Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Abschied“ von Joseph von Eichendorff wurde 1810 verfasst und entstammt somit der Epoche der Romantik. Inhaltlich schildert Eichendorff ein Lyrisches Ich, das im romantischen Sinne Gottes Wort in der Natur findet, bevor es in die Aufklärung zurück muss. Eichendorff thematisiert dabei die Schönheit der Natur sowie die Natur als regenerativen Rückzugsort und Begegnungsstätte mit Gott. Eichendorff appelliert vermutlich die Rückbesinnung auf Gottes Wort als kategorischen Imperativ, um sich im romantischen Sinne treu zu bleiben. Diesem Interpretationsansatz wird im Folgenden gemäß der linearen Vorgehensweise nachgegangen.
Formal lässt sich anmerken, dass das Gedicht in vier Strophen à acht Verse gegliedert ist. Der Kreuzreim verdeutlicht die Verschränkung zwischen dem Lyrischen Ich und der Natur. So wie die Reime miteinander verschränkt sind, so sind auch das Lyrische Ich und die Natur ineinander verflochten. Der drei hebige Jambus betont die Freude des Lyrischen Ichs in der Natur. Eichendorff verwendet das Indikativ Präsens und ein aktives Lyrisches Ich, um den Leser am Glück des Lyrischen Ichs in der Natur teilhaben zu lassen. Das Gedicht ist sowohl im Zeilenstil1 als auch in Enjambements2 geschrieben, wodurch Eichendorff einerseits die rigiden Strukturen der Aufklärung darstellt und andererseits die unkontrollierbare Liebe zur Natur. Eichendorff verwendet außerdem typisch romantische Motive wie die Natur als regenerativen Rückzugsort.
In der ersten Strophe führt Eichendorff den Leser in die Aufklärung und die Romantik ein und beschreibt dabei den Abschied des Lyrischen Ichs von der Natur.
Zunächst stellt Eichendorff die Natur als typisch romantischen Ort dar und etabliert das Lyrische Ich als typischen Romantiker, da es die Natur idealisiert. Eichendorff führt in der ersten Strophe in das für die Romantik typische Motiv „Wald“ (V.2) ein. Der Wald ist als Teil der Natur ein Symbol für die Romantik. Eichendorff stellt durch das frühe Erwähnen des Waldes den Ort der Natur als Ort des Romantikers dar. Das Lyrische Ich spricht die Natur mir der Apostrophe3 „O Täler[…], O Höhen“ (V. 1) an, um eine feierliche Atmosphäre zu kreieren. Die feierliche Atmosphäre betont die Wertschätzung die das Lyrische Ich für die Natur verspürt. Durch die Wertschätzung, die das Lyrische Ich für das typisch romantische Symbol der Natur verspürt zeigt Eichendorff auch die Verbundenheit die das Lyrische Ich mit der Romantik verspürt und stellt das Lyrische Ich somit als Romantiker dar.
Außerdem stellt Eichendorff die Beziehung zwischen dem Lyrischen Ich und der Natur als ein sehr persönliches Verhältnis dar. Das Lyrische Ich spricht die Natur mit dem Personalpronomen4 „Du“ (V. 3) an, wodurch Eichendorff ein persönliches Verhältnis etabliert. So wie das Pronomen persönlich ist, so ist auch das Verhältnis zwischen dem Lyrischen Ich und der Natur persönlich. Die Antithese5 „Lust und Wehen“ (V. 3) gibt dem Leser einen Grund für die innige Beziehung: Das Lyrische Ich kann das ganze Spektrum seiner Gefühle in der Natur ausleben. So wie die Antithese den Sprung zwischen den beiden Enden der Gefühlserlebnissen hervorhebt, so kann auch das Lyrische Ich beide Enden der Gefühlserlebnisse und somit das komplette Gefühlsspektrum in der Natur ausleben. Die „A“ Alliteration6 „Andächt’ger Aufenthalt!“ (V. 4) erzeugt dabei Assoziationen mit der Kirche, sowie eine harmonische Atmosphäre, die durch die Exklamation7 verstärkt werden. So wie die Alliteration perfekt zusammen passt, so gibt es auch zwischen Mensch und Natur perfekte Harmonie. Eichendorff etabliert die Natur als Ort zum „Aufenthalt“ (V. 4) der „Wehen“ (V. 3), also Gefühlen, und zeigt dem Leser daher, dass der Mensch sich in der Natur selbst finden und regenerieren kann.
