Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Das Gedicht "Dran glauben" vom Slam-Poeten und Schriftsteller Bas Böttcher handelt vom Einfluss der Medien auf den modernen, konsumsüchtigen Großstadtmenschen des 21. Jahrhunderts und wurde 2009 geschrieben.
Die Überschrift des lyrischen Werkes "Dran glauben" ist zweideutig. Zum einen wird durch immer neue Erfindungen und Trends die Lebensweise der Menschen grundlegend verändert und alte Moralvorstellungen müssen sprichwörtlich "dran glauben" – sie werden aus dem Gedächtnis verdrängt. Zum anderen ist jeder einzelne in unserer Gesellschaft auf eben diese neuen Erfindungen angewiesen. Wir wurden durch all die Dienstleistungen und Produkte um uns herum so unselbständig, dass wir unser Leben nicht mehr voll und ganz selbst in die Hand nehmen können. Um zu bestehen, glauben viele Menschen daran, was uns die Medien vorbeten.
Passend zum Inhalt geht auch die Form des Gedichtes. Das Großstadtleben wird von Bas Böttcher durch die vier Strophen mit jeweils elf Versen als eintönig dargestellt. Diese Monotonie wird durch den Refrain verstärkt, der in allen vier Strophen wiederkehrt. Er besteht aus sechs Zeilen. In der ersten weist der Autor auf die Indoktrination durch die Medien hin. Diese würden den Menschen täuschen. Im weiteren Verlauf des Refrains veranschaulicht Böttcher, dass der Kunde – das Opfer der kapitalistischen Schlacht um Geld und Aufmerksamkeit – alles glaubt, was ihm vorgeführt wird und auch darauf eingeht, indem er die beworbenen Produkte kauft. Dabei hat der Kunde insgeheim ein schlechtes Gewissen, doch hindert die Palette an Vorzügen eines verschwenderischen Lebens ihn daran seine Augen zu öffnen. (Z. 10,11) Und weil Kaufentscheidungen rasch fallen, gibt es mit „Dran glauben“ und „Kram kaufen“ gleich zwei Wortfetzen. Dieser Prozess, so glaubt Böttcher, werde auch in Zukunft bestehen, ja sogar noch bedeutender werden. Deshalb verwendet er im Refrain die Wörter „glauben“, „kaufen“, „schließen“ und „genießen“ - eine Klimax1.
Im Rest der Strophen lassen sich trotz des unterschiedlichen Inhalts Gemeinsamkeiten in der Form finden. Zur Verdeutlichung der Anonymität und Monotonie des Großstädters werden in allen Strophen Parallelismen angewendet. Die ersten beiden Verse jeder Strophe fangen nämlich mit „Häng deine“ an. Dadurch wird dem Leser bewusst, an welch dünnem Faden seine Karriere und sein Privatleben hängen und dass er sein Schicksal in die Hände von multinationalen Großkonzernen gelegt hat. So fordert das lyrische Ich den Leser in der ersten Zeile der ersten Strophe auf, seine Hoffnung an „ein Plastikschwein made in Taiwan“ zu hängen. Gerade asiatische Länder wie Taiwan stehen symbolisch für die Globalisierung, werden dort ja etliche Billigprodukte hergestellt, die nach wenigen Tagen Schiffsüberfahrt den europäischen Markt überfluten. Fast sogar schon mit Bedauern stellt Bas Böttcher in den Versen drei bis fünf fest, dass der Markt jede Schwachstelle des unperfekten Menschen ausnutzt, um seine Güter loszuwerden. Bei Shows zählt hauptsächlich nicht mehr die dargebotene Leistung des Künstlers, sondern alles, was um die Vorstellung herum passiert. (Z. 3) Es ist ein neuer Dienstleistungszweig entstanden, der sich darum bemüht, wichtigen Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Popstars, ein besseres Image zu verpassen – denn nur mit dem passenden Image darf man sich lange auf Wolke Sieben des Show- und Musikgeschäfts aufhalten. (Z. 4) Und nicht zu vergessen sind die Bemühungen der Hersteller von Bräunungsmitteln und Sonnenbänken, die versuchen dem Volk klarzumachen, erst eine Prise unnatürlicher Bräunung würde sie vollkommen aussehen lassen. (Z. 5)
In der zweiten Strophe wird dem Leser des Gedichtes klar, dass IT-Konzerne wie Microsoft unser Leben bestimmen, und das in allen positiven und negativen Aspekten. (Z. 12) In dieser Strophe widmet sich Bas Böttcher der Welt der Reichen, denjenigen die in Luxuslofts wohnen (Z.13), gegen zahlreiche Gesetze verstoßen haben, ihre Hände aber dank ihres Einflusses und ihres Reichtums in Unschuld waschen dürfen (Z. 15,16). Während er seinen Unmut über diese Neureichen zum Ausdruck bringt, verwendet er auch an dieser Stelle die Wörter „zum“ und „zur“. Durch die Wiederholung dieser Wörter verbalisiert der Autor das eben Geschriebene.
