunkt oder Höhepunkt) im Trauerspiel „Maria Stuart“
Die Szene 3.4 gilt als Kulminationspunkt (Wendepunkt oder Höhepunkt) im Trauerspiel „Maria Stuart“
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Szenen-Analyse und Interpretation
Das Drama „Maria Stuart“ wurde 1800 von Friedrich Schiller zur Epoche der Klassik verfasst und handelt von dem Machtkampf zweier Frauen.
Die zu analysierende Szene 3.4 beinhaltet den Dialog zwischen den beiden Königinnen, der den Höhepunkt des Dramas widerspiegelt und in dem beide Frauen unterschiedliche Ziele haben und verfolgen. Maria, die als Elisabeths Gefangene im Kerker sitzt, hat das Ziel Elisabeth durch geschickte Rhetorik und Schmeicheleien von ihrer Freilassung zu überzeugen. Elisabeths Ziel dagegen ist, in der Erwartung die schönere und überlegene Frau zu sein, Maria größtmöglich zu demütigen.
Der Szene vorausgegangen ist der unerwartete Freigang Marias, die zu Schloss Fotheringhay gefangen gehalten wird, in den sie den ersten Schritt zu ihrer Freilassung interpretiert, obwohl kurz zuvor das Todesurteil über sie ausgesprochen wurde. Nach diesem Dialog, der in einem heftigen Streitgespräch zwischen den beiden Königinnen endet, ist Marias Todesurteil jedoch besiegelt, was sie auch selbst so anerkennen muss.
Anhand der Frage, warum Maria es nicht schafft, Elisabeth für sich zu gewinnen, werde ich den folgenden Auftritt analysieren.
Maria, die zuvor häufig die persönliche Begegnung zwischen ihr und Elisabeth gefordert hat, geht mit gemischten Gefühlen in dieses Gespräch, da sie erst kurz zuvor über die Begegnung mit Elisabeth informiert wurde und somit von ihren Gefühlen übermannt wird (vgl. Z. 2246-2249: „Fahr hin, ohnmächt’ger Stolz der edlen Seele! Ich will vergessen, wer ich bin und was Ich litt, ich will vor ihr mich niederwerfen, Die mich in diese Schmach herunterstieß“). Die Beziehung zwischen den beiden Figuren ist keineswegs einfach, da Maria von Elisabeth schon für lange Zeit gefangen gehalten wird, für ein Verbrechen, welches sie in Schottland begangen hat. Der eigentliche Grund für ihre Gefangenschaft ist jedoch der politische Konflikt zwischen Maria und Elisabeth, die in direkter Blutsverwandtschaft stehen. Elisabeth wird als uneheliches Kind von der katholischen Kirche nicht als wahre Thronfolgerin Englands anerkannt. Aus diesem Grund hegt Maria, Königin von Schottland, schon seit längerer Zeit den Anspruch auf den englischen Thron. Somit ist das Verhältnis der beiden Figuren von vornherein durch eine tiefe Abneigung und Hass gekennzeichnet.
Maria versucht zunächst, Elisabeth mittels ihrer Rhetorik und durch Schmeicheleien umzustimmen (V. 2250-2251: „Der Himmel hat für euch entschieden, Schwester! Gekrönt vom Sieg ist euer glücklich Haupt“), indem sie an die Schwester in Elisabeth appelliert, sich aber gleichzeitig unterschwellig auf eine Höhe mit ihr stellt, da sie sie mit Schwester anredet. Elisabeth hingegen geht mit ganz anderen Absichten in dieses Gespräch, in dem sie Maria durch ihre Überheblichkeit und Beleidigungen provoziert (V. 2328-2330: „Mein guter Stern bewahrte mich davor, Die Natter an den Busen mir zu legen. – Nicht die Geschicke, Euer schwarzes Herz“), bis die angestaute Wut aus Maria herausplatzt, da sie zwecklos ihr gesamtes Herzblut in die Unterwürfigkeit gegenüber Elisabeth gelegt hat. Somit kippt Marias Position und aus dem anfänglichen Dialog entwickelt sich ein heftiges Streitgespräch, welches von gegenseitigem Hass und Beleidigungen gekennzeichnet ist.
