
Drama: Nathan der Weise (1779)
Autor/in: Gotthold Ephraim LessingEpoche: Aufklärung
Die vorliegende Erörterung bezieht sich auf das Gesamtwerk.
Die vorliegende Erörterung bezieht sich auf das Gesamtwerk.
Thema: Freundschaft - die notwendige Basis für Menschlichkeit?
Aufgabe: Erörtern sie auf der Grundlage des folgenden Textes, ob und inwieweit Nathan als Erzieher auf einen offenen Dialogpartner angewiesen ist.
Text:
„Eine Beziehung zu Dialogpartnern gestaltet Nathan individuell. Gemeinsam ist den intensiven Interaktionen mit Gesprächspartnern ein Minimalkonsens über die Anerkennung menschlicher Werte, sei es die Begegnung mit dem Tempelherrn, die von wechselseitiger Zuneigung getragen ist oder die einseitig gebliebene Interaktion mit dem Sultan. Freundschaft ist beide Male aufgehoben in Menschlichkeit, so dass Freundschaft ohne Rückbindung an das Humanum sein Fundament verlöre.
Fragt man, mit wem Nathan nicht Freundschaft schließt (dem Klosterbruder, dem Patriarchen, Daja und Sittah) oder wem er sie wieder aufkündigt (AlHafi), dann fällt Folgendes auf: Widersacher und Feinde versucht Nathan dadurch zu Freunden zu gewinnen, dass er ihnen den Grund ihrer feindseligen Einstellung nimmt. Nach offenem Gedankenaustausch mit Nathan müssen seine Kontrahenten erkennen, dass ihnen die Ursachen zur Kontroverse entzogen wurden, dass sie ihr Sündenbocksyndrom nicht aufrechterhalten können. Nathans Strategie, Feindschaft mit den Mitteln der Vernunft in Freundschaft zu überführen, ist darauf angewiesen, dass der Interaktionspartner dem rationalen Argument zugänglich ist, dass er sich der unerwarteten Gesprächsführung nicht verschließt.
Wenn der Widerpart Nathan dazu motiviert, seine Mitmenschen durch Achtung und Vertrauen enger an sich zu binden, dann scheiden andere Dialogpartner für ihn als Herausforderung aus, an denen er seine erfolgversprechende humane Mission erproben kann.“
(Friedhelm Zubke; Motive moralischen Handelns in Lessings „Nathan der Weise“)
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Analyse und Erörterung
Das fünfaktige Drama „Nathan der Weise“ Gotthald Ephraim Lessing wurde erstmals in 1779 veröffentlicht und gilt heute als eines der bedeutendsten Dramen der Aufklärung. Lessings dramatisches Gedicht beschäftigt sich hauptsächlich mit den Themenschwerpunkten Humanismus und Toleranz. Dabei spielt das Hinterfragen von verschiedenen Glaubensrichtungen und das Streben nach Akzeptanz dieser Religionen eine große Rolle. Aufgrund dieser Themenkomplexe wird das Werk „Nathan der Weise“ der Zeit der Aufklärung zugeordnet.
Die Aufklärung war eine von der Emanzipationsbewegung des europäischen Bürgertums im 17. und 18. Jahrhundert geprägte Epoche. Das europäische Bürgertum protestierte gegen die Bevormundung durch den Adel und strebte nach mehr Gleichberechtigung, Freiheit und Brüderlichkeit. Philosophen und dichter fingen an, die Herrschaftsform des Adels zu kritisieren. Sie nahmen somit die Rolle des Erziehers an und regten damit die einfachen Bürger dazu an, sich selbst sowie ihre Umwelt kritisch zu hinterfragen. Die Bürger sollten keine Angst haben selbstständig zu denken, damit sie daraus resultierend vernünftig handeln konnten. Einer dieser Erzieher war der Dichter und Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing.
Als Lessing am 7. Mai 1770 Bibliothekar in Wolfenbüttel wurde und dort nach einigen Jahren deistische Schriften seines verstorbenen Freundes Reinmarus veröffentlichte, stieß er auf viel Kritik von der orthodoxen Kirche. Lessings Hauptgegner war jedoch der Hauptpastor Johann Melchior Goeze, gegen den Lessing Anti -Goeze benannte Schriften verfasste. Daraufhin verordnete dieser ein Publikationsverbot für sämtliche theologische Stellungsnahme Lessings. Aus diesem Anlass kehrte Lessing zurück zu seiner alten Kanzel, dem Theater, wo er den Fragmente -Streit mit dem Stück „Nathan der Weise“ weiterführte.