In der dritten Strophe fordert das lyrische Ich den Leser auf, seine Träume an die Funknetze der Telekom (Z. 23) sowie an Goldschätze und Pokemon zu hängen (Z. 24). Laut Böttcher sehen Menschen ihre Liebsten seltener persönlich, als sie mit ihnen über neue Medien in Kontakt bleiben. Außerdem seien für viele materielle Güter wichtiger als gefühlsstarke zwischenmenschliche Beziehungen. Er fährt damit fort, abermals zu erwähnen, dass beinahe jedes Produkt auf dem Markt beworben wird (Z. 25) und dass diese Produkte auch in die Privatsphäre des Kunden eingreifen, ihm dazu verhelfen, sein Äußeres zu verändern. Möglich ist das zum Beispiel mit Haarfärbemitteln, die jede Frau in eine Blondine verwandeln können. Dass viele Frauen ausgerechnet blond sein wollen, das haben sie den Firmen zu verdanken. Ihre Lobby, so Bas Böttcher, habe die Vorstellung eingeführt, wirklich schön sei nur wer blond ist. Es kommt aber auch in anderen Bereichen vor, dass Konzerne die Träume ihrer potenziellen Kunden aufnehmen und so deuten, dass sie ihre Produkte besser absetzen können. (Z. 27)
Die vierte Strophe beginnt mit dem Vers „Häng deine Wünsche an die Serien auf Pro Sieben“ (Z. 34). Das ist damit zu erklären, dass Fernsehsender wie eben Pro Sieben uns in ihren oftmals niveaulosen Soaps Leute zeigen, die ihrer Meinung nach dem Idealbild eines Menschen sehr nahe kommen oder es gar persönlich darstellen. Diese Meinung teilen auch viele Jugendliche, was das Bemühen eines nicht zu übersehenden Bevölkerungsteils erklärt, der alles dafür tut, um genauso zu sein wie ihre Stars auf den Bildschirmen. Bas Böttcher äußert in der zweiten Zeile seine Meinung über das Alltagsleben. Dieses sei so voll gepackt von Terminen, dass der Großstädter nur in den Ferien Zeit für die wirklich schönen Dinge im Leben findet und sich deshalb sehr auf diesen Urlaub freut (Z.35). Des Weiteren wäre laut Zeile 37 heutzutage das Fremdgehen verzeihbar, wenn am Ende Reue und die alte Treue gezeigt würden. Und selbst der Schmerz sei nicht mehr das, was er einmal war. Denn zu ihm gäbe es ja die Betäubung (Z. 38) – und das nicht nur beim Arzt, sondern auch überall sonst im Leben, wo einem Leid und Kummer begegnen. Man könne diesen Unannehmlichkeiten einfach aus dem Weg gehen, nach dem Motto die Welt ist ja groß genug.
Auffallend für das gesamte Gedicht ist, dass in ihm einfache Satzstrukturen, manchmal auch nur Wortfetzen verwendet werden. Aus diesem Grund lässt es sich leicht lesen und ist auch für die vom Medienrausch geistig abgestumpfte Bevölkerungsschicht verständlich. Auch gibt es im Gedicht nur Binnenreime, wie zum Beispiel gleich in der ersten Zeile des Gedichts „Häng deine Hoffnung an ein Plastikschwein made in Taiwan“. Sie sollen genauso wie die Alliteration2 auf Zeile 25 (Zur Ware gibt ’s Werbung) zeigen, wie glatt ein Leben nach dem Terminkalender laufen kann, aber auch, dass dabei teilweise Langeweile auftritt. Reime über Verse hinweg wurde im lyrischen Werk nicht benutzt, da diese das Geschehen verharmlosen würde und so ein Kindergedicht entstehen würde, in dem Plastikschweine und Kleinkram Spielzeug wären. Und kindisch ist das Leben im 21. Jahrhundert nicht.
Abschließend lässt sich sagen, dass es Bas Böttcher recht gut gelungen ist, seine Kritik am Überfluss der Medien und an der Hektik eines Großstadtlebens zum Ausdruck zu bringen. Dass er uns nachdenklich gestimmt hat, uns sogar dazu animiert hat, das Leben zu entschleunigen, um es genüsslicher zu machen, lässt sich auch nicht leugnen. Ob ein derart gebildeter und intelligenter Mensch sich dazu in seiner Wortwahl und seinem Satzbau auf die selbe Ebene stellen sollte, wie die verdummten Personen, die in seinem Gedicht vorkommen, ist aber eher fraglich.