1. Roman: Der Steppenwolf (1927)
Autor/in: Hermann HesseEpochen: Expressionismus, Neuromantik
Goethes Faust entstand zwischen 1770 (der sog. Urfaust) und 1832. Aufgrund der langen Entstehungsgeschichte ist die Zuordnung zu einer einzelnen Epoche schwierig. Je nach Gegenstand der Betrachtung lassen sich Merkmale der Aufklärung (ca. 1720-1800), des Sturm und Drangs (ca. 1767-1785), der Weimarer Klassik (ca. 1794-1805) und der Romantik (ca. 1795-1848) erkennen.
Außentext: „Wenn mein Leben nicht ein gefährliches, leidvolles Experiment wäre, wenn ich nicht ständig am Abgrund entlangliefe und das Nichts unter mir fühlte, hätte mein Leben seinen Sinn nicht“ (Hermann Hesse)
Inhaltsangabe/Zusammenfassung, Analyse und Erörterung
Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“, veröffentlicht im Jahre 1927, handelt von Harry Haller, einem gebildeten Mann, der sich in seinem Leben scheinbar immer weiter von der bürgerlichen Welt abgrenzt und abschottet und somit vereinsamt. Sich selbst betrachtet er als Mensch mit zwei Seelen, der gebildete Harry Haller auf der einen Seite und der wilde, eigenbrötlerische Steppenwolf, zwei Seiten, die sich gegenseitig bekriegen. Der einzige Weg aus seiner selbstgewählten Isolation sieht er im Selbstmord. Doch durch die Bekanntschaft mit Hermine beginnt er auch die Freude im Leben zu entdecken und sein Leben zu verändern. In seinem Roman thematisiert Hesse sowohl die persönliche Entwicklung Harry Hallers als auch die Vielseitigkeit der Seele. Dabei scheinen die Grenzen von Außen- und Innenwelt zu verschwimmen und die Frage nach dem Ich wird aufgeworfen.
Zudem ist auch das Leid des Harry Hallers ein wichtiger Bestandteil des Romans. Im Folgenden wird geprüft, ob das vorgelegte Zitat von Hermann Hesse, neben Harry Haller auch auf Goethes Faust zutrifft.
Das Drama „Faust – Der Tragödie erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe, veröffentlicht 1808, handelt von dem Gelehrten Heinrich Faust, der die Grenzen des verfügbaren Wissens erreicht hat und dessen Drang nach Erkenntnis, dennoch nicht gestillt ist. Aus der Haltung heraus, niemals Zufriedenheit zu erlangen, verspricht er Mephisto seine Seele im Austausch gegen vergänglichen Genuss, der Frieden und Gefallen in Fausts Leben bringen soll. Das im Deutschland des 15. Jahrhunderts spielende Drama behandelt dabei die Themen der Dynamik zwischen Gut und Böse, die Frage nach Schuld und Verantwortung und die Zerrissenheit zwischen dem Streben nach dem Göttlichen und dem Verhaftetsein im Irdischen.
„Wenn mein Leben nicht ein gefährliches, leidvolles Experiment wäre, wenn ich nicht ständig am Abgrund entlangliefe und das Nichts unter mir fühlte, hätte mein Leben seinen Sinn nicht“ (Hermann Hesse)
So schrieb Hermann Hesse 1925 an Helene Welt. Inwieweit es auf die Protagonisten Harry Haller und Faust zutrifft, soll im Folgenden geklärt werden. Doch zuerst was bedeutet es? Wichtig für ein „Experiment“ sind Wiederholungen. Wenn das erste Experiment nicht funktioniert, so wird es leicht abgewandelt und der Versuch geht von vorne los. In diesem Zitat ist das Experiment „Leben“ jedoch geprägt von Leid und Gefahr und birgt somit auch ein Risiko in seiner Durchführung. Ein weiterer Teil des Lebens ist die ständige Gefahr in den Abgrund zu stürzen und im „Nichts“ zu verschwinden. Ohne dieses Element hätte, laut Hesse, sein Leben keinen Sinn. In der folgenden Erörterung muss vornehmlich geklärt werden, ob die Bedingungen für ein „leidvolles Experiment“ bei beiden Protagonisten gegeben sind, welcher Abgrund gemeint ist und wo der Sinn des Lebens liegt.
