Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht „Carpe diem“ wurde 1624 von Martin Opitz veröffentlicht und thematisiert die Erlebnisse des lyrischen Ichs, das sein Leben genießen möchte, weil es merkt, dass die Zeit nicht ewig ist und jeder Mensch früher oder später sterben muss. Bei näherer Betrachtung ist es der Epoche der Barockzeit zuzuordnen, welche geprägt war von einem stark fanatischen Glauben und einer intensiven Todesangst durch den Dreißigjährigen Krieg (1618- 1648).
Zunächst merkt das lyrische Ich in den ersten beiden Strophen, dass das Leben auch während seiner Beschäftigung mit verschiedenen Studien weiterläuft. Daher beschließt es in der dritten Strophe, den plötzlich entdeckten Genuss mit anderen Menschen zu teilen, indem es sich glücklich mit alkoholischen Getränken betrinkt. Dass das Geld und wertvolle Materialien nicht so wichtig sind wie das eigentliche Leben, findet das lyrische Ich schließlich in den letzten beiden Strophen heraus.
So wirkt das Gedicht schon nach dem ersten Lesen als eine Art Aufruf an die Leserinnen und Leser, dass man sein Leben nutzen und genießen soll, wobei man das Nachdenken über den Tod verdrängen und aufschieben sollte.
Das Gedicht „Carpe diem“ besteht aus fünf Strophen mit jeweils acht Versen. Alle Strophen weisen ein umarmendes Reimschema auf. Dies unterstützt die Situation des lyrischen Ichs, da es nicht alleine sein möchte, sondern im Kreise seiner Freunde.
Formal teilt sich das Metrum1 in jedem Vers in einen vierhebigen Trochäus auf, wobei die Verse passend zum Reimschema auf einer weiblichen, zweimal auf einer männlichen und nochmals auf einer weiblichen Kadenz2 enden.
Von den Zukunftsplänen des lyrischen Ichs erfährt die Leserschaft des Gedichts bereits in der ersten Strophe. Es will eine Auszeit oder sogar ein komplettes Ende von seinen Lehren und Studien, da es nun die lebhafte Natur erfahren möchte. Diese Unterscheidung zwischen einem tätigen (Vita activa) und einem beschaulichen, auf Erkenntnis ausgerichteten Leben (Vita contemplativa) reicht bis in die Antike zurück und erlebte insbesondere in der Epoche des Barocks einen neuen Aufschwung. Für das vorliegende Gedicht ist eine Abwendung des Vita contemplativa deutlich erkennbar, da hier der Sinn des Lebens besonders in Erlebnissen erfahren wird.
Hervorgehoben wird dieses neue Lebensgefühl durch die Adjektive „frisch“ (V. 5), „grün“ (V. 6) und „schön“ (V. 7), welche für das Hier und Jetzt und besonders für die Lebhaftigkeit stehen, welche einen Kontrast zu seinen “blassen“ und “toten“Büchern darstellen.
Die Metapher3 „Bach (...) unseres Lebens“ (V. 11f.) verdeutlicht hier den Lebensweg des Menschen, welcher irgendwann aus einer „Quelle“ (V. 5) entstand und nach einiger Zeit schließlich austrocknen wird. Dieses „letzte Ende“ (V. 14) führt weiterhin dazu, dass alle Menschen nach dem Tod gleich sind und man alles verliert, was einen früher einmal ausgezeichnet hat („ohne Geist und Sinn“ (V. 15)). Um daher sein Leben so schön und genussvoll zu führen, sollten sich die Menschen nicht zu sehr mit „Trauern, Leid und Klagen“ (V. 20)) beschäftigen. Diese Aufzählung zeigt, wie manche Menschen sich in so eine Situation hineinsteigern, obwohl man dafür eigentlich keine Zeit hat, da das Leben zu kurz ist.
Die Aussage „Lass ich gleich nicht viel zu erben“ (V. 37) veranschaulicht, dass das lyrische Ich nicht an die Zeit nach dem Tod und sogar nicht einmal an die nächsten Tage denkt, sondern sein Leben genießt, indem es Alles ausgibt und sich etwas Gutes tut, wie zum Beispiel einen „edlen Wein“ (V. 38).
Das lyrische Ich „will mit andern lustig sein“ (V. 39) und plant daher Unternehmungen mit seinen Freunden, da es befürchtet, ein Gefühl des Alleinseins zu hinterlassen.
Die häufige Wiederholung des Adjektivs „gut“ (V. 33 u. 36) hebt hervor, für was das lyrische Ich Gefallen findet und was es auszeichnet. Diese persönlichen Eigenschaften vergehen aber ebenfalls nach dem Tod.
Als lyrisches Du spricht das lyrische Ich den Philosophen Plato (vgl. V. 2) an, der für die Bildung und das Studieren steht. Davon hat sich das lyrische Ich aber abgewendet, sodass an diese Stelle der „Junger“ (V. 17) tritt, der ein Fest für seine Freunde organisieren soll. Die an den „Junger“ gerichteten Imperative sind dabei übertragen auf den Leser Aufforderungen, das Leben noch mehr zu genießen. Das lyrische Wir betrifft daher also alle Menschen.
Schon der Titel des Gedichts „Carpe diem“ beschreibt mit zwei Worten das gesamte Handlungsgeschehen. Dieses Motiv entstammt dem „Vanitas- Gedanken“, welcher die Vergänglichkeit des Lebens und die Allgegenwärtigkeit des Todes zum Ausdruck bringt. „Carpe diem“ (lateinisch) bedeutet auf Deutsch „Nutze den Tag!“ und ruft dazu auf, das Leben Tag für Tag zu genießen.
So beschreibt das gebildete lyrische Ich, täglich am Studieren, seine neue Einstellung zum Leben. Statt des Lernens sollen das Genießen und Erfreuen an schönen Dingen im Vordergrund stehen. Das Nachdenken über den Tod soll aufhören, da Niemand unsterblich ist und man daher seine Lebenszeit um so mehr genießen sollte.
Auch in der heutigen Zeit sind die Bedeutungen der Textpassagen von großer Bedeutung. Martin Opitz schreibt schon beinahe von der alltäglichen Routine des heutigen Lebens und zeigt auch heute noch den Menschen aus der Gegenwart, dass man sich von beruflichen oder finanziellen Sorgen eine Auszeit nehmen sollte, auch besonders mit Freuden oder Familienmitgliedern, welche außerdem von Gedanken an den Tod ablenken können. Natürlich kann man in der heutigen Zeit nicht auslassen, die nächsten Tage zu planen oder generell an die kommende Zeit zu denken, doch trotzdem bietet dieses Gedicht aus der Epoche des Barocks zumindest eine hilfreiche Inspiration trotz sehr differenzierter Lebensführungen zwischen der früheren und heutigen Zeit.