Maria hat in dem Dialog die deutlich höheren Gesprächsanteile, da sie anfangs sehr lange auf Elisabeth einredet und ihr zu schmeicheln versucht, da sie sich aus dem Gespräch einen positiven Ausgang für sich erhofft. Elisabeths Gesprächsanteile sind dagegen viel geringer, da sie zunächst kühl und abweisend auf Maria reagiert und sie deutlich weniger aus dem Gespräch erhofft, Für Elisabeth steht die größtmögliche Demütigung Marias im Vordergrund, da sie in das Gespräch mit der durch Leicesters geweckten Erwartung geht eine gebrochene Maria vorzufinden, die sie mit ihrem Stolz und ihrer Schönheit übertrifft.
Zum Anfang der Szene wird Elisabeths Enttäuschung über Marias Zustand deutlich (V. 2241-2244: „Wer war es denn, der eine Tiefgebeugte Mir angekündigt? Eine Stolze find ich. Vom Unglück keineswegs geschmeidigt“). Man erfährt hier, dass Elisabeths Erwartungen an das Bild von Maria sich von der Realität deutlich unterscheiden und dass sie enttäuscht über Leicester ist, der diese Erwartungshaltung in ihr geweckt hatte. In dem darauffolgenden Monolog Marias wird noch einmal der Konflikt in ihr zwischen dem Hass auf Elisabeth und der Hoffnung auf eine Freilassung deutlich (V. 2246-2249: „Fahr hin, ohnmächt’ger Stolz der edeln Seele! Ich will vergessen, wer ich bin und was Ich litt, ich will vor ihr mich niederwerfen, Die mich in diese Schmach herunterstieß.“). Daraufhin wendet sie sich an Elisabeth und unterwirft sich ihr physisch (Regieanweisung: (Sie fällt vor ihr nieder)), sowie emotional und versucht Elisabeths Nähe zu gewinnen und ihr zu schmeicheln, indem sein positiv konnotierte Adjektive benutzt (V. 2251: „… glücklich Haupt,“; V. 2253: „…edelmütig, Schwester“) und an die „Schwester“ in Elisabeth appelliert (V. 2253: „Doch seid auch Ihr nun edelmütig, Schwester!“).
Elisabeth reagiert darauf distanziert, was durch die Regieanweisung (S. 65: „(zurücktretend)“) und die Anrede an Maria deutlich wird, welche sie (V. 2257: „Lady Stuart“) nennt.
Daraufhin versucht Maria durch flehende Worte Elisabeths Distanz zu brechen. Durch Interjektionen1 und Ausrufe verdeutlicht der Autor Marias Emotionalität und ihre flehentlichen Worte werden unterstützt (V. 2268: „…O Gott im Himmel!“). Dieser Ausruf an Gott in Verbindung mit der Interjektion verdeutlicht ihre starke Emotionalität, die durch die Personifikation2 in Zeile 2277 an Lebendigkeit gewinnt (V. 2277: „…und kaltes Grauen fesselt“).
Als Elisabeth daraufhin ihre Abweisende Position nicht ändert und Maria ihre Abhängigkeit von sich zeigt (V. 2285-86: „dass ich so weit Heruntersteige…“), lenkt Maria die Schuld an der Zwietracht zwischen ihnen beiden auf den bösen Geist und zum Fremden, um so eine versöhnliche Stimmung zwischen ihr und Elisabeth hervorzurufen (V. 2308-2309: „Ihr seid nicht schuldig, ich bin auch nicht schuldig, Ein böser Geist stieg…“). Durch die Antithetik in Zeile 2311 und 2312 wird Marias Position der Schuldzuweisung verstärkt (V. 2311: „…zarte Jugend…“; Z. 2312: „…böse Menschen…“). Außerdem versucht Maria jetzt durch den Imperativ in Zeile 2312 (V. 2312: „Jetzt, Schwester, Redet!“) Elisabeth aus ihrer abweisenden Haltung herauszuholen. Marias Emotionalität wird hier wieder durch eine Interjektion verstärkt (V. 2323: „Ach, dass…“).
