Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Aufgabe 1: Interpretation von „Begegnung“
Aufgabe 2: Erläuterung des Bezugs zu Aussagen von Wolfdietrich Rasch
I. Interpretieren Sie das Gedicht „Begegnung“ von Joseph von Eichendorff.
Das Gedicht Begegnung wurde 1837 von Joseph von Eichendorff veröffentlicht. Dieses Gedicht der Epoche der Romantik thematisiert eine fröhliche Wanderung eines lyrischen Ich, die durch die Begegnung mit einer ehemaligen Geliebten eine unerwartete Wendung erfährt. Kernaussage des Werkes ist die Wehmut des lyrischen Ich angesichts der Wiederbegegnung mit einer früheren Geliebten, wobei das lyrische Ich das Ende dieser Liebe scheinbar bedauert.
Die lyrische Form des Gedichts wird im Aufbau bestimmt durch drei Strophen mit jeweils sieben Versen. Das Reimschema besteht einheitlich aus Paar- und Kreuzreimen nach dem Schema abbabcc. Das Metrum1 ist im ganzen Gedicht ein Jambus, der hier drei- und vierhebig vorliegt. Die Kadenzen2 sind betont und nur die, deren Verse im Reimschema einem b entsprechen sind unbetont.
Die dargestellte Regelmäßigkeit des Reimschemas und insbesondere des Jambus als Metrum lassen einen rhythmischen sprachlichen Fluss entstehen und wecken so zusammen mit dem volkstümlichen Sprachduktus Assoziationen an ein Volkslied. Die Enjambements3 ermöglichen es dem lyr. Ich seine beiden Situationen in den Strophen 1 und 2 eingangs detaillierter zu beschreiben. Es herrscht ein parataktischer Satzbau vor, der die Prägnanz der einzelnen Verse erhöht und für eine leichte Lesbarkeit sorgt, die den Volksliedcharakter unterstreicht
Der inhaltliche Aufbau ist bereits durch die Einleitung in Strophen angedeutet. In der ersten wandert das lyrischen Ich fröhlich (V. 7) durch eine Gebirgslandschaft (V. 2,6) und sieht dabei eine Hochzeitsgesellschaft mit Musik und Gesang (V. 2-5). In der zweiten Strophe trifft das lyr. Ich diese Gesellschaft in einem Dorf wieder (V. 8), wo deren Teilnehmer dann anfangen zu tanzen (V. 9), wobei dem lyr. Ich eine junge Frau aufgrund ihrer Stimme auffällt (V. 11-12). Es ist überrascht und erkennt nun in der dritten Strophe die Frau als ehemalige Geliebte wieder (V. 15). Das Vergehen dieser Liebe bedauert es (V. 17), ein Vergehen das sich insbesondere dann ausdrückt, dass die Frau das lyrische Ich nicht wiedererkennt (V. 18). Im Gegensatz zur feiernden Hochzeitsgesellschaft beschreibt das lyr. Ich seine Wanderungsabsichten (V. 19-21).
Inhaltlich bildet die erste Strophe die Einführung in die allgemeine Situation und die beiden folgenden behandeln das Geschehen um die junge Frau. Trotzdem fällt die letzte Strophe durch ihren resignierenden Ton stark aus dem Muster des übrigen Gedichts und hat auch inhaltlich aufgrund ihres bedeutungsstraken Schlusses eine Sonderstellung.
Da die frühere Geliebte weiblich ist (V. 11), ist daraus – gerade im Epochenkontext – auf die Männlichkeit des lyr. Ich zu schließen.
Der Titel des Gedichtes stellt bereits durch das eine Wort „Begegnung“ prägnant heraus, dass eine Begegnung mit hoher Bedeutung folgen wird, wenngleich durch seine Prägnanz die inhaltliche Bedeutung ominös bleibt.
Sprachlich fällt bereits am Anfang das der Romantik typische Wandermotiv auf (V. 1), welches hier noch positiv konnotiert ist. Die ausgelassene Stimmung der Situation wird auch deutlich durch die positiv konnotierten Substantivierungen „Jauchzen“ und „Klingen“ (V. 5).
Außerdem wird die fröhliche Aufbruchsstimmung des Wanderers verstärkt durch das „Blühen“ (V. 6) und vor allem das Frühlingsmotiv (V. 1). Für die Fröhlichkeit der Hochzeitsgesellschaft wird auch das wiederkehrende Motiv der Geigen verwendet (V. 3, 10, 19). Die Fröhlichkeit der Frau wird durch die Alliteration4 „lacht laut“ (V. 11) akzentuiert.
Durch mehrere Bezüge auf eine Gebirgslandschaft mit „Tal und Höh’n“ (V. 6) wird das romantische Naturmotiv miteinbezogen und als Kulisse für die Handlung genutzt.
