Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Interpretation: „Beschreibung vollkommener Schönheit“ (Hoffmann zu Hoffmanswaldau)
In dem Gedicht „Beschreibung vollkommener Schönheit“ von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, welches im Jahr 1695 veröffentlicht wurde, beschreibt das lyrische Ich seine Abhängigkeit von einer wunderschönen Frau.
Diese Thematik ist typisch für die Barockliteratur, welcher das Gedicht zuzuordnen ist: Sie verbindet Frauenpreis mit der Erinnerung oder Ermahnung, dass Äußerlichkeiten vergänglich bzw. nebensächlich sind.
Der äußeren Form nach ist das Gedicht ein Sonett1, es besteht aus zwei Quartetten mit je vier Zeilen, gefolgt von zwei dreizeiligen Terzetten. Das Reimschema bei den Quartetten ist ein umarmender Reim (abba abba), wobei sich einige Zeilen der ersten Strophe auf die zweite Reimen, also ein Zusammenhang der Strophen verdeutlicht wird. In den Terzetten ändert sich das Reimschema (cdd cee), jedoch reimen sich die jeweils ersten Verse, was ebenfalls eine Kohärenz nahelegt. Auch durch die Auflösung des Reimschemas wird die Zäsur2 nach der zweiten Strophe unterstrichen, die nicht nur formale Aspekte beinhaltet:
Während in den Quartetten ausschließlich die äußerlichen Eigenschaften der Frau beschrieben werden, werden in den Terzetten ihre innere Einstellung („Herz“ V. 9; „Wort“ V. 10) und die Folgen für das lyrische Ich erklärt. Trotz ihrer vollkommenen Schönheit bringt sie dem lyrischen Ich Abhängigkeit, Freiheitsverlust und den Verlust seines Humors.
Diese subtile Rollenverteilung ist ungewöhnlich, da Frauen zur Barockzeit nicht gleichberechtigt waren und dem Mann unterstanden: Auch in diesem Gedicht ist die Rollenverteilung pro forma erhalten, die Frau ist dem lyrischen Ich wahrscheinlich nach außen hin untergestellt, eigentlich ist er jedoch abhängig von ihr und ihrer Liebe. Dies nutzt die Frau auch aus, um mit dem Mann – oder Männern allgemein (vgl. V. 4 / V. 7) zu spielen. Das lyrische Ich ist hin-und hergerissen zwischen der bewundernden Liebe und der tiefen Abneigung, die er der Frau gegenüber empfindet. Dieser Scheinwiderspruch spiegelt sich auch in dem Paradoxon3 „süßes Gift“ in Vers 12 wieder: Die Gunst der Frau ist im Augenblick wundervoll, jedoch schädlich, wenn nicht tödlich für das lyrische Ich.
Das Gedicht besteht nur aus einem einzigen langen Satz, der zwar nach den ersten beiden Strophen und in Vers 12 durch Semikola getrennt ist, aber dennoch zusammenhängt. Das Prädikat „Hat mich um meinen Witz und meine Freiheit bracht.“ wird erst im letzten Vers genannt. Die übrigen Nebensätze sind das Subjekt des Satzes, jeweils näher beschrieben: Die Anaphern4 beginnen in der ersten Strophe („Ein Haar, […] spricht,/ Ein Mund, […] in sich heget,/ Ein Zünglein, […] träget, V. 1 – 3) und sind gleichzeitig Parallelismen, da stets dieselbe Satzstruktur verwendet wird. Diese wird trotz der Zäsur erst in der vierten Strophe aufgehoben, was deren Bedeutung unterstreicht: Sie beschreibt die Folgen für das lyrische Ich, nämlich den Verlust seiner Freiheit und seines Einfallsreichtums, es ist nun vollkommen abhängig von der Frau.
Die zahlreichen rhetorischen Mittel wie Metaphern5 und die bildhafte Sprache des Gedichtes sind epochentypisch, da im Barock Gedichte zu festgelegten Themengebieten verfasst wurden, und die Aufgabe der Dichter nur in der möglichst kunstvollen rhetorischen Verpackung der Inhalte bestand. Deswegen sind Ausdrücke wie „Rubin durch Alabaster bricht“ (V. 4) oder „wo die Pracht der Flora sich beweget“ (V. 6) in diesem Gedicht so häufig.
Die zahlreichen Personifizierungen der einzelnen Körperteile (z. B. „Ein Haar, […] spricht“ (V. 1) drücken die Eigenständigkeit der Frau aus, da alles an ihr nach der Macht über den Mann strebt und seinen Teil dazu beiträgt.
Die vielen Vergleiche mit Motiven aus der Natur (z. B. „Rosen führt“ V. 2) legen natürliche Schönheit der Frau nahe, stellen all ihre Eigenschaften aber auch als etwas Natürliches dar: Die Frau bemüht sich nicht angestrengt und künstlich um ihre Macht, sondern hat sie von Natur aus und nutzt sie dementsprechend selbstverständlich. Dieser Aspekt kann von der bestimmten Frau im Gedicht gelöst werden, sodass es eine Feststellung über Frauen im Allgemeinen darstellt. Die Metapher „Schwanenschnee“ in Vers 5 bezieht sich auf den langen, weißen Hals der Frau, da blasse Haut zur Entstehungszeit des Gedichtes als Schönheitsideal galt.
In den letzten beiden Strophen wird die widersprüchliche Beziehung des lyrischen Ichs zur beschriebenen Frau durch das Wortfeld Religion definiert, es werden Gegensätze wie „so himmlisch ist und mich verdammen kann“ (V. 10) herausgearbeitet. Außerdem gebraucht der Dichter Wörter wie „Seele“ (V. 12) und „Verderben“. Dieses aussagekräftige Vokabular verdeutlicht die Gegensätzlichkeit der Beziehung für das lyrische Ich: Es stellt die Beziehung als Verbindung von Himmel und Hölle dar, von Gott und Teufel, von Seeleneil und ewiger Verdammnis. Dies waren für den Dichter die größtmöglichen denkbaren Gegensätze.
Im Gedicht wird zwar vollkommene Schönheit beschrieben, aber nicht wie der Titel vermuten lässt, als etwas Gutes und Erstrebenswertes: Das lyrische Ich zeigt vielmehr die Schattenseiten für den Mann, der eine Beziehung mit einer vollkommen schönen Frau hat: Er liebt sie und kann nicht ohne sie sein, doch gleichzeitig bereitet ihm diese Abhängigkeit ungemeine Qual und seelische Schmerzen, da er nicht mehr er selbst ist.
Diese Form von Beziehung gibt es auch heute noch, somit zeigt ist das Gedicht aktuell und zeigt, dass sich an zwischenmenschlichen Verhältnissen nichts geändert hat und die Menschen dieselben Probleme haben wie früher.