Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der Bruch eines vermeintlich ewigen Bundes, der Ehe, ist Thema in Joseph Eichendorffs Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“. Sehr bildlich kommt dabei zum Ausdruck, welche Gefühle entstehen und welche Konsequenzen sich daraus für das lyrische Ich ergeben.
Die äußere Struktur ist sehr einheitlich gehalten. Das Metrum1 des dreihebigen Jambus vermittelt beim ersten Durchgehen bereits eine Entwicklung innerhalb des Gedichtes, was man durchaus später feststellen kann. Jede der fünf Strophen bestehst aus je vier Versen, deren Ende jeweils einen Kreuzreim ausweist. Daraus könnte man folgern, dass eine große Ordnung vorherrscht, was bei näherer Betrachtung des Inhalts aber keineswegs der Fall ist. Möglicherweise verbindet der Autor diese mit Gefühlslosigkeit bzw. Kälte, was er als schlecht ansieht. Eine getrübte Stimmung wird durch das ganze Gedicht vermittelt. Ebenso zieht sich der Gebrauch von negativ wirkenden Worten durch weite Teile des Gedichts.
Bereits in der ersten Strophe gibt es passende Beispiele. Der Gebrauch von „kühlen Grunde – verschwinden“ (V. 1) erweckt eine kalte Stimmung. Diese „kühlen Grunde“ könnten eine Metapher2 für seinen Körper sein. Dieser erkaltet auf Grund von fehlender Wärme, die wohl ehemals von der „Liebsten“ (V. 3) kam, die nun „verschwunden“ (V. 3) ist. Diese Verbindung des lyrischen Ichs wird auch in den anderen beiden, sich aufeinander beziehenden Versen deutlich. Die „Liebste“ (V. 3) hat im „Mühlenrad“ (V. 2) gelebt (Achtung: inhaltlicher Fehler!), welches sich im „kühlen Grunde“ (V. 1) befindet. Das Mühlenrad könnte man folglich als das Herz oder das Leben des lyrischen Ichs sehen, in dem die „Liebste“ (V. 3) einen festen Platz hatte. Übrigens wird hier schon deutlich, dass es sich um ein männliches lyrisches Ich handelt. Später wird sich dies bestätigen. Die Metapher des „kühlen Grundes“ (V. 1) könnte man hier durchaus auch mit dem ganzen Körper des lyrischen Ichs assoziieren. Die Geliebte wohnte also wirklich im tiefsten Innern. Die Selbstverständlichkeit lässt sich an der starken, von einer Alliteration3 hervorgerufenen Bindung von „die – dort“ (V. 4) erkennen. Letztlich bleibt noch zu erwähnen, dass diese Strophe, im Gegensatz zu den Binnenstrophen, unreine Reime enthält. Die könnte auf Planlosigkeit oder Aufgewühltheit hindeuten.
In Strophe zwei wird der Autor nun konkreter. Es lässt sich eindeutig feststellen, dass zwischen beiden eine Ehebeziehung bestand. Die ganze Strophe kontextuiert lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu. Die „versprochene Treu“ (V. 5) mit einem „Ring“ (V. 6) ist ein unmissverständliches Beispiel. Gleichwohl wird beschrieben, dass dieser Bund gerissen ist. Hierfür stehen „gebrochene Treu“ (V. 7) und das „entzwei gesprungene Ringlein“ (vgl. V. 8), das die Verbindung das die Verbindung zweier Gegenpole in der Ehe darstellt. In dieser Strophe wird also das Geschehene, die Vergangenheit betrachtet, in der die Ursache für die emotionale Entwicklung im Gedicht liegt. Starke, harte Kadenzen4 übertragen diesen Bruch auch auf den Leser. Da für die Interpretation eher die gegenwärtige Entwicklung interessant ist, muss dieser Strophe keine weitere Bedeutung zugemessen werden.
In der dritten Strophe kann man einen Perspektivwechsel erkennen. Das lyrische Ich redet nicht mehr von „Dritten“, sondern spricht von sich selbst. In dieser Strophe wird nun klar, wie das lyrische Ich seine Gefühle verarbeitet. Es will vor ihnen fliehen, sich ihnen entziehen. Dies kann man zum einen am Reisebedürfnis (vgl. V. 9) erkennen. Besonders deutlich wird dies aber an der bewusst gesetzten Alliteration in nächsten Vers. Sofort fällt das Augenmerk auf „weit“ (V. 10) und „Welt“ (V. 10). Das lyrische Ich will weit weg von seiner Situation, seinen Gefühlen und vor allem seinen Erinnerungen. Es will die Flucht in eine andere Welt antreten. Die Verse elf und zwölf sprechen wohl von der Suche nach Perspektiven. Da „möcht“ (V. 9) jedoch eine kleinere Bedeutung hat als „will“, könnte man vermuten, dass diese Wünsche für das lyrische Ich nur schwer oder gar nicht erfüllbar sind. Durch die Wiederholung von „und“ (V. 11,12) klingt alles nach einer Aufzählung, die sich für mich persönlich nach einem Seufzer anhört.
