Novelle: Die Marquise von O.... (1808)
Autor/in: Heinrich von KleistEpochen: Weimarer Klassik, Romantik
Rezension
„Die Marquise von O...“ – Nur eine Skandalschrift des 19. Jahrhunderts oder mehr?!
Kaum ein anderes literarisches Werk des 19. Jahrhunderts hat wohl für solche Furore gesorgt wie Heinrich von Kleists Novelle:
eine äußerst pikante und skandalöse Zeitungsannonce über eine adelige Schwangere, die sich an den Akt der Zeugung nicht erinnern kann, Gesellschaftskritik vom Feinsten – ja das erwartet den Leser in diesem explosiven und einzigartigen Werk!
Verfasst von einem suizidgefährdeten und von Misserfolgen – beruflich und privat – geprägten jungen Mann, der doch nur nach Anerkennung strebte. Auch wenn seine Novelle „Die Marquise von O...“ auf negative Reaktionen stieß, die vom geschmacklosem und sittenwidrigem Inhalt überzeugt waren, so versucht sich Kleist an anderen bekannten Erzählungen wie „Das Erdbeben in Chili“ und „Michael Kohlhaas“. Die negative Auffassung seiner Zeitgenössen erscheint angesichts der sehr konservativen Gesellschaft und seines sehr delikaten Tabubruchs plausibel. Doch nun zu dem Inhalt. Die Novelle ist ein genüssliches Leseerlebnis für jung und alt, weshalb nicht zu viel vorweggenommen werden soll.
Kurz gesagt wird die Protagonistin – die Marquise von O... – unwissentlich schwanger, weshalb sie von ihrer Familie verbannt wird. Zuvor wurde sie von dem Grafen von F... bei der Erstürmung der Zitadelle, in der sie von feindlichen Scharfschützen misshandelt wird, gerettet. Zeit zum Dank an ihren Retter bleibt ihr nicht, da er sich weiter auf Geschäftsreisen begibt. Wer der Zeuger des Kindes ist, soll sich am legendären Dritten herausstellen. Und auch was es mit dem wohl bekanntesten Gedankenstrich der deutschen Literaturgeschichte auf sich hat und wie das Schicksal der verdammten Marquise aussieht, wird der Leser in dieser spektakulären kürzeren Erzählung noch erfahren. Nicht nur die tabuisierte Handlung ist besonders, sondern auch Kleists einzigartiger Schreibstil. Dem Leser wird die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft vor Augen geführt und auch der Aufbau erinnert an den einer Kriminalgeschichte, so dass der Leser konsequent mitfiebert: Wer ist der Zeuger des Kindes? Wieso handelt der Vater der Marquise so? Wer ist das eigentliche Familienoberhaupt?
Begleitet wird dieser Nervenkitzel von der komplizierten und hypotaktischen Syntax und die Verwendung von gehobener Sprache, die höchste Aufmerksamkeit erfordert. Schnell fällt auf, dass die Sprachlosigkeit der Figuren ein Spiegel gesellschaftlicher Zwänge darstellt und letztlich Sprache zum Instrument der Kritik wird. Die eigenwillige Form der Interpunktion und die langen verschachtelten Sätze bilden das Gerüst eines Meisterwerks, dass sich kritisch mit damaligen fragwürdigen Konventionen und der bürgerlichen Doppelmoral auseinandersetzt. Doch auch an Komik und Ironie kommt es nicht zu kurz.
Ein Muss für alle Pessimisten und Optimisten, je nach Interpretationsstandpunkt!