Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der vorliegende Text “Abschied” ist ein Gedicht, das von Joseph von Eichendorff im Jahr 1814 veröffentlicht wurde und aufgrund der typischen Motive der Naturbetrachtungen und Sehnsucht eindeutig der literarischen Epoche der Romantik zuzuordnen ist. Eichendorff thematisiert sehr eindringlich das Abschiednehmen des lyrischen Ichs von der Natur.
Bezüglich der äußeren Form lässt sich feststellen, dass das Gedicht in einer regelmäßigen Form verfasst ist. Es setzt sich aus drei Strophen zu jeweils acht Versen zusammen. Die mit einer unbetonten Silbe (weiblich) beginnenden Kadenzen1 sind gleichmäßig alternierend, was mit den regelmäßigen drei-hebigen jambischen Versen eine harmonische Atmosphäre aufbaut. Das Reimschema, der Kreuzreim (ababcdcd) unterstützt diese Wirkung zusätzlich.
Sowohl formal als auch inhaltlich lässt sich das Gedicht in drei Teile untergliedern. Diese zeigen im Zusammenhang betrachtet eine ständig fortschreitende negative Entwicklung während des Abschiednehmens des lyrischen Ichs von der Natur. In der ersten Strophe (V. 1-8) werden anfangs ausschließlich Naturbetrachtungen des lyrischen Ichs geschildert. Es wandert etwas wehmütig durch die Wälder und wünscht sich noch ein letztes Mal in der Natur zu verbleiben. Die zweite Strophe (V. 9-16) steht inhaltlich in Verbindung zur ersten. Das lyrische Ich spricht die Natur als etwas Gottgleiches an und betont durch den Bezug zum Titel über das Abschiednehmen eine runde, abgeschlossene Wirkung. Das lyrische Ich spricht davon, wie es die Natur verlässt, sein Herz jedoch immer bei ihr sein wird. Zusammenfassend stellen die Strophen inhaltlich eine fortlaufende Entwicklung dar, die in dem endgültigen Abschied des lyrischen Ichs von der Natur gipfelt.
Die erste Strope beginnt mit der direkten Anrede des lyrischen Ichs an die Natur. Durch eine Anapher2 („O Tälet weit, o Höhen, | O schöner Wald,“ (V. 1-2)) wird dieser Eindruck zusätzlich gesteigert. Mit dem Fortlaufen der ersten Strophe erscheint es, als würde das lyrische Ich Abschied von der Natur nehmen, wodurch bereits zu Beginn des Gedichtes erste Andeutungen über einen Bezug zum Titel des Gedichts hergestellt werden. Die quälenden Emotionen werden durch die Antithese3 „Lust und Wehen“ (V. 3) den vorherigen Freuden und der Lust gegenübergestellt. Durch den emphatischen Stabreim „Andächt’ger Aufenthalt!“ (V. 4), der durch eine Emphase mit dem voranstellenden Vers in Verbindung steht, werden die bereits erwähnten Emotionen auf einen bestimmten Zeitpunkt konkretisiert. Zugleich wird durch den Begriff „Andächtig“ die große Bedeutung des Aufenthalts für das lyrische Ich betont. Die nächsten beiden Verse bilden dazu einen Kontrast, indem zum einen durch eine Parenthese („stets betrogen“ (V. 5)) die negative Bindung zur Welt außerhalb der Natur herausgestellt wird und zum anderen durch die Personifikation4 der „geschäft’ge[n] Welt“ mithilfe des Verbs sausen die Schnelllebigkeit und Vergänglichkeit dieser betont. Die Strophe endet mit einer Bitte, einem Aufruf an die Natur, die ebenfalls durch einen mit einer Emphase verbundenen Zeilensprung ausgedrückt wird. Das lyrische Ich bittet, durch einen metaphorisch zu betrachtenden Ausdruck (V. 7-8), noch länger in der Natur, die ebenfalls durch eine Metapher5 repräsentiert ist („grünes Zelt“ (V. 8)) zu verweilen. Durch die Metapher des Zeltes kann man bereits erste Vermutungen anstellen, dass das lyrische Ich die Nacht in der Natur verbringt, die Natur ihm dabei zeitgleich Schutz vermittelt. In der zweiten Strophe wird die am Ende des ersten Tages gestellte Vermutung bestätigt. Die Nacht ist nun jedoch vorbei, was durch das neologistisch zu einem Verb umgewandelte Wort „Tag“ („zu tagen“ (V. 9)) deutlich wird. Durch die metaphorische Betrachtung des Sonnenaufgangs als „dampf[ende] Erde schildert Eichendorff ein sehr anschauliches und eindrucksvolles Bild. Das morgendliche Erwachen der Vögel wird durch das Oxymoron6, innerhalb einer Inversion7, „lustig schlagen“ sehr spannungsreich beschrieben. Der sich mit einem Enjambement anschließende Vers weist im Vergleich zu den vorherigen eine große Besonderheit auf. Das erste Mal wird eine Person mittels der Pronomen „dir“ und „dein“ indirekt angesprochen. Da das lyrische Ich sich nach wie vor in der Natur befindet, ist es naheliegend, dass dieses die Natur nun direkt anspricht und somit zugleich auch personifiziert. Vers 13 und 