Des Weiteren wertet Eichendorff die Stadt als Ort der Aufklärung ab, indem er sie mit der Natur kontrastiert. Die „geschäft’ge Welt“ (V. 6), die sich „draußen“ (V. 5), also raummetaphorisch weit weg von dem inneren, wahren Sitz des Menschen befindet wird durch das Verb „betrogen“ (V. 5), das negative Konnotationen8 hat, abgewertet. Außerdem führt die Onomatopoesie „Saust“ (V. 6) dem Leser die Hektik in der Aufklärung vor Augen. Diese steht im Kontrast zu der Harmonie, die in der Natur herrscht und betont daher die Entfremdung in der Aufklärung.
Zuletzt verabschiedet sich das Lyrische Ich von der Natur und geht vermutlich in die Stadt. Eichendorff verwendet den Imperativ „Schlag“ (V. 7), um die Bedeutung der Natur für den Romantiker zu verdeutlichen. So wie das Lyrische Ich der Natur befiehlt sich noch einmal um sich zu begeben, so möchte es unbedingt verhindern die Natur zu verlieren. Die Metapher9 „grünes Zelt“ (V. 8) veranschaulicht dem Leser den Schutz und die Geborgenheit die das Lyrische Ich in der Natur sucht. So wie ein Zelt ein Ort der Geborgenheit in einer fremden Umgebung ist, so ist auch die Natur ein Ort der Geborgenheit in der entfremdeten Aufklärung.
Daher führt Eichendorff den Leser in der ersten Strophe in die Aufklärung und die Romantik ein und beschreibt dabei den Abschied des Lyrischen Ichs von der Natur.
In der zweiten Strophe bringt Eichendorff die Schönheit der Morgendämmerung in der Natur zum Ausdruck und zeigt dem Leser dadurch die regenerative Kraft der Natur.
Zunächst bringt Eichendorff die Schönheit der morgendlichen Natur zum Ausdruck. Die Verben „dampft und blinkt“ (V. 10) haben Assoziationen mit Magie, da sie für Menschen oft unerklärlich sind. Die Verben beschreiben außerdem den Morgennebel und den glitzernden Tau. Eichendorff präsentiert die Natur daher als magisch und unvorstellbar schön.
Daraufhin beschreibt Eichendorff die Reaktion des Lyrischen Ichs auf die Schönheit der Natur. Zunächst verdeutlicht die Synästhesie10 „Herz erklingt“ (V. 12) die fröhliche Reaktion des Lyrischen Ichs auf die Schönheit der Natur. Die Synästhesie zeigt, dass das Lyrische Ich die Freude mit allen Sinnesorganen spüren kann, und verdeutlicht somit die Freude. Der Binnenreim „vergehn, verwehn“ (V. 13) lässt die Reaktion des Lyrischen Ichs spielerisch Erscheinen und zeigt daher auch das Gefühl der Leichtigkeit, dass durch die Natur in dem Lyrischen Ich evoziert wird. So wie der „[wehende]“ Binnenreim sehr leicht ist, so fühlt sich auch das Lyrische Ich in der Natur leicht und fröhlich. Auch die Metapher des „trüben Erdenleids“ (V. 14), die für die Sorgen der Menschen steht vergeht spielerisch mit der Freude an der Natur. Eichendorff verwendet außerdem biblische Referenzen zu der Auferstehung Jesu und sagt das „Auferstehen in junger Herrlichkeit“ (V. 15f.) voraus. Der Mensch regeneriert somit in der Natur, was die Natur als Ort der Regeneration und Erholung darstellt.
In der dritten Strophe etabliert Eichendorff die Natur als Begegnungsstätte mit Gott, in der man Gottes Wort als kategorischen Imperativ aufnehmen kann.
