1. Abhandlung: Abriss der Psychoanalyse (1938)
Autor/in: Sigmund FreudEpoche: Gegenwartsliteratur / Literatur der Postmoderne
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der vorliegende Sachtext ist ein Aufsatz aus „Abriss der Psychoanalyse“ von Sigmund Freud, welcher aus einem im Jahre 1941 veröffentlichen Sammelband des Fischer Verlages stammt. Freud möchte vor allem psychologieinteressierte Leser über die Ergebnisse und Wichtigkeit der Traumdeutung aufklären. Freud stellt mehrer Thesen auf, welche er argumentativ durch eigene Erkenntnisse, Definitionen und Kausalzusammenhänge erläutert.
Hierzu nutzt er auch die Begriffe „Es“ und „ICH“, welche durch sein Drei-Instanzen-Modell begründet sind. Das ES spiegelt hierbei die unterbewussten Triebe und Wünsche, das ICH das realitätsnahe Bewusstsein einen Menschen.
Zu beginn formuliert Freud die Intention, nämlich die Aufklärung, einer Untersuchung der menschlichen Psyche und legt die Grundannahme fest, dass dies am besten im Zustand des Schlafes, sprich durch einen Traum, möglich sei (vgl. Z. 8f). Um diese These zu unterstützen, behauptet er im Gegenzug, dass die Untersuchung im normalen und wachen Zustand nicht von nutzen sei (vgl. Z. 1f). (vgl. Z. 1-9).
Freud machte darstellen, wie die „Deutung“ (Z. 10) eines Traumes funktioniert und stellt dafür eine Definition des von ihm formulierten Begriffes der „Traumarbeit“ (Z. 20) auf. Für diese sei die Differenzierung des wahren Traumeinhaltes und dessen, an was man sich erinnert (der „Traumgedanke“, Z. 17), nötig. (vgl. Z. 10-20)
Als nächstes möchte er belegen, dass die „Traumarbeit“ aufschlussreich über das Unbewusste des Menschen sei. Er erklärt, dass das Es, die Triebe und Wünsche, sich dem ICH, dem Bewusstsein aufdränge; das ICH es bei diesem Versuch der Verdrängung jedoch verforme (vgl, Z. 22-25). Dies definiert Freud als „Traumeinstellung“ (Z. 26).
Als nächstes geht Freud in seiner Untersuchung einen Schritt zurück und begründet, wieso es überhaupt zu einer „Traumbildung“ (Z. 28) komme. Hierzu setzt er die Prämisse („Feststellung“, Z. 27), dass es zwei Gründe dafür gebe. Im ersten Fall resultiere der Traum aus unterdrückten Trieben des ES, welche sich im Schlaf im Bewusstsein durchsetzen würden. Im zweiten Fall komme der Traum jedoch vom ICH aus, wobei ein „vorbewusster Gedankengang“ (Z. 34), welcher aus dem wachen Zustand stammt, im Schlaf das Unbewusste verstärkt werde (vgl. Z. 27-38).
Aus dieser Erklärung folgert Freud, dass das ES eine wesentliche Rolle in der Traumbildung spiele und stellt somit sein zweite These auf. Dies begründet er durch zwei unterteilte, faktische Argumente: Zum einen sei das Gedächtnis im Traum viel ausgeprägter, da es verdrängte Erinnerungen wieder zugänglich mache (vgl. Z. 41-45). Zum anderen könne er diese Erinnerungen durch den Gebrauch von Symbolen (Z. 47) vermitteln. Diese seien meist nicht ermittelbar für dem Träumer selbst (vgl. Z. 48f.), woraus Freud ableitet, dass ein Traum deshalb schwierig einzuschätzen und zu deuten sei. Dies begründet er in Z. 50-60 mit einer weiteren Annahme: Es gebe eine bestimmte „Arbeitsweise“ (Z. 53), wobei er wieder Bezug auf die in Z. 33 erwähnten Auswirkungen des ICH auf das ES nimmt. Es komme so durch die Vermischung der Einflüsse des ICH und des ES zu einer Komplexität und Unerklärbarkeit des Traums, da die Differenzierung der beiden erschwert sei. Zur Veranschaulichung dieses Vorgangs nutzt Freud das Beispiel „einbrechender Eroberer“ (Z. 62), welche ihre eigene Art und Weise zu handeln auf einem fremden Terrain anwenden würden (vgl. Z. 60-64).
Freud stellt eine vierte These auf, welche wieder auf den Einfluss des ICH auf die Anforderungen des ES hinweist. Es komme nämlich zu einem „Kompromiss“ (Z. 66). Er erläutert, dass das ICH das Unbewusstsein durch eine Veränderung anpasse, um ihn annehmbarer für die Realität zu machen. Auch wenn dies ein ähnlicher Vorgang, wie der in Z. 28-38 erläuterte, zu sein scheint, differenziert Freud ihn durch den Begriff der „sekundäre(n) Bearbeitung“ verdeutliche sich der Widerstand des Bewusstseins. Dies resultiere aus der „Unlogik“ (Z. 77) des Unbewussten, gegen die das ICH sich entgegensetze (Z. 72-81).
