Roman: Der Steppenwolf (1927)
Autor/in: Hermann HesseEpochen: Expressionismus, Neuromantik
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Der Roman „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse aus dem Jahre 1927 handelt von dem gebildeten Harry Haller, der seiner selbstgewählten Isolation durch einen Selbstmordversuch zu entrinnen gedenkt. Den Ursprung seines Leids erblickt er in der Dualität seiner Seele, welche er einerseits in die Seele des gebildeten Menschen Harry Haller und andererseits in die Seele des wilden Steppenwolfs geteilt sieht. Durch die Begegnung mit Hermine lernt er die Freude am Leben kennen. Neben der bereits angesprochenen Vielseitigkeit der Seele, sind die Frage nach dem Ich und die persönliche Entwicklung des Protagonisten Themen des Romans. Zu Beginn des Werkes wird Harry Haller durch einen fiktiven Herausgeber, der vollkommen bürgerlich ist, dargestellt.
Die Handlung der Textstelle schließt an den Besuch bei einem Professor an, welcher nicht optimal verlaufen ist. Bereits mit Widerwillen erschien Harry Haller im Haus des Professors. Diese Abneigung steigerte sich noch, woraufhin Haller den Professor vor den Kopf stößt und geht. Am Anschluss zu der Textstelle ereignet sich durch die Begegnung mit Hermine eine Wendung der Handlung, wodurch ein Umbruch von Selbstverachtung, die in dieser Textstelle zu spüren ist, hin zu Hoffnung geschieht.
In der vorgelegten Textstelle liegt ein personales Erzählverhalten vor, das die Gedankengänge des Protagonisten in einem Erzählerbericht darstellt und somit den Leser an den Gedanken teilhaben lässt und dessen Mitgefühl erregt.
Es beginnt mit der Schilderung, wie Harry Haller durch die Straßen läuft, was seine Rastlosigkeit und Unruhe verdeutlicht. Er wird getrieben, „vom Elend geritten“ (Z. 1f). Diese Personifikation2 zeigt den Ursprung seiner Unruhe: das „Elend“. Er selbst kann nicht entscheiden. Seine Gedanken zeigen seinen Vorwurf an sich und demonstrieren damit seine Selbstverachtung. So beschimpft er sich mit den Worten „dumm und unartig“ (Z. 4), wie eine Mutter, die ihren Sohn maßregelt. Der folgende Parallelismus verdeutlicht Hallers Unvermögen beim Professor länger zu bleiben, „[er] konnte […] nicht“ (Z. 4f) dortbleiben. In seiner Abscheu gegen das Leben des Professors zeigt sich seine Haltung gegenüber dem Bürgerlichen, das ihn einerseits anzieht und andererseits abstößt (vgl. S. 67 Z. 1f; 8ff). Harry Haller kann „die Einsamkeit nicht mehr ertragen“ (Z. 7), welche er selbst verursacht hat, indem er sich immer weiter von der Welt isolierte, sein Wunsch wurde zu einem Fluch (S. 61 Z. 10ff). Die Metapher3 des „luftleeren Raum[s] [seiner] Hölle“ (Z. 10) zeigt sein Leid in der Einsamkeit, obwohl er die Menschen so sehr verachtet. Er erinnert sich zurück an seine Jugend, an die „tausend Freuden“ (Z. 13), die er damals empfand. Doch von dieser sehr viel schöneren Zeit scheint ihm nichts geblieben zu sein, so hat er auch seine Frau verloren (vgl. S. 117 Z. 13). Harry Haller schmerzt das Leben selbst (vgl. Z. 16). Zuflucht sucht er in einer Kneipe, die als ein Symbol für seine Suche nach Gesellschaft verstanden werden kann. Doch auch dort verweilt er nicht lange, er fühlt sich „vom Teufel gejagt“ (Z. 20); diese Metapher steht für den Selbstmordgedanken, der ihn quält.
Sein nächster Gedanke ist die Flucht, er will weggehen, um nicht nach Hause zurückkehren zu müssen. Dieser Gedanke kann als Vorausdeutung gesehen werden, so erfahren wir von dem fiktionalen Herausgeber, dass Harry zu einem späteren Zeitpunkt abgereist sein muss (S. 28 Z. 24f), was jedoch nicht als Flucht, sondern als Neuanfang gewertet werden sollte. Diese Flucht ist hier aber, wie bereits zuvor erwähnt, eine Möglichkeit, um der Heimkehr zu entkommen. Die folgende Aufzählung, die darstellt, wie seine Wohnung aussieht, wirkt steril und wenig anheimelnd, da Adjektive fehlen und so die Einrichtung uninteressant und unpersönlich wirkt. Zudem erwartet dort Harry Haller das „Rasiermesser“ (Z. 32) mit dem er sich das Leben nehmen „muss“. Dieses „musste“ (Z. 33) zeigt seine Entschlossenheit und seinen gleichzeitigen Widerwillen. Er will sich nicht umbringen, doch er sieht im Selbstmord seinen einzigen Ausweg, den er sich offenlässt (S. 93 Z. 23f). Er sieht zwar keinen anderen Weg mehr, jedoch zeigt sich in der Aufzählung und dem gleichzeitigen Parallelismus, dass er, „obwohl“ (Z. 37; 34; 44) er leidet, eine „grauenhafte Furcht vor dem Tod[e]“ (Z. 36f) hat. Diese Furcht wird dabei meines Erachtens schwerer gewichtet als sein Leid.
Diese zwei Pole, die ihn bestimmen, sieht er im Kampf miteinander, als wären sie Personen. Haller fürchtet sich davor, dass es die Feigheit sein wird, die siegt (vgl. Z. 50ff), da seine Verzweiflung dadurch nur noch wachsen wird, gespeist durch seine Selbstverachtung, die ihn prägt (S. 17 Z. 3f). Im Folgenden versucht er sich gut zuzureden, doch es gelingt ihm nicht, da ein „Kind“ in ihm leben will (Z. 57ff). Dieses Kind kann als Zeichen der Vielfältigkeit der Seele gesehen werden. Also als ein Teil seiner selbst, der leben will. Die Hetzjagd, mit der er sich selbst quält, geht weiter. Doch obwohl er erschöpft ist, kann und will er nicht nach Hause. Er ist erfüllt von „tödlicher Angst“ und „flackernder Sehnsucht nach Leben“ (Z. 68f). Die Wahl der Adjektive lässt auf nichts Gutes hoffen. So erscheint der Tod unausweichlich und die Sehnsucht droht scheinbar zu erlöschen. Damit endet diese Textstelle mit einem Gefühl von Hilflosigkeit und einem scheinbar unabwendbaren Ende.
Die vorgelegte Textstelle zeigt den Grundkonflikt Harry Hallers, der den gesamten Roman prägt. Der Kampf zwischen der Sehnsucht nach Leben und dem Drang nach Selbstmord. Die Handlung wird nach dieser Textstelle eine Wendung erfahren durch die Begegnung mit Hermine, die ihm auch die positiven Seiten des Lebens zeigt. In meinen Augen ist die geschilderte Handlung, nicht nur durch den Gedanken an Selbstmord, der bekanntlich das Ende des Lebens ist, ein erster Einschnitt in die Handlung, sondern auch, weil zwischen dieser Textstelle und der Begegnung mit Hermine der Umbruch zwischen Pessimismus und Hoffnung liegt.