Zunächst stellt Eichendorff die Verbindung von Gottes Wort in der Natur her. Ein „stilles, ernstes Wort von rechtem Tun und Lieben“ (V. 18f.) beschreibt eine Richtlinie für richtiges Handeln, also Gottes Wort als kategorische Imperativ. Dieses steht „im Wald geschrieben“ (V. 17) und kann somit in der Natur aufgenommen werden. Die Natur dient dem Menschen also als Begegnungsstätte mit Gott und folgt somit dem pantheistischen Weltbild nach Spinoza, da Gott überall in der Natur gefunden werden kann.
Weiterhin erkennt das Lyrische Ich typisch für den Romantiker Gottes Wort als kategorischen Imperativ. Das Lyrische Ich hat Gottes Wort „treu gelesen“ (V. 21) und folgt den Anweisungen somit. Außerdem wird Gottes Wort „durch [sein] Wesen unaussprechlich Wahr“ (V. 23f.), was die Wichtigkeit Gottes Wortes betont. Das Numeral „ganzes“ betont wie umfassend Gottes Wort für den Romantiker ist und zeigt daher, dass das Lyrische Ich Gottes Wort als kategorischen Imperativ aufnimmt.
In der letzten Strophe beschreibt Eichendorff den Abschied des Lyrischen Ichs aus der Natur und betont die Überlegenheit des Lyrischen Ichs als Romantiker in der Aufklärung.
Zunächst führt Eichendorff den Leser in den Abschied des Lyrischen Ichs ein. Die Figura Etymologica „Fremd in der Fremde gehen“ (V. 26) zeigt einerseits, dass der Romantiker die Natur als regenerativen Rückzugsort verlässt, da er „Fremd […] geht“ (V. 26) und andererseits, dass der Romantiker in der Aufklärung der Fremde ist da er in die „Fremde [geht]“ (V. 26).
Zudem zeigt Eichendorff, dass das Lyrische Ich in der Aufklärung neue Erfahrungen machen will, und die Aufklärung somit nicht immer zu umgehen ist. Die farbmetaphorisch „bunten Gassen“ betonen die Vielfalt an Erlebnissen in der Aufklärung. So wie etwas Buntes aus vielen Farben besteht, so gibt es auch in den Gassen der Aufklärung viel Neues zu entdecken. Die Theathermetaphorik „des Lebens Schauspiel“ (V. 28) zeigt einerseits, dass es in der Aufklärung so wie im Theater unterhaltend sein kann, jedoch zeigt sie auch, dass das Leben in der Aufklärung wie auch das Theater gespielt und nicht echt ist.
Eichendorff gibt dem Romantiker in der Aufklärung die Rückbesinnung auf Gottes Wort als Lösungsansatz, um der Entfremdung der Aufklärung nicht zu verfallen. Das Lyrische Ich spricht Gott mit dem Possessivpronomen „deines“ (V. 30) direkt an und sagt voraus, dass Gottes „Ernsts Gewalt“ (V. 30) wird. Gottes Wort wird daher im Laufe des Lebens wahr werden und sollte deshalb in der Aufklärung als kategorischer Imperativ verwendet werden.
Zuletzt deutet Eichendorff darauf hin, dass das Lyrische Ich sich so im romantischen Sinne treu bleiben wird und moralisch über den Anderen in der Aufklärung steht. Das Lyrische Ich wird sich „Einsamen erheben“ (V. 31) und seht somit Raummetaphorisch moralisch üben den Anderen.
Außerdem wird so sein „Herz nicht alt“ (V. 32). Das Herz dient als Symbol für den wahren Sitz des Menschen und verdeutlicht daher, dass das Lyrische Ich mithilfe Gottes Wort auch in der Aufklärung stark bleiben wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Eichendorff die Natur typisch für die Romantik idealisiert und als regenerativen Rückzugsort und Begegnungsstätte mit Gott beschreibt. Außerdem stellt Eichendorff Gottes Wort als kategorischen Imperativ dar und zeigt diesen als Lösungsansatz zur Verhinderung der Entfremdung in der Fremden Aufklärung auf. Besonders in der heutigen Welt, die stark von der Aufklärung geprägt ist, lässt sich Eichendorffs Lösungsansatz umsetzen und ist daher von besonderer Bedeutung.