Dies sei dadurch zu erklären, so Freud, dass das ES einen Anspruch auf Befriedigung von Wünschen und Trieben stelle, wenn es in den Schlaf eindringe, wodurch das „schlafende ICH“ (Z. 85“ sich gestört fühle.
Durch diesen Vorgang begründet Freud seine Annahme, dass das ES nie ohne Einfluss des ICH sein könne. Dieses würde dem ES durch den Schein der „Wunscherfüllung (Z. 95) vortäuschen, dass es eine Ansprüche durchgesetzt habe (vgl. Z. 82-98).
Anschließend zieht Freud dadurch eine Art Fazit all seiner vorangegangen Thesen und Begründungen, und macht deutlich, dass diese darauf hinausführen, ein Traum sei zur anscheinenden Erfüllung der Triebe und Wünsche des Unbewussten da, welche im wachen Zustand unterdrückt seien (vgl. Z. 96-99). Um seine Ergebnisse zusammenzufassen und zu verdeutlichen, erstellt Freud ein für jeden greifbares Beispiel: Der Sexualtrieb einer Person durchdringe das Bewusstsein im Schlaf. Konkretere Sehnsüchte, wie die nach einer bestimmten Person, seien aber vom ICH verdrängt, um die Person davor zu schützen, sich der „Wahrheit“ zu stellen (vgl. Z. 99-107).
Sigmund Freud meint, die Traumdeutung sei der beste Weg, die Psyche eines Menschen zu untersuchen, da das Unbewusste im Traum am deutlichsten zur Geltung komme, indem es zum Bewusstsein durchdringe. Diese These begründet er durch viele Argumente - teilweise durch eigene Annahmen der Psychoanalyse, teilweise durch Beispiele, die jeder Mensch nachvollziehen kann. So schafft er auch ein Verständnis für den Laien und machen seine Traumdeutungsmethode standhafter.
Relevante Textstelle zum Traum des Grafen F. (S. 116):
Hierauf erzählte er mehrere, durch seine Leidenschaft zur Marquise interessanten, Züge: wie sie beständig, während seiner Krankheit, an seinem Bette gesessen hätte; wie er die Vorstellung von ihr, in der Hitze des Wundfiebers, immer mit der Vorstellung eines Schwans verwechselt hätte, den er, als Knabe, auf seines Onkels Gütern gesehen; daß ihm besonders eine Erinnerung rührend gewesen wäre, da er diesen Schwan einst mit Kot beworfen, worauf dieser still untergetaucht, und rein aus der Flut wieder emporgekommen sei; daß sie immer auf feurigen Fluten umhergeschwommen wäre, und er Thinka gerufen hätte, welches der Name jenes Schwans gewesen, daß er aber nicht im Stande gewesen wäre, sie an sich zu locken, indem sie ihre Freude gehabt hätte, bloß am Rudern und In-die-Brust-sich-werfen; versicherte plötzlich, blutrot im Gesicht, daß er sie außerordentlich liebe: sah wieder auf seinen Teller nieder, und schwieg.
Der Traum eines Menschen verdeutlicht seine innersten Wünsche und Triebe, jedoch auch, wie diesen vordem Bewusstsein abgewehrt und verformt werden. Dies ist auch der Fall beim Grafen F, einer der Hauptfiguren aus Kleist Novelle „Marquise von O…“, von dessen Traum berichtet wird. Dieser Graf vergewaltige nämlich die Marquise von O., als sie aus der brennenden Zitadelle floh. Er weiß dies als Einziger, ist sich aber eher bewusst darüber, dass er sich in die junge Frau verliebt hat und hält bei ihrem Vater um ihre Hand an. Dieser fordert vor allem auf Wunsch seiner Tochter Bedenkzeit und lässt den Grafen so lange bei sich wohnen. Beim gemeinsamen Abendessen erzählt der Graf F. dann von einem Traum, den er während seiner Krankheit in Neapel hatte. Er erhofft sich, somit seine Leidenschaft zu ihr zu Ausdruck zu bringen und sie umzustimmen. Der Traum ist geprägt von seinen Wünschen, aber auch verdrängten Gefühlen und wird im Folgenden durch Freuds Traumdeutung analysiert.
In seinem Traum denkt der Graf F. An die Marquise von O., welche symbolisch durch einen Schwan dargestellt ist. Diesen beschmutzt er jedoch mit „Kot“ und ist auch nach ihrer selbstständigen Reinigung nicht in der läge, sich ihr anzunähern.
Ein Schwan steht für Anmut und vor allem Unschuld. So scheint die Marquise auf den Grafen F. Zu wirken. Ihr guter Ruf und seine positiven Gefühle ihr gegenüber wirken sich auf ihr „Bild“ aus.
