Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
1815 schrieb Joseph von Eichendorff, der als romantische Dichter schlechthin gilt, ein Gedicht namens Zwielicht. In diesem Gedicht wird die Jagd während der Dämmerung thematisiert, Es wirkt entgegen seiner sonst harmonisch dargestellten Beziehung zwischen Mensch und Natur eher bedrohend.
Das Gedicht besteht aus vier Quartetten, welche mit einem regelmäßigen vierhebigen Trochäus einen fließenden Rhythmus haben. Die Verse enden auf einen umarmenden Reim. In diesem Rollengedicht tritt das lyrische Ich in einer Art Weiser auf und versucht dem Leser eine Lehre zu erteilen und ihn zu warnen. Schon durch die Personalpronomen1 „du“ (V. 5/9) und „dich“ (V. 16) wird der Leser persönlich angesprochen. Für jeden Vers gibt es eine Sinneinheit bzw. einen Haupt- oder Nebensatz. Es tauchen Archaismen auf („hienieden“ V. 9 und „sinnt“ V. 12), wodurch es eine etwas gehobene Ausdrucksweise bekommt. Das Gesamte Gedicht ist als eine Metapher2 aufzufassen, wie auch schon der Titel es impliziert. Es wird eine argumentative Darlegung erkennbar, in der jede Strophe ein Zwischenergebnis und zuletzt eine Schlussfolgerung präsentiert wird.
In der ersten Strophe wird der Wald als Setting vorgestellt. Durch die Metapher der Flügel, die sich „spreiten“ wollen, breitet sich die Dämmerung aus und es wird immer dunkler. Die unheimliche Stimmung wird unter anderem durch die Bäume suggeriert, die sich „Schaurig“ rühren und die Wolke, die im Vergleich wie „schwere Träume“ ziehen. An dieser Stelle wird die Verwirrtheit des lyrischen Ichs deutlich, indem er die rhetorische Frage stellt, was denn das Graun zu bedeuten habe, und diese auch noch in dem Vers zuvor mit einem Gedankenstrich punktiert. Durch diese Strophe wird ebenfalls der psychische Zustand des Erzählers deutlicher. Der Anblick einer Dämmerung wirkt so einschüchternd und so unheimlich auf ihn, dass es scheint, als hätte er den Bezug zur Realität verloren und nicht mehr weiß, wo schon der Traum beginnt. Er fühlt sich von der Natur bedroht und fürchtet sich.
In der zweiten Strophe wendet sich das lyrische Ich warnend an den Leser. Wenn man ein Reh vor allen andern bevorzuge, solle man dieses immer im Auge behalten. Der Leser wird in Vers 5 mit „du“ persönlich angesprochen und Vers 6 steht in der Befehlsform, wodurch dessen Aufmerksamkeit auf diesen Vers gerichtet wird. Anschließend begründet das lyrische Ich seine Aufforderung dieses bevorzugte Reh nicht „alleine grasen“ zu lassen mit der Aussage, dass weitere Jäger im Wald herumstreifen und „blasen“ womit das jagen samt Jagdhorn gemeint ist, wodurch seine übermäßige Vorsicht zu Tage kommt. Zwar scheine es nur so, als würden sich die Stimmen entfernen, doch kommen sie immer wieder (Vers 8). In dieser Strophe kann man schon die Bedeutung des Titels mit einbeziehen. Denn hier beginnt das Gedicht schon eine zwielichtige Bedeutung zu bekommen. Dieses Reh kann als eine Geliebte gesehen werden, die beispielsweise vom lyrischen Ich oder sogar vom Leser selbst geliebt wird. Für ein Reh gilt oft die Bedeutung für ein zierliches, unschuldiges Wesen, welches beschützt werden muss. Wenn man nun eine Geliebte gefunden hat, die man allen anderen vorzieht, muss man diese auch vor allem auch vor den Jägern, also anderen konkurrierenden Männern, die ihr alle nur böses wollen, beschützen, da man selbst nur gutes für sie wünscht. Er stellt sich also zum Schutz der Einen fast gegen die gesamte Welt.
In der dritten Strophe spricht das lyrische Ich sein Misstrauen aus. Er sagt, dass man selbst einem guten Freund nicht trauen darf, was schon fast von Verfolgungswahn zeugt. Dass man sich zwar weiterhin freundlich ihm gegenüber verhalten soll – also wieder zwielichtig – aber dennoch ihm immer misstrauen sollte, da auch dieser genauso zwielichtig im „tückischen Frieden“ nach Krieg „sinnt“ (V. 12). Um wieder auf die Metaphorik einzugehen, hieße das, dass permanent die Gefahr bestehe, dass des Lesers Geliebte durch den Freund des Liebenden diesem ausgespannt werden könne. Um genau diesem vorzubeugen, sollte der Liebende diese niemals aus den Augen lassen.
In der vierten, antithetisch aufgebauten Strophe folgt eine Schlussfolgerung. In den Versen 13/14 wird eine durchaus optimistische Einstellung deutlich. Was heute unter gehe, könne morgen wieder „neugeboren“ (V. 14) werden. Im semantischen Feld der Jagd ist wahrscheinlich die Sonne gemeint, die abends untergeht, aber am nächsten Tag wieder neu aufgeht. Als Metapher kann man sagen, dass dann vielleicht diese Liebe verloren gegangen ist, aber dennoch weiterhin die Möglichkeit besteht die angebetete für sich wiederzugewinnen oder eine neue Liebe zu finden. Der vorletzte Vers drückt die pessimistische Möglichkeit aus. Sie sagt, dass manches doch in der „Nacht verloren“ bleibe (V. 15). Also kann man doch auch sozusagen die Liebe seines Lebens vollkommen verlieren. Deswegen wird wieder mit einem Gedankenstrich der letzte Vers gewichtet eingeleitet, in dem die Schlussfolgerung und Aufforderung kommt, der Leser solle immer wach und munter sein und sich hüten damit dieser Verlust auch auf keinen Fall zustande kommt. Die Wichtigkeit dieser Strophe ist auch noch mit einem Ausrufezeichen hervorgehoben.
Man kann nun sehen, dass das lyrische ich sein gesamtes Leben, wie es in der Romantik üblich ist nach seiner großen Liebe auszurichten pflegt. Das semantische Feld der Jagd ist ebenso ein typisches Situationsmotiv für diese Epoche. Das lyrische Ich ist so von dem Gedanken besessen, seine Geliebte könne ihm von einer anderen weggenommen werden, dass er die Nacht zum Tag machen, auf seinen Schlaf verzichten würde, sein Körperwohls aufs Spiel setzten. Er ist misstrauisch gegen die gesamte Welt, um seine Geliebte bei sich halten zu können und sie vollkommen für sich einzunehmen. Das lyrische ich steht in völliger Disharmonie mit der Umwelt und sieht diese auch nur als Gefahr für sich und sein Objekt der Liebe an, wodurch seine schöne Welt zerstört werden könnte. Dass selbst ein guter Freund einen Feind darstellen könnte wirkt allerdings schon fast paranoid.