Autor/in: Joseph von Eichendorff Epoche: Romantik Strophen: 4, Verse: 32 Verse pro Strophe: 1-8, 2-8, 3-8, 4-8
O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt'ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft'ge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!
Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!
Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte, schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.
Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Abschied“ von Joseph von Eichendorff wurde 1810 verfasst und ist der Epoche der Romantik zuzuordnen. Es handelt von einem Aufenthalt im Wald und einem darauffolgenden Abschied.
Das lyrische Ich befindet sich im Wald, den es zunächst feierlich anspricht und von der „geschäft(i)ge(n) Welt“ abgrenzt. Daraufhin liest es Worte von rechtem Tun und Liebe, durch die ihm etwas „unaussprechlich klar“ wird. Das lyrische Ich verabschiedet sich nun vom Wald, um das „Schauspiel des Lebens“ anzusehen, doch ist es sich darüber im Klaren, dass es sterben müsse, da die Gewalt des Waldes es erheben werde. Die im Gedicht wiedergegebene Stimmung kippt somit während der dritten Strophe.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit je acht Versen. Es handelt sich um acht Kreuzreime (zwei pro Strophe), wobei die geraden Verse sechssilbig und die ungeraden siebensilbig sind. Das Gedicht ist durchgängig in einem 3-hebigen Jambus verfasst. Die sechssilbigen Verse weisen auf männliche, die siebensilbigen auf weibliche Kadenzen1 hin. Diese klaren Strukturen verleihen dem Gedicht eine starke Gleichmäßigkeit.
Das lyrische Ich wechselt häufig die Art und Weise, in der es erzählt. In Strophe I spricht es den Wald direkt an und fordert ihn auf, „die Bogen noch einmal um ihn zu schlagen“. In den restlichen Strophen wird im Indikativ oder teilweise auch im Imperativ geschrieben, jedoch finden Tempuswechsel vom Präsens zum Perfekt und in IV noch zum Futur statt.
Strophe I besteht aus drei Ausrufesätzen, die über die Verszeilen hinausgehen (Enjambements2). Der Wald wird hier in Form einer Apostrophe3 direkt angesprochen und somit personifiziert. Vers 1 und 3 beinhalten einen unreinen Endreim (Höhen-Wehen). Es handelt sich bei den ersten zwei Versen um eine Anapher, da die einzelnen Satzteile alle mit „o“ beginnen. Diese vier Verse wirken somit sehr feierlich, wie die Ansprache bei einem Fest. Das lyrische Ich lobt geradezu den Aufenthalt im Wald (V. 4) und setzt die „geschäft(i)ge Welt“ dazu in Kontrast (I, V. 5-6). Diese Abgrenzung wird deutlich durch Wörter wie „draußen“ und „Zelt“. Dass diese Welt außerhalb des Waldes liegt, zeigt, dass es sich um etwas Anderes, Fremdartiges handelt.
Das „grüne Zelt“, welches für den Wald steht (I, V. 8), ist ein abgegrenzter Raum, der die „geschäft(i)ge Welt“ nicht beinhaltet. Das lyrische Ich bittet geradezu um diese Distanz (I, V. 7/8) und beschreibt die Welt als „betrogen“. Das grüne Zelt ist ein religiöses Element, denn es steht im Christentum für die Gemeinde oder für die Kirche. Das Zelt gilt dort als Symbol für die Wanderschaft des Volk Gottes. Bei den Germanen galt der Wald sogar als Tempel der Natur, d. h. Eichendorff kombiniert germanisch-heidnische Elemente mit einer christlichen Weltanschauung. Der Wald ist in Eichendorffs Gedicht somit der natürliche Schutzort des Gottesfürchtigen.
In Vers 6 spricht es davon, dass die Welt – die wahrscheinlich eine (große) Stadt darstellt - „saust“. Durch die Verbindung von „sausen“ und „geschäft(i)g“ bekommt der Leser einen negativen Eindruck von dieser Welt außerhalb des Waldes, da sie sehr hektisch, unehrlich („betrogen“) und durch das Geschäftige unpersönlich wirkt. Zeitgeschichtlich würde dieser Interpretationsansatz mit der voranschreitenden Industrialisierung zusammenpassen, da dort die Menschen nur noch als nützliche Werkzeuge und nicht mehr als Individuen angesehen wurden. Ebenfalls würde sich diese Interpretation mit den romantischen Vorstellungen decken.
Durch das Verb „sausen“ wird Lautmalerei erzeugt, die diesen Eindruck lebendiger erscheinen lässt. Das lyrische Ich scheint sehnsüchtig zu sein, nach der Natur (Wald), die für Ruhe und Ehrlichkeit (Ursprünglichkeit) steht, im Gegensatz zur „äußeren Welt“.
Romantische Motive sind das der Sehnsucht und der Natur. Auch die Sinne werden in Strophe I angesprochen: Durch die bereits erwähnte Lautmalerei der auditive Sinn, aber auch der sensitive in Vers 3 („Lust und Wehen“).
Strophe II beginnt im Präsens mit einem Konditionalsatz. Das lyrische Ich beschreibt, was morgens im Wald passiert. Es charakterisiert den Morgen als friedlich mit Vogelgezwitscher und einer dampfenden Erde (II, V1-3), durch die man fröhlich wird und sein Leid vergisst (II, V. 4-6). In dieser Strophe scheint das lyrische Ich jedoch nicht nur den Wald anzusprechen, sondern auch die Menschen, die in junger Herrlichkeit „auferstehen“ sollen.