Elisabeth dagegen schiebt die Schuld an ihrer Zwietracht zu Maria und provoziert sie mit Beleidigungen und einer negativen Herzmetaphorik (V. 2330-2331: „…Euer schwarzes Herz klagt an, die wilde Ehrsucht Eures Hauses“).
In Zeile 2378 kommt es dann zu einem wichtigen Wendepunkt in der Dialogführung, als Maria Elisabeth das erste Mal unterbricht und (vgl. V. 2379) auf dem Tiefpunkt ihrer Unterwürfigkeit angelangt ist (V. 2378: „Regiert in Frieden!“; Z. 2379: „Jedwedem Anspruch auf das reich entsag ich.“). Man merkt hier, wie Marias Stimmung kippt, da ihre ganzen bisherigen Bemühungen umsonst waren. Ihre positiv emotionale, schmeichelnde Rhetorik ist nun zu Ende. Sie wird immer zorniger, was sich durch viele Imperative (V. 2390: „Sprecht dieses Wort aus“) und durch Marias unterschwellige Drohung an Elisabeth zeigt (V. 2397: „Weh Euch, wenn Ihr mit diesem Wort nicht endet!“). Darauf setzt Elisabeth die Spitze ihrer Provokation (V. 2410: „Zu werden, denn Ihr tötet Eure Freier Wie eure Männer!“). Daraufhin verliert Maria ihre Beherrschung und fleht um Ermäßigung. Ihrer Emotionalität wird hier wieder durch Interjektionen, sowie Ausrufen Ausdruck verliehen. Elisabeth dagegen lacht sie höhnisch aus und verspürt Genugtuung (Regieanweisung S. 69: „(höhnisch lachend)“; V. 2419: „Euer wahres Gesicht“). Dabei zeigt Elisabeth hier ihre wahren Absichten, Maria politisch und emotional herabzuwürdigen, sowie sie als Frau zu verachten. Daraufhin ist Marias Aggression nicht mehr zu bändigen, was sich in schweren Beleidigungen gegenüber Elisabeth widerspiegelt (V. 2447-2450: „Der Thron von England ist durch einen Bastard Entweiht, der Briten edelherzig Volk Durch eine list’ge Gauklerin betrogen. Regierte Recht, so läget ihr vor mir Im staube jetzt, denn ich bin Euer König.“). Maria beleidigt Elisabeth als Bastard, was der Höhepunkt der Eskalation ist und stellt sich über sie, indem sie sich zum wahren König über Elisabeth erklärt.
Meiner Meinung nach ist diese Szene die Schlüsselszene und der Höhepunkt des Dramas, da sich die gesamte Handlung des Dramas auf die Begegnung der beiden Frauen hin zugespitzt hat. Alle Emotionen haben sich auf einen Schlag entladen und gezeigt, wie tiefgründig der Konflikt der beiden Frauen ist. Maria ist quasi zum scheitern verurteilt, da es gar nicht Elisabeths Absicht ist, einen friedlichen Ausgang für das Gespräch zu finden. Marias Versuche, Elisabeth umzustimmen prallten an ihr ab und die Enttäuschung beider Frauen, einerseits über den Misserfolg der Schmeicheleien und andererseits über die erwartete Überlegenheit Elisabeths über Maria, führten zu einer Eskalation des Gespräches, wobei nicht nur Elisabeth Maria provoziert, sondern auch Maria von Anfang an kleine, unterschwellige Sticheleien gegen Elisabeth setzt. Der Konflikt der beiden Frauen war zu groß, dass es ein guten Ausgang für das Gespräch hätte geben können.