Das dramatische Gedicht spielt in der Zeit des dritten Kreuzzuges während eines Waffenstillstandes in Jerusalem. Als der jüdische Kaufmann Nathan nach einer langen Handelsreise nach Hause zurückkehrt, erfährt dieser von der Rettung seiner Tochter Recha. Diese wurde von einem Tempelherrn von dem Feuertod gerettet. Er verdankt sein eigenes Leben einer Begnadigung durch den Sultan Saladin. Nathan schafft es nach einem langen Gespräch, den Tempelherrn dazu zu bewegen, den Dank seiner Tochter entgegenzunehmen.
Sultan Saladin, der viel Gutes von Nathan gehört hat, ruft Nathan zu sich, um seine Freigiebigkeit und Klugheit auf die Probe zu stellen und fragt ihn aufgrund dessen nach der „wahren Religion“. Natan antwortet mit der Ringparabel und hinterlässt damit beim so den großen Eindruck. Inzwischen hat sich der Tempelherr in Recha verliebt und begehrt sie zur Frau. Doch als er von der Adoption und der Angehörigkeit zum Christentum erfährt, bittet er den Patriarchen um Rat. Der will Nathan mit einer Intrige zu Fall bringen, schickt jedoch dafür den frommen Klosterbruder, welcher letztendlich die entscheidenden Hinweise ans Licht bringt. Es stellt sich raus, dass der Tempelherr und Recha Geschwister und die Kinder des Verstorbenen Sultan Saladin sind. Somit hat Nathan nicht nur eine Familie zusammengeführt, sondern auch unbewusst für die Vereinigung der drei großen Weltreligionen in einer Familie gesorgt.
Der vorliegende Text, beschäftigt sich mit Nathans eigener Art und Weise, Dialoge mit seinen Mitmenschen zu führen, welche er letztendlich dafür nutzt, um auf mehr Aufgeschlossenheit und Offenheit bei denjenigen zu stoßen. Seine Dialogpartner sind dabei hauptsächlich sehr inkompetent und beharren auf ihrer eigenen Meinung und Weltanschauung. Diese Intoleranz schafft Nathan jedoch mit seinen eigenen Mitteln zu lockern und kann dadurch eine freundschaftliche Basis zu seinen Dialogpartnern aufbauen.
Der erste Part des Textes stellt die Behauptung auf, dass Nathans Dialogpartner, insbesondere der Tempelherr und der Sultan eine eher intolerante Grundeinstellung besitzen, welche ein sehr eingeschränktes Denken zufolge hat und Nathan bei ihnen mehr auf Ablehnung als auf Aufgeschlossenheit stößt.
Dies wird vor allem bei dem Tempelherrn deutlich. Der Tempelherr ist durch seine Arroganz gegenüber Juden kein einfacher Dialogpartner für Nathan. Der Tempelherr rettet Nathans Adoptivtochter Recha aus dem Flammen und bereut es schnell wieder als er von ihrer Angehörigkeit zum Judentum erfährt. Dies zeigt deutlich, dass er nur menschlich im Sinne seiner Religionen gehandelt hat. Im Anschluss behauptet er nämlich, dass er die Rettung des Mädchens nicht vollführt hätte wenn er bereits von Anfang gewusst hätte, dass sie einer anderen Glaubensrichtung angehört. Hier wird stark deutlich, dass seine fehlende Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Weltanschauungen für weniger menschliches Handeln sorgt. Nathan konnte zwar nach einem langen Erziehungsgespräch die Meinung des Tempelherrn ändern und ihn für kurze Zeit die Wichtigkeit der Toleranz und Humanität näherbringen, jedoch ist dieser dann durch den Einfluss des Patriarchen wieder in seiner alten Verhaltensmuster zurückgefallen.
Es wird somit deutlich gezeigt, dass Nathan auf eine gewisse Offenheit und Toleranz seines Dialogpartners angewiesen ist, um seine „Erziehung“ erfolgreich und langanhaltend absolvieren zu können.
Dieses Phänomen ist ebenfalls bei der Figur des Sultans Saladin zu beobachten. Erst durch die Ringparabel kann Nathan den Sultan überzeugen, dass es keine „wahre Religion“ gibt und ihn somit zu mehr Verständnis und Aufgeschlossenheit bringen. Nach dem erfolgreichen Gespräch bietet Saladin sogar die Freundschaft an. Dies zeigt noch mal deutlich den Prozess, dass Aufklärung und Erziehung zur Toleranz und Offenheit, welche dann zu menschliches Handeln und Vernunft führt.