Beginnend mit Harry Haller lässt sich die Frage nach dem Experiment eindeutig bejahen. Ja, er versucht es immer wieder, so viele Etappen und Lebensänderungen werden im Steppenwolf behandelt. So zeigt der Roman zumindest im Rückblick eine strenge Kindheit, eine gescheiterte Ehe, ein Leben gezeichnet von Krankheit. Harry Haller reist viel und zeigt so eine gewisse Ruhelosigkeit, doch sein Leben zeigt viele verschiedene Neuanfänge und seine widerwillige Bereitschaft sich zu ändern. Vor allem wird dies deutlich am Ende des Romans, als er „gewillt [ist], das Spiel nochmals zu beginnen“ (S. 277 Z. 20f). Und so ist sein Leben ein Experiment, das durchaus geprägt ist von Leid und Schmerz.
Die Frage nach dem „Abgrund“ und dem „Nichts“ ist jedoch schwerer zu beantworten. Sieht man den Abgrund als den Tod, stimmt die These durchaus, schließlich ist Harry ein „Selbstmörder“, also jemand, der den einzigen Ausweg im Selbstmord sieht und durch diesen Gedanken gestärkt wird (S. 64 Z. 16f). Das „Nichts“ jedoch ist im Steppenwolf sehr viel eher durch den Gedanken an einen Aufstieg oder Wandel geprägt (S. 74 Z. 10; S. 71 Z. 18ff). Dazu kommt, dass Hermine sich selbst und Harry als „im Leeren hängend“ (S. 163 Z. 23) beschreibt. Er fühlt das Nichts nicht nur, sondern er befindet sich bereits darin. Und hierbei wird deutlich, wie das „Nichts“ zu verstehen ist, im Steppenwolf. Nicht wie im Zitat als Teil des Abgrunds, sondern sehr viel eher als Unzugehörigkeit. In der Tat ist Harry weder Teil der bürgerlichen Welt, noch gehört er zu den Unsterblichen. Der Sinn des Lebens im Steppenwolf ist die „Menschwerdung“ (S. 82 Z. 1f), das Aufgehen der Seele in der Welt. Doch für Harry Haller, der das scheinbar nicht erreicht, sind die „Leiden, die [ihn] bereit […] zum Sterben“ (S. 192 Z. 6) machen, das Wichtigste. In der Tat gibt also das Leiden, mit dem er lebt, seinem Leben einen Sinn, auch wenn sein Ziel der Tod ist.
Sehr viel schwieriger gestaltet sich die Erörterung des Zitats bei „Faust“. Denn einerseits bemüht sich Faust mithilfe von Wissenschaften und sogar der Magie zu erfahren, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (V. 382f). Man könnte demnach sagen, dass er das Experiment durchaus häufiger durchführt. Andererseits geht es im Zitat um das Leben, das ein „leidvolles Experiment“ ist. Und versucht es Faust auch dort häufiger? Faust sucht zuerst im Wissen Erfüllung, dann in der Magie und schließlich in der Beziehung zu Gretchen. Doch alles enttäuscht ihn, so endet seine Beschwörung des Erdgeistes in einem Selbstmordversuch und auch bei Gretchen wird er aufgrund seiner Schuld nicht zur Ruhe kommen können (V.3346f). Diesen Aspekt der neuen Versuche teilen sich Faust und Harry Haller, doch während bei Harry Haller der Aspekt des Lebens voller Leid im Vordergrund steht, so zeigt sich bei Faust sehr viel eher die Gefahr. Schließlich verspricht er Mephisto seine Seele, sollte dieser die Wette gewinnen, er nimmt ein großes Risiko in Kauf.
Ein weiterer Unterschied zwischen den Protagonisten zeigt sich, wenn der Umgang mit dem Abgrund betrachtet wird. So könnte man sagen, dass Haller am Abgrund balanciert. Faust dagegen rast geradeaus darauf zu. Während Haller nur Selbstmordgedanken hat, versucht Faust einen Selbstmord, von dem er jedoch noch abgehalten werden kann. Hinzu kommt, dass Faust durch seine Wette mit Mephisto nicht nur auf den Tod zurast, sondern auch auf das „Verderben“ (V.3351). Das Nichts lässt sich im Faust als die Erfahrung der geistigen Welt verstehen, die Fausts eine Seele erfahren will (V.1116f).
Im Drama „Faust“ liegt der Sinn des Lebens in der Tat. Gott verdammt als einziges den Müßiggang und erschuf deshalb Mephisto. Mephisto dessen Element die Zerstörung, das Böse ist und der somit Leid erzeugt, ist relevant für das Leben. Also gibt das Leid Fausts Leben einen Sinn, wie auch dem Leben Harry Hallers.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Zitat für beide Protagonisten Gültigkeit besitzt. Beide leben ein Leben voller Wandel, das geprägt ist von Leid und Gefahr. Dabei laufen sie beide „am Abgrund entlang“ (Hermann Hesse). Ohne diese Aspekte in ihrem Leben hätte dieses jedoch für beide keinen Sinn.