14, die durch ein Enjambement verbunden sind, führen die Folgen des Erwachens der Natur weiter aus. Die, einen Stabreim enthaltende, Tautologie8 „vergehen, verwehen“ (V. 13) hebt in Verbindung mit der Metapher „ [d]as trübe Erdenleid“ (V. 14) die rettende Wirkung der Natur auf das lyrische Ich hervor und verweist zugleich erneut auf die tiefe Bindung. Gerade zur Zeit der (schwarzen) Romantik war es üblich, die Unendlichkeit der Natur antithetisch der Vergänglichkeit des Menschlichen gegenüberzustellen. Durch die beiden letzten zu einer Emphase gehörenden Verse, die ebenfalls durch ein Enjambement verbunden sind, wird diese Unendlichkeit durch die Metapher „auferstehen | In junger Herrlichkeit!“ (V. 15-16) herausgestellt. Ebenso wird die Bedeutung der Natur erheblich intensiviert, da das lyrische Ich diese durch die Begriffe „auferstehen“ und „Herrlichkeit“ auf eine gottgleiche Ebene hebt. Der letzte Teil des Gedichts weist im inhaltlichen Vergleich zu den vorherigen eine Zäsur9 auf. Die vorher noch zweigespaltene Stimmung schlägt nun zu einer melancholischen, düsteren um. Das lyrische Ich spricht die Natur bereits im ersten Vers der Strophe an und erwähnt nun zum ersten Mal explizit den Abschied durch den Begriff „verlassen“ (V. 17). Der Pleonasmus10 „Fremd in der Fremde gehen“ (V. 18) deutet erneut die Schwere des Abschieds und zum ersten Mal die Angst des lyrischen Ichs vor der Einsamkeit an. Vers 19, der durch ein Enjambement mit der Ellipse11 in Vers 20 verbunden ist, konkretisiert die „Fremde“ (V. 18), die das lyrische Ich nun erwartet mit „buntbewegten Gassen“ (V. 19) auf denen es nun des „Lebens Schauspiel sehn“ (V. 20) wird. Das dadurch erzeugte Bild ähnelt sehr stark einer von Menschen in bunten Kleidern durchquerten Gasse einer Stadt, in der „[d]es Lebens Schauspiel“ (V. 20), das Leben der Menschen, beobachtet werden kann. Die inversiv dargestellten letzten drei Verse gleichen inhaltlich gedeutet den letzten beiden der zweiten Strophe. Das lyrische Ich beschreibt hier, wie die Gewalt der angesprochenen Person, der Natur, ihn „mitten in dem Leben“ (V. 21) erheben wird. Diese Veranschaulichung weist ebenfalls einen metaphorischen Zusammenhang zum Göttlichen auf. Das Auffahren nach dem Tod in den Himmel durch Gottes Kraft (Gewalt) scheint in enger Verbindung zum hier dargestellten „erheben“ (V. 23) zu stehen. Die Natur wird dadurch erneut mit Gott gleichgestellt, was ebenso die große Macht, die sie auf das lyrische Ich ausübt, als auch zugleich ihre Unvergänglichkeit, Unendlichkeit deutlich herausstellt. Der letzte Vers (V. 24) gibt zudem erneut die Möglichkeit, einen Bezug zum Göttlichen herzustellen. Das lyrische Ich beendet das Gedicht mit der Aussage, dass sein Herz so nicht alt wird (vgl. V. 24), was für verschiedene Ansätze Interpretationsspielraum lässt. Zum einen kann das Nicht-alt werden des Herzens als ewiges Leben im Reich Gottes gedeutet werden. Zum anderen hingegen könnte der Vers auch ein Symbol für die ewige Liebe des lyrischen Ichs zur Natur stehen. Das Erheben des lyrisches Ichs lässt sich im Zusammenhang mit der zweiten Variante sich so deuten, dass die Natur immer in Gedanken dieses ist, und es wieder zur Natur zurückkehren will.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht formal als auch sprachlich-stilistisch der Epoche der Romantik zuzuordnen ist. Die Naturbetrachtungen und Naturverbundenheit sind typische Motive dieser Zeit. Die Romantiker versuchten den Menschen der rein positivistischen Betrachtung zu entrücken und dem Rationalismus der Aufklärung zu entreißen. Ein weiterer Deutungsansatz wäre in diesem Zusammenhang, die Fremde mit dem Rationalismus oder der Aufklärung zu identifizieren. Durch den antithetischen Vergleich der unvergänglichen Natur mit dem vergänglichen Wandern des Menschen kommt zum einen das Motiv der Wanderlust hervor, zugleich gibt es jedoch Anlass das Gedicht in die Strömung der schwarzen Romantik einzuordnen, deren Fokus auf genau solchen Vergleichen lag. Versmaß, regelmäßiger Aufbau und besonders die Häufung der Enjambements12 unterstreichen diese ständig fortschreitende und bald ablaufende Zeit des lyrischen Ichs. Das Versmaß des drei-hebigen Jambus könnte daher auch mit einem Herzschlag oder dem Ticken einer Uhr assoziiert werden. Im Gesamten betrachtet harmonieren Inhalt und stilistisch, sprachliche Gestaltung nahezu perfekt miteinander, was ein vollkommenes und anschauliches Bild vermittelt.