Im Folgenden behauptet der Text, dass die Figur des Nathans die Erziehung durch Dialoge auch mit seinen Feinden und absoluten Gegenspieler versucht auszuführen. Nathan versucht dementsprechend mit vernünftigen und freundschaftlichen Argumenten seine Gegner auf den Pfad der Toleranz und Vernunft zu führen. Dabei muss er aber auf ein gewisses Verständnis seiner Argumentation stoßen. Auch wenn diese auf den ersten Blick scheinbar nicht vorhanden ist, schafft Nathan fast bei jedem seiner Dialogpartner die Erziehung zu einem offenen und rational denkenden Menschen erfolgreich zu vollführen. Bei einer Figur im Werk „Nathan der Weise“ ist es jedoch fast unmöglich, solch ein Prozess möglich zu machen. Die Figur des Patriarchen stellt einen machtbewussten, sehr autoritären Kirchenpolitiker dar, welcher kaum bis gar keinen Funken von Aufgeschlossenheit und Interesse an der Freundschaft Nathans zeigt. Ganz im Gegenteil, der Patriarch möchte aufgrund der Erziehung von Nathans Tochter Recha zur Jüdin, wobei sich letztendlich rausstellt, dass sie zum christlichen Glauben angehört, Nathan der Todesstrafe unterziehen. Dieses unmenschliche und grausame Verhalten des Patriarchen resultiert daraus, dass der Patriarch in keinster Weise daran interessiert ist die Argumente anderer Menschen zu verstehen, über diese nachzudenken und letztendlich diese zu hinterfragen. Dadurch wird er nicht nur zum kompletten Gegenspieler von Nathan, sondern auch der Prinzipien der Aufklärung, welche die Figur des Nathans verkörpert. Dies zeigt deutlich, dass es nur schwer ist, eine vernünftige Erziehung zu mehr toleranten und rationalen Verhalten zu erreichen. Der Patriarch ist wohl das bedeutendste und beste Beispiel, dass das Fehlen der Offenheit gegenüber anderen Argumentation und Ansichten zu keinen guten oder sogar zu gar keinen erfolgreichen Erziehungsergebnissen führt. Dies führt zu der nächsten Behauptung des Textes.
Im letzten Part des vorliegenden Textes geht der Autor auf Nathans Motivation sich mehr um seine Mitmenschen zu kümmern und die Freundschaft mit ihnen zu verstärken ein. Es wird deutlich gezeigt, dass Nathan nach seinen erfolgreichen Erziehungsgesprächen seine Dialogpartner nicht aufgibt und sich weiterhin um eine Freundschaft bemüht und diese auch pflegt. Das kann man so gut wie bei jedem seiner Dialogpartner, welche Nathan mit seinem Gespräch erzogen hat, feststellen. Seine Gegenspieler oder die Menschen, welche nicht bereit waren, eine Form von Offenheit zu zeigen, lässt Nathan zwar nicht unberührt mit seinen Gesprächen, aber geht nicht weiter auf diese ein, wenn sie sich gegen Toleranz, Humanität und Rationalität stellen. Dieses Phänomen kann man, wie schon erwähnt, bei dem Patriarchen, aber auch bei Daja, die christliche Erzieherin Rechas, beobachten. Als Nathan bei seiner Adoptivtochter den Prozess der Erziehung vom „Wahn“ zur „Wahrheit“ erfolgreich absolviert hat, wollte Daja nicht auf Nathans Argumentation eingehen und blieb bei ihrer naiven Vorstellung und wahnsinnigen Träumen. Auffallend ist, dass diese Figuren nicht in der letzten Szene im Buch, als sich herausstellt, dass die Figuren, die Nathan zu toleranthandelnden Menschen erzogen hat, allesamt miteinander verwandt sind, nicht auftauchen oder keine Familienangehörige sind. Zwar wird Nathan ebenfalls nicht dazu gezählt, jedoch war er es, der diese Vereinigung zustande gebracht hat. Somit hat er alle Personen, die bereitwillig waren, ihm zuzuhören und eine gewisse Offenheit gezeigt haben, auf den Pfad des Glücks und Zufriedenheit gebracht.
Abschließend kann man sagen, dass Nathan als Aufklärer auf die Offenheit und Aufgeschlossenheit seiner Dialogpartner zählen muss. Auch wenn diese anfangs schwer zu erkennen ist oder erst im Laufe der Erziehung sichtbar wird, hat es einen großen Vorteil um die Erziehung erfolgreich zu absolvieren. Es wird ebenfalls der Konflikt zwischen den drei Weltreligionen gezeigt, der in der heutigen Zeit auch anzutreffen ist. Lessing zeigt jedoch mit seinem Werk „Nathan der Weise“ und besonders mit der Figur des Nathan, dass die Figuren im Buch durch eine Form von Bereitwilligkeit des Zuhörens der Argumentation einer anderen Person, Toleranz und Menschlichkeit entwickeln können. Aufgrund dessen kann man Aufgeschlossenheit und die daraus resultierende Freundschaft zu dieser toleranten Person als notwendige Basis für Menschlichkeit sehen.