Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der Textauszug „Zwinger“ aus Goethes „Faust“ spielt nachdem Gretchen bereits fast alles verloren hat. Seine Mutter ist verstorben und sein ungeborenes Kind hat es umgebracht, damit man nicht schlecht von ihm denkt. Das Kind war nämlich das Ergebnis einer Sünde. In der Szene spricht Gretchen zur heiligen Mutter Maria und sucht Hilfe in seinem Glauben, nachdem es sein Kind umgebracht hat. Wenig später wird es verurteilt und kommt in den Kerker.
Das Gedicht ist in acht Strophen gegliedert. Die ersten drei Strophen haben jeweils drei Verse, die nächsten zwei Strophen haben sechs Werde und die letzten drei Strophen haben jeweils vier Verse. Zudem gibt es weder ein durchgängiges Reimschema noch ein gleichbleibendes Metrum1. Die fehlende feste Form des Gedichts ist auf die Gefühlslage Gretchens zurückzuführen, welches ebenfalls gänzlich durcheinander ist und keine feste Form mehr in ihrem Leben hat. Gretchens Suche nach Hilfe erkennt man an mehreren Stellen. Es bittet nicht um Hilfe, sondern fleht regelrecht um Gnade (vgl. V. 3, 33). Außerdem ruft es um Hilfe, was die Interjektion „Hilf!“ (V. 30) nochmals verdeutlicht. Die zahlreichen Interjektionen2 (vgl. V. 1,19,23), welche vor allem Seufzer sind, verstärken Gretchens Gefühl der Verzweiflung. Es spricht Maria in seiner Verzweiflung sogar persönlich an (vgl. V. 2) und vergleicht Marias Schmerzen, als sie ihren Sohn verloren hat, mit seinem eigenen, als es sein Kind umgebracht hat (vgl. V. 4-9). Der übermäßige Gebrauch der Fragewörter „Wer“ (V. 10) und „Wie“ (V. 11) und die Anapher3 (vgl. V. 13-14) erzeugen das Gefühl der Hilflosigkeit, welches Gretchen in dieser Situation spürt. Auch die Alliteration4 (vgl. V. 17) und die Wiederholungen (vgl. V. 20) stellen die bereits genannten Schmerzen Gretchens dar. Es hat mit seinen Tränen sogar Blumen gießen können (vgl. V. 22-25). Die Lichtsymbolik („hell“ und „Sonne“ (V. 26 27)) lässt allerdings einen kleinen Hoffnungsschimmer durch, welcher auf den Ausgang des Dramas hindeutet. Hier wird Gretchen nämlich von Gott und somit durch seinen Glauben errettet. Auffällig sind jedoch die Wörter „Not“ (V. 3) und „Tod“ (V. 6), welche immer in Verbindung zu einander angebracht werden und sich zudem noch reimen. Diese Wörter beschreiben Gretchens aktuelle Situation und sein Handeln, nämlich das Umbringen seines Kindes. Die letzte und die erste Strophe fungieren als eine Klammer um das Gedicht, da beide Gretchens Hilferuf kurz zusammenfassen. Auch der Titel „Zwinger“ ist auf seine Situation bezogen. Gretchen ist eingeengt und gefangen zwischen seiner Liebe zu Faust und seinem Gottesglauben. In dieser Szene steht einer der wichtigsten Aspekte Gretchens Persönlichkeit, nämlich die Frömmigkeit, im Vordergrund. Es spricht zur heiligen Mutter und bringt ihr frische Blumen. Außerdem wendet es sich, trotz all der Geschehnisse nicht von seiner Religion ab, sondern sieht es als seinen letzten Ausweg und seine einzige Option. Gretchen äußert seine Gefühle vermutlich in der Form eines Gedichts, da so seine Emotionen viel besser verdeutlicht werden können. Beim Gedicht stecken die Gefühle nicht nur im Inhalt, sondern vor allem auch in der Form und im Aufbau.
Das Selbstverständnis des lyrischen Ichs in Goethes Gedicht „Vor Gericht“ steht in völligem Kontrast zu Gretchens Selbstverständnis in der Szene „Zwinger“. Das lyrische Ich steht dem, was es getan hat (vgl. V. 4) und zu seinem Kind (vgl. V. 2). Es sagt sogar, dass das Kind ein Teil von ihm sei (vgl. V. 2) und dass es sein Kind bleibe, egal was passiere. Außerdem ist es dem lyrischen Ich nicht wichtig, ob sein Mann reich oder arm ist, was die Anapher „trägt“ (V. 7/8) nochmals verdeutlicht. Zudem erklärt es, dass Gott durchaus von seiner Tat weiß. Dies zeigt, dass das lyrische Ich ebenfalls gläubig ist, es die Tat allerdings nicht als Sünde ansieht. Zusammenfassend ist das lyrische Ich äußerst selbstbewusst und steht zu sich und seinem Kind. Gretchens Selbstverständnis ist dahingegen ein ganz anderes. Es sieht den Sex vor der Ehe als Todsünde an und erwägt das Resultat, ihr Kind, nicht. Gretchen ist es wichtig, was die anderen von ihr denken. Zudem bezweifelt es, im Gegensatz zum lyrischen Ich, dass Gott ihm vergeben kann. Ihm war auch wichtig, dass Faust reich war. Bereits bei ihrer ersten Begegnung dachte Gretchen, dass Faust adelig sein müsste, was seine Neugier verstärkte. Ein entscheidender Aspekt ist auch, dass Gretchen nicht tu seinem Kind stehen konnte und es deshalb umgebracht hat. Gretchen kann die Einstellung des lyrischen Ichs im zweiten Gedicht nicht teilen, da es den Sex vor der Ehe als viel größere Sünde erachtet als das lyrische Ich und weil ihm dazu das nötige Selbstbewusstsein fehlt. Es interessiert sich sehr für die Meinung seines Umfeldes und erträgt den Gedanken nicht, dass man schlecht von ihm denken könnte. Es ist zudem sehr fromm und ist auch in einem strikten Haushalt aufgewachsen. Eine solche Tat gehört sich folglich nicht für Gretchen, aus seiner Sicht. Es hätte das Kind nie akzeptieren können, da es das Produkt einer Sünde ist. Außerdem sieht sich Gretchen selbst als Sünderin und kann sich auch selbst nicht verzeihen. Aus diesem Grund kann es die Einstellung des lyrischen Ichs nicht teilen.