Als Stilmittel eines inhaltlichen Bruchs sind auch die Gedankenstriche (V. 13, 18) zu verstehen, die einmal die Verwirrung des lyrischen Ich unterstreichen (V. 13) und einmal die Schlusspointe einleiten (V. 18).
In dieser Schlusspointe wird der schon erwähnte Gegensatz zwischen der fröhlichen Hochzeitsgesellschaft und der Wanderlust des lyrischen Ich deutlich. Das Wandermotiv wird auch durch das Tempus des Präsens hervorgehoben, denn das übrige Gedicht steht mit einer Ausnahme (V. 17) im Präteritum.
Im Kontext der Strophe, also der unglücklichen Liebe, erscheint die Wanderlust im Gegensatz zum ersten Vers eher negativ konnotiert zu sein: Durch das Streben in die Unendlichkeit der Welt wird die Endlichkeit der irdischen Liebe offenbar.
Zwar zeigt das Werk nicht auf, warum die Liebe einst zerbrach, aber gerade durch das Wandermotiv wird die Unerfüllbarkeit der Liebe angedeutet. Wahrscheinlich kann das lyr. Ich langfristig seine Wehmut überwinden, da es ja bereits am Anfang des Gedichts trotz der zerbrochenen Liebe fröhlich war.
Das Gedicht greift von der Epoche der Romantik das Motiv der unerfüllten Liebe auf, welches sich hier aus einer ursprünglich fröhlichen Situation heraus entwickelt. Die Resignation treibt das lyr. Ich in die Ferne, auf der Suche nach der Vollkommenheit, die es in der Liebe nicht fand.
II. Erläutern Sie – ausgehend von Ihren Interpretationsergebnissen und mit Bezug auf das Gedicht die Aussagen von Wolfdietrich Rasch. (Material 2)
Material 2: „Es wäre […] verfehlt, Eichendorff für harmlos, für freundlich-ahnungslos und allzu unbeschwert zu halten […]. Wer in Eichendorffs […] Dichtung jede echte Spannung vermisst und die Molltöne der Schwermut, des bitteren Schmerzes, der dunkelen Verlorenheit überhört, der täuscht sich.“
Aus: Joseph von Eichendorff: Werke. Hrsg. von Wolfdietrich Rasch. 4., durch Anmerkungen erw. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971, S. 1618. Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen den Textquellen.
Wolfdietrich Rasch merkt hier an, dass neben den offensichtlich freundlich-unverfänglichen Teilen der Lyrik Joseph von Eichendorffs auch jene von eher wehmütig-schmerzhaftem Charakter gewürdigt werden sollten. Rasch zufolge müssten also die „freundlichen“, die positiv gestimmten Teile der Eichendorffschen Lyrik leichter zu erkennen sein als die anderen, „die Molltöne der Schwermut“, da man ja andernfalls die anderen kaum so einfach überhören könnte.
Genau das ist bei dem Gedicht Begegnung der Fall.
Dieses Werk ist in weiten Teilen von positiven Attributen dominiert; wir hören von Musik (vgl. V. 3,10), Lachen und Fröhlichkeit (vgl. V. 5,11) sowie von hübschen Naturbildern (V. 6). Selbst als das Gedicht inhaltlich durch die Wiederbegegnung mit der ehemaligen Geliebten ins Negative umschwenkt, wird die Trauer hierüber nur angedeutet (vgl. V. 17,18) und nicht sprachlich ausgebreitet und verarbeitet.
Der „negative“ Kern des Schwermuts steckt nur in den drei Versen der Schlusspointe (vgl. V. 19-21), wobei er hier durch den Kontrast zur weiter fröhlich feiernden Hochzeitsgesellschaft (vgl. V. 19) etwas herausgestellt wird. Die Trauer des lyr. Ich steckt nur in der Ankündigung einer Wanderung (vgl. V. 20-21), die durch die Metapher5 „End‘ der Welt“ (V. 21) zu einer sehr langen, einer ewigen Wanderung ausgedehnt wird; eine Weltflucht hier vor der Unvollkommenheit des Daseins in Form einer zerbrochenen Liebe.
Rasch merkt also gerade in Bezug auf dieses Gedicht sehr richtig an, dass die „Töne des Schmerzes“ in Eichendorffs Dichtung leicht zu übersehen sind. In diesem Gedicht ist die Wehmut versteckt in einem ambivalenten Wandermotiv codiert, bildet aber trotzdem die inhaltliche Kernaussage, was noch einmal Raschs Position stärkt. Anders als beim ersten Eindruck gedacht werden könnte, bildet der Schmerz – zumindest in diesem Gedicht – gerade das Zentrum Eichendorffs Aussageabsicht.
Mit diesem Wissen und einem genauen Lesen kann das Gesamtwerk Joseph von Eichendorffs erst adäquat gedeutet werden und sein (Mit-)Fokus auf die „Molltöne“ des Lebens offenbar werden.