Im Unbewussten ist er sich jedoch bewusst über die Vergewaltigung an ihr und scheint Schuldgefühle ihr gegenüber zu haben. Verdeutlicht wird dies durch die Metapher1 „Kot“ (Z. 7), welchen er auf sie wirft (vgl. Z. 7). Dies steht für die Beschmutzung ihrer ehre und Unschuld, welche aus der Vergewaltigung resultiert.
Zum einen wird hier eine symbolische Sprache verwendet, wie auch Freud es beschreibt (vgl. Z. 47, von Freud), was typisch für die Umsetzung „unbewusster Erinnerungen“ ist. Zum anderen verdeutlicht diese Metapher, dass sich der Graf zwar bewusst über die schlimme Tat zu sein scheint, sein ICH es jedoch abwehrt, weshalb es symbolisch umgedeutet wird, um ihn nicht mit der Realität zu konfrontieren (vgl. Z. 22).
Dies ist ein Abwehrmechanismus seines Bewusstseins, um sich vor der völligen Vereinnahmung furch sein schlechtes Gewissen zu schützen. Sein guter Ruf und die Erwartungen der Gesellschaft, sein eigener Stolz sowie sein Vorhaben, die Marquise zu heiraten scheinen eine rolle in dem Verdrängungsvorgang zu haben.
Das Bild des Schwans wird mit einer Erinnerung aus seiner Kindheit vermischt, wenn nicht daraus gezogen („Vorstellung eines Schwans (…), als Knabe (…), ihm besonders eine Erinnerung rührend gewesen wäre“, Z. 4-6). Da die Erinnerung an die Kindheit ein Gefühl von Unbeschwertheit und Ungewissheit über das Handeln auslöst, dient es gut dazu, den Akt des „Beschmutzens“ zu verharmlosen. Dabei werden seine „vorbewussten Gedanken“ (Z. 54, Freud) aus seinem Bewusstsein, welches versucht den Konflikt abzuwehren, mit Schuldgefühlen vermischt (vgl. Z. 50-60, von Freud). Dem Grafen scheint es so, als wäre seine Tat mit der eines naiven Kindes zu vergleichen, obwohl sein ICH dies dem ES nur „einflößt“.
Ein weiterer Verdrängungsakt geschieht durch die Anonymisierung der Protagonisten im Traum. Dies ist mit dem Beispiel Freuds (vgl. Z. 99-107) zu vergleichen: Die Umdeutung des Namens - der Graf nennt den Schwan „Thinka“ (Z. 11) - schützt den Träumer davor, der Realität „ins Auge zu blicken“ und sich somit eingestehen zu müssen, dass die Sehnsucht ihr gilt. Merkwürdig ist in diesem Fall, dass der Graf sich dies in der Realität eingesteht, als er mehrmals betont, er sei in die Marquise verliebt. Vermutlich wirken in seinem Traum die Schuldgefühle als eine Art Gewissen, die ihn dazu drängen, sich der Marquise nicht anzunähern.
Dies gelingt ihm in seinem Traum auch nicht, obwohl er dies wünscht. Ihm ist bewusst, dass sich der Schwan nicht „anlocken“ (Z. 13) lässt, da er diesen zuvor beschmutzte. Sein Traum entspricht hierbei der Realität - die Marquise möchte den Heiratsantrag nicht annehmen — womit sein ICH anscheinend nicht die „Wunscherfüllung“ (Z. 98) zu leisten scheint.
Der Graf hütet in seinem Unbewussten einerseits den Wunsch nach Nähe sowie einen Sexualtrieb gegenüber der Marquise; andererseits aber auch die verdrängten Schuldgefühle ihr gegenüber. Weil der Graf Inn der Realität die Annäherungswünsche kaum unterdrückt, scheinen im Traum die verdrängten Gefühle eine größere Rolle zu spielen. Da er sich diesen aber weder wach noch schlafend stellen möchte, setzt sein Bewusstsein einige Abwehrmechanismen ein, um diese zu unterdrücken. Dementsprechend hält der Graf im weiteren Handlungsverlauf der Novelle an seiner Forderung, die Marquise heiraten zu dürfen, fest. Er möchte seine Liebe ihr gegenüber nicht unterdrücken und lässt sie in der Realität „frei“. Jedoch scheint, wie der Traum verdeutlicht, sein schlechtes Gewissen eine immer größere Rolle in seinem Verhalten einzunehmen. Er kann - vor allem als die Marquise die Zeitungsannonce aufgibt und ihn damit indirekt konfrontiert — seine Tat nicht mehr aus seinem Bewusstsein verdrängen, was dazu führt, dass er es gegenüber der Familie zugibt.
Die Analyse („Deutung“) des Traums des Grafen F. Beweist, dass die Annahmen Freuds bezüglich der Rolle des Traums in der Psyche des Menschen stimmen sich anwenden lassen und sogar die weitere psychische Entwicklung der Person deuten können.