Novelle: Die Marquise von O.... (1808)
Autor/in: Heinrich von KleistEpochen: Weimarer Klassik, Romantik
Dialog-/Gesprächsanalyse und Interpretation
Das zu analysierende Gespräch stammt aus der Novelle „Die Marquise von O…“, welches im Jahre 1808 von Heinrich von Kleist veröffentlicht wurde.
Das zu analysierende Gespräch findet zwischen der Marquise und ihrer Mutter, der Frau von G… statt. Das Gespräch zeigt die zu der Zeit der Novelle vorherrschenden Tabus und Konventionen.
Im Folgenden werde ich den Inhalt des Gespräches kurz zusammenfassen.
Das Gespräch findet sich mittig im Drama, in der vorhergegangenen Szene hat ein Arzt die Schwangerschaft der Marquise von O… festgestellt. Sie ist außer sich und versucht die Wahrheit zu verdrängen. In den darauffolgenden Szenen wird die Schwangerschaft der Marquise eindeutig von einer Hebamme festgestellt. Sie verlässt das Haus der Familie. Später setzt die Marquise die Zeitungsanzeige auf.
Aufgrund der beunruhigenden Botschaft des Arztes, die Marquise sei zweifelsohne schwanger, ist diese außer sich. Die Mutter kommt hinzu und fragt nach den Geschehnissen und dem Grund für die Aufgebrachtheit der Marquise. Die Marquise berichtet ihrer Mutter vom Resultat der ärztlichen Untersuchung. Zunächst ist die Frau von G… über das Resultat verärgert und hält dieses für einen Fauxpas des Arztes, jedoch fragt sie die Marquise „ob sie denn an die Möglichkeit eines solchen Zustandes glaube […]“ (S. 25 Z. 12f.). Dies verneint die Marquise mit einem erschreckenden Vergleich. So sagt sie, dass „eher […] Gräber befruchtet werden“ (S. 25 Z. 13f.), als das die Marquise an eine Schwangerschaft glaube. Sie stellt sich die Frage, warum der Arzt eine, für sie bösartige, Diagnose treffen würde. Die Mutter stellt fest, dass entweder der Arzt einen Irrtum aufgesessen sei, oder aber die Marquise ein uneheliches Verhältnis gehabt haben muss.
Die Marquise versichert ihr darauf, dass sie sich nichts dergleichen vorzuwerfen habe. Trotzdem bittet sie darum, dass sich eine Hebamme ihrer annehmen würde, um ihre Zweifel ein für alle Mal zu zerstreuen. Dieser Aufruf wiederum versetzt die Mutter der Marquise in Entrüstung. Wieder versichert die Marquise ihrer Mutter, dass sie sich nichts vorzuwerfen habe. Daraufhin sagt die Frau von G…, dass sie ihrer Tochter einen solchen Fehltritt, damit ist die Schwangerschaft gemeint, „schmerzlich […] verzeihn“ (S. 27 Z. 6ff.) würde, jedoch nicht die Tatsache, dass sie von ihrer Tochter belogen werden würde. Als daraufhin die Tochter weiter ihre Unschuld beteuert, lässt sich die Mutter schließlich überzeugen und ist gewillt eine Hebamme herbeizurufen.
Bei Betrachtung des zu analysierenden Gespräches fällt auf, dass es innerhalb des Gespräches diverse Wendungen gibt, vor allem aufseiten der Mutter der Marquise von O…, der Frau von G.…
Zu Beginn des Dialoges hält die Mutter eine Schwangerschaft ihrer Tochter für unmöglich. Dies wird vor allem durch die Verwünschungen deutlich, welche sie über den Doktor, der diese schandhafte Diagnose über seine Tochter verbreitet hat, tätigt. So nennt sie diesen zum Beispiel einen „Nichtswürdigen“ (S. 25 Z. 6). Als die Marquise ihrer Mutter jedoch verdeutlicht, dass diese Behauptung des Arztes völliger Ernst gewesen sei, tritt die erste Wendung ein. Die Mutter fragt, „ob sie denn an die Möglichkeit eines solchen Zustandes glaube“ (S. 25 Z. 12f.). Durch einen drastischen, ja fast bildhaften Vergleich, versucht die Marquise ihre Mutter von diesem Gedanken abzubringen. So sagt sie, dass „Eher […] die Gräber befruchtet werden, und sich dem Schoße [Mutterleib] der Leichen eine Geburt entwickeln wird!“ (S. 25 Z. 13ff.). Durch diesen bildhaften Vergleich gelingt es der Marquise, die Mutter ein weiteres Mal zu überzeugen. Hier tritt die zweite Wendung in Kraft. Als diese jedoch Anstalten macht, dem Vater das Verhalten des Arztes zu melden, beginnt die Marquise über die Beweggründe des Arztes zu sinnen, was wiederum Zweifel und Verwirrung aufseiten der Mutter aufwirft. Die Mutter fragt sich nun, ob ein Arzt sich bei solch einem einfachen Zusammenhang irren könne. Hier liegt die dritte Wendung vor. Diese Wendungen scheinen wie eine Wellenbewegung zu verlaufen. Die Marquise wirft Zweifel aufseiten der Mutter auf, die Mutter zweifelt, daraufhin versucht die Marquise sie wieder von diesem abzubringen. Dies zeigt, dass die Marquise selbst der Schwangerschaft bereits bewusst ist, sich dies aber nicht eingestehen kann. Es kann gesagt werden, dass die Marquise nicht nur die Mutter, sondern auch sich von ihrer Unschuld beweisen zu versucht, dies jedoch nicht kann.
Als die Marquise die Mutter wieder beruhigt hat und sie nun darum bittet, eine Hebamme rufen zu lassen, findet ein Stimmungsumbruch aufseiten der Mutter statt. Die Mutter reagiert entrüstet und sprachlos. Diese Sprachlosigkeit seitens der Mutter verdeutlicht die zurzeit vorherrschenden Konventionen und Tabus vor allem im Bezug auf Sexualität. Die Personen im Drama sind wie eingeschnürt in diesem Korsett von Konventionen.
Heinrich von Kleist bedient sich einer Vielzahl rhetorischer Mittel, wie zum Beispiel eine Vielzahl von Fragen. Diese werden jedoch nur von der Frau von G…, der Mutter der Marquise gestellt. Diese Fragen zeigen, dass die Mutter der Marquise sich unter keinen Umständen vorstellen will, dies angesichts der zu der Zeit herrschenden Konventionen gar nicht kann. Sie zweifelt an den Aussagen der Marquise, genau wie die Marquise selber. Während des Dialoges wird bereits deutlich, dass die Marquise unterbewusst schon weiß, dass sie ohne ihr Wissen schwanger geworden ist, also die Diagnose des Arztes korrekt ist.