Die noch relativ neutrale Stimmung des lyrischen Ichs sinkt in Strophe vier nun weiter, was zunächst an der Wortwahl deutlich wird. „die blut'ge Schlacht“ (V. 14), das „stille Feuer“ (V. 15) sowie die „dunkle Nacht“ (V. 16) vermitteln dem Leser eine beängstigende Stimmung. Sicherlich stellt der „Reiter“ (V. 13) in Verbindung mit dem positiven „fliegen“ (V. 13) wieder die Suche nach dem Ausweg aus der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit dar. Außerdem kann man schon einen Vorgriff auf die letzte Strophe erkennen. „stille Feuer“ (V. 15) „Im Feld bei dunkler Nacht“ (V. 16) deutet auf eine Art Todessehnsucht hin. Die „dunkle Nacht“ (V. 16) ist sicherlich wieder ein Zeichen für absolute Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit sowie auch einer geistigen Umnachtung, da das lyrische Ich völlig von den Gefühlen geleitet wird und nicht mehr vermag zu denken.
Alle Aspekte, die man in den vorherigen Strophen erkennen kann, lassen sich auch in der letzten Strophe wieder feststellen. Es kommt zu einer Rückbesinnung auf den Anfang, als bereits ein „Mühlenrad geht“ (V. 2). In Vers 17 wird nun wieder hierauf zurückgegriffen. Auch durch das Stilmittel der Inversion5 „Hör ich das Mühlenrad gehen“ (V. 17) zeigt sich die Beziehung von der ersten zur letzten Strophe. Die Annahme der geistigen Unklarheit des lyrischen Ichs lässt sich ebenso fortsetzen. Der Blick soll sicher auch auf die Alliteration „weiß (nicht) was (ich) will“ (V. 18) gelenkt werden. Die Gefühle durch den Trennungsschmerz sind so groß, dass das lyrische Ich eben nicht mehr weiß, was es will. Sicherlich ist es auch die unvermutete Enttäuschung (vgl. V. 8), die dem lyrischen Ich Kopfzerbrechen bereitet. Es sind schließlich nicht immer alle Wege ergründlich. Ganz besonders dann nicht, wenn es um Liebe geht. Das gibt der Autor klar zu verstehen. All die Verzweiflung gipfelt nun. Das lyrische Ich „möcht am liebsten sterben“ (V. 19).
Es scheint darin den einzigen Ausweg und eine Art Erlösung zu sehen. Es würde dann „auf einmal still“ (V. 20) sein. Dass sich das lyrische Ich nach dieser Stille sehnt, wird auch durch das wiederholte „still“ aus der vierten Strophe bestätigt. Verstanden werden darf das Ganze so, dass hiermit die innere Stille gemeint ist, die vom Herzen, das wie ein Mühlenrad rattert, gestört wird. Dass hier der Bogen von der ersten zur letzten Strophe wieder geschlossen wird, kann man außerdem daran erkennen, dass wieder ein unreiner Reim von „gehen – Sterben“ (V. 17-19) vorliegt. Das Gedicht wurde damit begonnen und hört quasi damit auf.
Abschließend kann man also sagen, dass Eichendorff mit viel bildhafter Sprache ein Gedicht gelungen ist, das den Leser sehr zum Nachdenken anregt. Er vermittelt, welche immensen negativen Gefühle durch eine, vor allem unverhoffte, Trennung entstehen können. Er beschreibt, dass ein solcher Trennungsschmerz sehr schwer zu verarbeiten ist. Vielmehr entstehen Gefühle von Verzweiflung, Hoffnungs-, Rat- und Perspektivlosigkeit, die in schlimmen Dingen bis hin zum Freitod enden können. Er spricht des Weiteren an, wie stark ein Mensch und sein ganzer Körper hiervon beansprucht und durchdrungen werden. Auch wird noch deutlich, dass der ewige Bund der Ehe nicht unbedingt ewig halten muss. Letztendlich ist dieses Gedicht recht mitreißend und zum Denken anregend sowie im Gesamteindruck ein Meisterwerk.