Die komplette zweite Strophe ist eine inversierter Satz, der durch den Doppelpunkt in Vers 4 geteilt ist. Die Strophe enthält drei verschiedene Anaphern4 (Die; Das(s); Da), die die mittleren Verse von den beiden äußeren abgrenzen. Der erste Vers beinhaltet eine Bedingung und die letzten die Folge. Die Verse 2-6 beschreiben und vertiefen lediglich die in Vers 1 benannte Situation.
In Vers 3 und 4 (II) wird die auditive Wahrnehmung erneut angesprochen und eine Synästhesie5 erzeugt, da die Aussage „Herz erklingt“ durch das Verb „erklingen“ auditiv erscheint, eigentlich aber eine sensitive Wahrnehmung beinhaltet, da das lyrische Ich Freude ausdrücken will. Der Gesang der Vögel ist wiederum ein typisch romantisches Motiv (II, V. 2-4).
In Vers 5 findet man eine Alliteration6, die zugleich einen Binnenreim darstellt. Die Wortwahl deutet auf Sehnsucht hin, da „Vergehen“ und „Verwehen“ etwas Endliches darstellen, das weiterzieht und schließlich seinen Tod findet. In diesem Fall ist das Ende des Erdenleids gemeint (II; V. 6), welches sich auf die beschriebene Welt in Strophe I rückbezieht. Auch hier wird eine formale Struktur durch den Inhalt geprägt, denn auch in Strophe I wird in den Versen 5/6 von der Erde/Welt gesprochen und daraufhin in den Versen 7 und 8 eine Aufforderung gestellt, die etwas Positives bewirken soll.
In Strophe II geht es um Auferstehen in Herrlichkeit, was sich als Aufbruch zu Neuem deuten lässt. Diese religiöse Komponente ist erneut ein typisch romantisches Motiv, da man vom rationalen Denken ablässt und eine überirdische Macht anbetet.
Strophe III beinhaltet einen Stimmungsumschwung, denn plötzlich ist nicht mehr von Herrlichkeit (II), sondern von Stille und Ernsthaftigkeit die Rede (III, V. 2).
Die ersten vier Verse sind im Präsens verfasst und handeln von der Entdeckung einer Schrift.
In Vers 2 findet man ein Oxymoron7, da die Wörter „still“ und „Wort“ nicht eindeutig zusammen passen, da ein Wort nicht still sein kann - andererseits kann man es still lesen oder sich nur denken. Durch diese Beschreibung wird „Wort“ personifiziert, denn Ernsthaftigkeit ist eine menschliche Eigenschaft. Gleichzeitig steht „Wort“ für mehrere Worte, wie man aus den folgenden Versen entnehmen kann, und ist daher eine Synekdoche8. Ebenfalls ist eine Synästhesie zu finden, denn der auditive Sinn vermischt sich mit dem visuellen (III, V. 1/2), der durch das Lesen in Anspruch genommen wird.
Die zweite Hälfte der dritten Strophe ist im Perfekt verfasst und handelt von der Situation nach der Lektüre der Schrift. Durch das eben Gelesene erhält das lyrische Ich offenbar eine Erleuchtung. Es werden Wörter wie „schlicht“, „wahr“ und „klar“ benutzt, die den Eindruck des neuen Wissens verstärken.
Strophe IV erscheint wie eine Folge aus Strophe III, denn nun spricht das lyrische Ich gegensätzlich zu Strophe I vom Verlassen des Waldes. Es spricht erneut den Wald direkt an, um ihn auf den baldigen Abschied hinzuweisen. Die Strophe ist im Futur geschrieben und handelt von den neuen Plänen, aber auch von der Zukunftsangst des lyrischen Ichs.
In Vers 2 wird ein Pleonasmus9 angewandt, denn dass jemand in der Fremde fremd ist, ist bereits offensichtlich. Die Aussage des Wortes „Fremde“ wird somit durch Hervorhebung verstärkt. Hierin zeigt sich deutlich die Angst des lyrischen Ichs vor dieser ihm bevorstehenden Veränderung in Form einer Reise in die Welt außerhalb des Waldes.
Es scheint zunächst aus der Einsamkeit zu den Menschen zurückkehren zu wollen da es nun von „Leben“ und „bunt bewegten Gassen“, welche eine Alliteration formen, und des „Lebens Schauspiel“ spricht. Diese Begriff sind eigentlich positiv besetzt, jedoch nimmt man dem lyrischen Ich diese Fröhlichkeit nicht wirklich ab, da es im gleichen Satz diese Freude stark relativiert, indem es wieder Der Tod des Herzens wird schließlich genannt, wobei „Herz“ wahrscheinlich als Metapher10 für „Seele“ steht (IV, V. 4-8). Vers 8 ist eine Periphrase11, denn es ist der frühe Tod gemeint. Auch hier lassen sich erneut romantische Motive wie Fernweh und „Herzschmerz“ finden.
Insgesamt ist das Gedicht möglicherweise so zu deuten, dass das lyrische Ich zunächst die Einsamkeit sucht und diese im Wald findet. In Strophe III findet jedoch ein Stimmungsumschwung statt, der bewirkt, dass das lyrische Ich sich vom Wald (der Einsamkeit) verabschiedet, um das „wahre Leben“ kennenzulernen. Da die Romantik eine Art Gegenbewegung zur Aufklärung ist, kann man davon ausgehen, dass das lyrische Ich lieber allein im Wald bleiben würde (Realitätsflucht in die Natur als romantisches Motiv), es aber als notwendiges Übel ansieht, doch in die Stadt zu ziehen, obwohl es weiß, dass es an diesem hektischen Ort nicht glücklich werden wird und somit möglicherweise den (Seelen-)Tod sterben wird.
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