Novelle: Die Marquise von O.... (1808)
Autor/in: Heinrich von KleistEpochen: Weimarer Klassik, Romantik
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Psychoanalyse Marquise von O...
Zwischen Trieben und Gewissen zu vermitteln kann in einigen Situationen eine große Herausforderung darstellen. Vor allem, wenn man eine geringe Gesellschaftskonformität vorzuweisen hat.
Dieses Problem erfährt auch die Marquise von O... in der gleichnamigen Novelle von Heinrich von Kleist aus dem Jahre 1808.
Die Marquise von O... ist vergewaltigt worden, weiß aber zunächst nicht von wem. Der noch Unbekannte schwängert sie dabei.
Der Textauszug von Seite 29 Zeile 21 bis Seite 32 Zeile 13 behandelt die Verstoßung der Marquise aus dem Elternhaus. Nachdem die Marquise ihre Schwangerschaft immer noch leugnet, obwohl die Untersuchung von Arzt und Hebamme dies nachgewiesen haben, und sie nicht verheiratet ist, ist sie für das Elternhaus nicht mehr tragbar.
Sie verlässt die Familie und plant ein Leben mit ihren Kindern, ohne Mann. Im weiteren Verlauf kommt es dann aber doch anders.
Es folgt eine Psychoanalyse nach demInstanzenmodell von Sigmund Freud.
Die Marquise erhält ein Schreiben ihres Vaters, mit der Aufforderung, "dass sie sein Haus verlasse" (S. 29, Z. 25). Das Ich des Vaters hat sich offensichtlich für das Über-Ich entschieden, da es nach dem willen der Gesellschaft handelt und nicht nach familiärer Liebe. Daraufhin sucht sie ihn auf, um ihre Unschuld zu vermitteln.
Als sie es an ihrem Bruder vorbei schafft, ist der Vater über den Besuch nicht erfreut und feuert sogar eine Pistole ab (vgl. S. 30, Z. 6ff).
Von der Situation überwältigt "[zieht sie] ihre Kinder eilfertig an, und [lässt] die Sachen einpacken. Hier entscheidet sich ihr Ich für das Es, da ihr ihre Kinder und ihre Freiheit wichtiger sind, als der Gesellschaft oder der Familie zu gefallen. Da ihr Es aber auch der Wunsch nach Zuneigung der Eltern enthält, dies aber dank der Gesellschaft nicht möglich ist, entsteht eine Identitätskrise.
Die Kinder gegen den Wunsch der Familie mitzunehmen, betrachtet sie als "Sieg [...] durch die Kraft ihres schuldfreien Bewusstseins" (S. 30, Z. 40f). Dadurch erfährt sie eine temporäre Selbstzufriedenheit, welche aber andere unerfüllte Wünsche vernachlässigt und so nicht lange existiert. Schließlich ist sie immer noch von der Gesellschaft und ihren Eltern verstoßen.
"Sie beschl[ießt], sich ganz in ihr Innerstes zurückzuziehen" (S. 31, Z. 11f), da sie nichts mit einem Vergewaltiger zu tun haben wollen würde und nicht mehr mit Unterstützung ihrer Eltern rechnen kann.
Obwohl sie sich das alleinige Aufziehen ihrer Kinder vorstellen könnte, und Vergewaltiger verabscheut (vgl. S. 31, Z. 11 - S. 32, Z. 6), lässt sie "jene sonderbare Aufforderung in die Intelligenzblätter von M... rücken" (S. 32, Z. 11f). Also den Zeitungsartikel auf der Suche nach ihrem Vergewaltiger.
Dies tut sie, weil "der Stein seinen Wert behält, er mag auch eingefasst sein wie man wolle" (S. 32, Z. 8f). Der Stein könnte hier für das ungeborene Kind stehen und die Fassung für den Vergewaltiger, da sich das Kind auch gut entwickeln kann, obwohl sein Vater ein Vergewaltiger ist.
Eine Alternative wäre, dass der Stein für den Vergewaltiger steht, der ein Vater und ein Potenzieller Ehemann ist, trotz der Umstände, dass sie ihn aufgrund der Tat verabscheut.
Beide Fälle sprechen für den Zeitungsartikel, da sie mit Mann wieder zu ihren Eltern kann und ihr so der Vergewaltiger als Mann im Nachhinein mehr nützt, als schadet.
Man kann die Identitätskrise der Marquise so zusammenfassen, dass ihr Ich nicht zwischen ihrem Es und Über-Ich vermitteln kann.
Das Es ist hier die Angst vor der Ablehnung der Gesellschaft und vor allem der Familie, aber auch gleichzeitig der Wunsch nach Zuneigung dieser.
Das Über-Ich ist die gesellschaftliche und elterliche Forderung nach einem Ehemann und Vater für ihr Kind.
Da sich in ihrem Es aber auch die Abneigung gegenüber des Vergewaltigers befindet, ist das Ich zwangsläufig mit jeder möglichen Entscheidung unzufrieden und so kann die Marquise dank der Gesellschaft nicht mehr glücklich werden.